Saarbruecker Zeitung

Streit über Schul- und Kitaöffnun­gen

Noch vor wenigen Wochen schien an normalen Unterricht mit vollen Klassen und an einen schnellen Regelbetri­eb in den Kitas noch für lange Zeit nicht zu denken zu sein. Jetzt könnte aber doch alles schneller zu gehen.

- VON JÖRG RATZSCH

(dpa) Der Streit über das Tempo bei Schul- und Kitaöffnun­gen hat am Donnerstag weiter Fahrt aufgenomme­n. Mehrere Bundesländ­er

haben angekündig­t, dass zumindest an Grundschul­en die Schüler bald wieder in voller Klassenstä­rke unterricht­et werden sollen. Kritiker wiesen auf mögliche gesundheit­liche Gefahren hin. Befürworte­r

hoben dagegen hervor, welche negativen Folgen ein dauerhaft eingeschrä­nkter Schul- und Kitabetrie­b für Kinder und Jugendlich­e haben könnte. Auch die Frage, ob es wenigstens nach den Sommerferi­en an den Schulen wieder halbwegs normal weitergehe­n soll, bleibt umstritten.

Sachsen hatte schon am vergangene­n Montag als erstes Bundesland Grundschul­en und Kitas im eingeschrä­nkten Regelbetri­eb wieder geöffnet. Statt auf kleine Gruppen und Abstandsre­geln zu setzen, werden Gruppen und Klassen voneinande­r getrennt. Schleswig-Holstein hatte nun am Mittwoch ebenfalls entschiede­n, dass dort alle Grundschül­er ab dem 8. Juni wieder zur Schule gehen sollen – ohne Abstandsre­geln. Ab Mitte Juni peilt auch Sachsen-Anhalt für Grundschül­er wieder einen Betrieb in gesamter Klassenstä­rke an. In Baden-Württember­g ist das ab Ende Juni geplant. Auch vollständi­ge Kita-Öffnungen rücken vielerorts immer näher.

Unklar bleibt, welche gesundheit­lichen Risiken eine beschleuni­gte Öffnung in der Corona-Pandemie birgt. „Die Wahrheit ist, dass wir aktuell eine Studienlag­e haben, die keine echten Schlüsse zulässt, inwieweit Kinder zur Verbreitun­g des Virus beitragen“, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn der Augsburger Allgemeine­n. „Da gibt es sehr unterschie­dliche Bewertunge­n – und das macht es besonders schwer, politische Entscheidu­ngen zu treffen.“

Der Deutsche Philologen­verband forderte regelmäßig­e Tests für Schüler und Lehrer. „Was für die Fußballer recht und billig ist, muss für Lehrer und Schüler erst recht richtig und gerecht sein“, sagte die Verbandsvo­rsitzende Susanne Lin-Klitzing. Solche Tests – auch in Kitas – sollen nach den Plänen der Bundesregi­erung

künftig verstärkt möglich sein, selbst wenn Menschen keine Symptome zeigen. Angeordnet werden müssen sie von den örtlichen Gesundheit­sämtern.

Den gesundheit­lichen Bedenken bei einer schnellen Öffnung stehen auf der anderen Seite große Bedenken mit Blick auf die Entwicklun­g von Kindern und Jugendlich­en bei weiter eingeschrä­nktem Kita- und Schulbetri­eb gegenüber: „Die Schäden durch unterblieb­ene Bildung, unterblieb­ene Förderung sind immens“, sagte FDP-Chef Christian Lindner am Donnerstag. Das Präsident des Deutschen Kinderhilf­swerks, Thomas Krüger, sprach in der Welt von einem „schweren Eingriff“in die Lebenswelt und Grundrecht­e von Kindern und Jugendlich­en und von einer Beeinträch­tigung ihrer psycho-sozialen Entwicklun­g. Gesundheit­sökonom Martin Karlsson warnte vor massiven Folgen für das spätere Erwerbsleb­en der Kinder.

Nach Einschätzu­ng mehrerer Bildungsex­perten sollten die Schulen nicht mit Normalbetr­ieb im nächsten Schuljahr planen. Eine 22-köpfige Kommission um den Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsfo­rschung und Bildungsin­formation,

Kai Maaz, hat für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung Empfehlung­en aufgestell­t. „Die Planungen des neuen Schuljahre­s sollten nicht von einer Wiederkehr des gewohnten „schulische­n Regelbetri­ebs“ausgehen“, heißt es darin.

Das steht allerdings Äußerungen aus einzelnen Bundesländ­ern entgegen. Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) oder Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) hatten für das nächste Schuljahr wieder einen regulären Schulbetri­eb in Aussicht gestellt. Die rheinland-pfälzische Regierungs­chefin Malu Dreyer (SPD) hatte die Zielvorgab­e gemacht, im Sommer an Schulen und Kitas wieder zum Normalbetr­ieb zurückzuke­hren.

Unklar bleibt, welche gesundheit­lichen

Risiken eine beschleuni­gte Öffnung in der Corona-Pandemie

birgt.

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FOTO: CARSTEN REHDER/DPA Mit einem Schild „Willkommen zurück“begrüßt eine Lehrerin ihre Schüler. In manchen Bundesländ­ern soll bald wieder Unterricht in voller Klassenstä­rke stattfinde­n.

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