Gehpausen halten Büromenschen geistig frisch
Langes Sitzen vermindert die Durchblutung im Gehirn und verlangsamt das Denken. Forscher haben herausgefunden, was dagegen hilft.
„Gehen tut nicht nur unseren Gehirnen und Körpern gut, sondern auch unseren Stimmungen, unserem Denken und unserer Kreativität“, sagt der Gehirnforscher Professor Dr. Shane O’Mara von der Universität Dublin. Allerdings leiden viele Menschen unter Bewegungsmangel. Oft sind Trägheit und Bequemlichkeit die Gründe. Wir leben allerdings auch in einer unnatürlichen Umwelt. Lange Zeitabschnitte des Tages verbringen wir im Sitzen. Das betrifft bereits Kinder. Daher treten häufig schon früh im Leben orthopädische Probleme auf.
Frühe Gebrechlichkeit Im Sitzen lastet das Gewicht des Rumpfes weitgehend auf dem unteren Rücken. Muskeln, Bänder, Wirbelsäule und Bandscheiben werden übermäßig strapaziert und verschleißen schneller. Längeres Sitzen beeinträchtigt die Blutversorgung in Armen und Beinen, den sogenannten peripheren Blutfluss. Dadurch werden die feinen Blutgefäße geschädigt. „Lange Zeiträume ohne Bewegung rufen auch Veränderungen in unseren Muskeln hervor“, erklärt O’Mara. „In den Beinmuskeln bilden sich Fettablagerungen. Wenn wir altern, verlieren wir infolge unserer Unbeweglichkeit Muskelmasse.“Das führt zu früher Gebrechlichkeit.
Geistige Einbußen Der Mangel an körperlicher Bewegung zieht auch das Gehirn in Mitleidenschaft. Durchblutung, Sauerstoffund Nährstoffversorgung werden schlechter, die geistige Leistungsfähigkeit leidet. Der amerikanische Psychologe John Ridley Stroop, der als Professor an der privaten christlichen Universität in Nashville, Tennessee, forschte und lehrte, hatte sich schon Mitte der 1930er-Jahre mit unserer kognitiven Kontrolle befasst. Das ist die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit und das Denken zu steuern.
Stroop hatte gezeigt, dass geistige Aufgaben das Gehirn umso langsamer denken lassen, je anspruchsvoller und vielfältiger sie werden. Langes Sitzen vermindert jedoch die Durchblutung des Gehirns und schränkt dadurch die geistige Leistungsfähigkeit ein. Der Psychologe Dr. David Rosenbaum von der Universität Tel Aviv hat vor Kurzem nachweisen können, dass bloßes Aufstehen die kognitiven Leistungen verbessert. Und mehr noch: Bei anstrengenden geistigen Tätigkeiten, bei denen sich die Denkleistung eigentlich verlangsamen müsste, lief das Denken bei stehenden Versuchsteilnehmern im Vergleich zu den sitzenden Probanden sogar schneller ab als normal.
Kognitive Reserven Neuere Studien bestätigen, dass sich die Blutzirkulation im Gehirn erhöht und sogar die negativen Auswirkungen längeren Sitzens aufgeboben werden, wenn man öfter aufsteht und herumgeht. Dazu erklärt Shane O’Mara: „Wenn man längere Phasen der Unbeweglichkeit regelmäßig durch Aufstehen unterbricht, mobilisiert man größere kognitive Reserven.“
Die durch längeres Sitzen verursachte schlechtere Durchblutung des Gehirns „schränkt die geistige Leistungsfähigkeit ein und erhöht das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen“, berichten Wissenschaftler der Liverpool John Moores University. Welche Auswirkungen das auf die Blutgefäße des Großhirns hat, das unter anderem für Bewusstsein und Gedächtnis wichtig ist, ist noch nicht im Detail erforscht. Doch zweifelsfrei helfen regelmäßige Gehpausen dem Gehirn auf die Sprünge.
Sitzen für die Forschung Die Forscher in Liverpool untersuchten in einer Studie mit zehn Männern und fünf Frauen zwischen 26 und 46 Jahren, die gesund waren und normales oder leichtes Übergewicht hatten, wie sich langes Sitzen auf die Blutversorgung
des Gehirns auswirkt. Die Teilnehmer mussten an drei verschiedenen Tagen jeweils vier Stunden lang am Schreibtisch sitzen. Zu Beginn und zum Abschluss wurde jeweils gemessen, wie viel und wie schnell das Blut durch die Halsschlagader und die davon abzweigende mittlere Hirnarterie floss.
Beim ersten Termin saßen die Teilnehmer vier Stunden ohne Unterbrechung. „Die Ergebnisse zeigen, dass längeres ununterbrochenes Sitzen am Schreibtisch die Durchblutung des Gehirns bei gesunden Menschen verringert“, erklärt Dr. Sophie Carter, die Hauptautorin der Studie.
Die Forscher untersuchten an den anderen Tagen aber auch, wie sich Pausen, in denen die Teilnehmer umhergehen konnten, auf die Blutversorgung auswirken. An einem Tag durften die Frauen und Männer alle zwei Stunden jeweils acht Minuten lang umhergehen, an einem anderen Tag wurde das vierstündige
Sitzen alle 30 Minuten durch Gehpausen unterbrochen, die jeweils zwei Minuten dauerten.
Das Ergebnis war überraschend: Die häufigen kurzen Gehpausen – jede halbe Stunde zwei Minuten – konnten die schlechtere Durchblutung, die im Gehirn bei längerem Sitzen eintritt, ausgleichen. Hingegen zeigten die wenigen, dafür
aber längeren Gehpausen – alle zwei Stunden acht Minuten – keinen Effekt. Im Gegenteil: Zwar stieg der Blutfluss im Gehirn während der Gehpause an, doch als sich die Teilnehmer wieder hinsetzten, sank er wieder und war am Ende niedriger als zu Beginn.
„Häufige, kurze Pausen sind wirksamer als seltene, längere Pausen“, schreiben die Forscher. Sophie Carter rät allen Beschäftigten, die im Büro arbeiten, sich den Computer oder das Handy so einzustellen, dass jede halbe Stunde ein Piepton zu hören ist, dann aufzustehen, den Flur entlang zu schlendern, die Treppe hinaufzugehen oder einfach ein paar Runden im Büro zu drehen.
„Viele kurze Gehpausen sind besser als wenige lange.“Dr. Sophie Carter Liverpool John Moores University
Erhöhtes Risiko für Demenz Britische Büroangestellte sitzen nach eigenen Angaben täglich 6,3 Stunden am Schreibtisch. Da die schlechtere Durchblutung des Gehirns bei langem Sitzen die geistige Leistungsfähigkeit mindere, schmälere das auch die Produktivität der Beschäftigten, betonen die Forscher. Noch wichtiger sei jedoch, dass eine ständig verminderte Durchblutung des Gehirns das Risiko für Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz erhöhen könne. „Häufige Gehpausen, die das Sitzen unterbrechen, stellen einen Schutzmechanismus gegen das Krankheitsrisiko dar.“