Clint Eastwood feiert 90. Geburtstag
Clint Eastwood wird am Sonntag 90 Jahre alt – vom TV-Star der 60er Jahre wurde er zu einem der großen US-Filmemacher. Ganz unumstritten war er dabei nicht, seine Kritiker hat er aber immer wieder überraschen können.
Der pelzige Poncho? Der ausgebleichte Hut? Die haben wohl längst die Motten. Hätte man gewusst, was dereinst aus einem mäßig bekannten TV-Schauspieler wird, der einsilbig durch einen preisgünstigen Italo-Western stapft, dann hätte man die Textilien wohl gehegt, gepflegt und ins nächste Kino-Museum gehängt. Der Film ist, klar, Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“von 1964, der Poncho-Träger ist Clint Eastwood. Der wird am Pfingstsonntag 90 Jahre alt. Ob er da nostalgisch auf seine lange Karriere zurückblickt? Unwahrscheinlich – eher plant er seine nächste Produktion. Acht Filme hat er in seinen Achtzigern inszeniert, zuletzt seine 38. Regie-Arbeit, „Der Fall Richard Jewell“, über den Wachmann, der bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 eine Bombe entdeckt und dabei ins Visier des FBI gerät. Ein klassischer später Eastwood – ruhig erzählt, ohne Schnörkel, ohne Prätention.
Heute gilt Eastwood als amerikanische Ikone, er wurde aber auch schon anderes genannt. Schauspieler mit der Mimik von Stahlbeton etwa – ein Kritiker kommentierte süffisant, Eastwood habe die „Mount Rushmore“-Schauspielschule besucht. Sturer Rechtskonservativer wurde er auch genannt, Faschist gar – vor allem wegen seiner Rolle als Harry Callahan alias „Dirty Harry“: einem Polizisten voller Hass gegen den in seinen Augen zu behäbigen Justiz-Apparat, gegen zu lasche Kollegen und gegen Menschen mit Hippie-Frisur. Eine Wutbürger-Fantasie (dazu ein enorm spannender Thriller), die 1971 die Kinos füllt; drei weitere Male spielt Eastwood die Rolle – wohl weniger aus künstlerischem Ehrgeiz, sondern um sich in der Filmindustrie Freiheit zu schaffen, sozusagen „bankable“zu sein – und eben auch Regie führen zu dürfen. Denn naheliegend ist dieser frühe Wunsch von Eastwood aus Hollywood-Sicht nicht. Dort gilt er lange als Ex-TVStar aus der Serie „Rawhide“(„Rohleder“, die bei uns den schönen Titel „Tausend Meilen Staub“trug), der es über den Umweg des Italo-Westerns ins US-Kino geschafft hat und dort bloß als Actionheld reüssiert.
Doch Eastwood unterläuft die klassischen Erwartungen – ein grundlegendes Motiv seiner Karriere – und legt 1971 sein Regiedebüt vor: „Play misty for me“, in dem Eastwood einen Provinz-DJ mit einem extrem hartnäckigen weiblichen Fan spielt – in unseren Kinos läuft der Film unter dem blödsinnigen Titel „Sadistico – Wunschkonzert für einen Toten“. Die Branche ist überrascht, mehr noch sogar zwei Jahre später von der Regie-Arbeit „Begegnung am Vormittag“über die Einsamkeit und letzte Liebe eines Mannes im mittleren Alter (gespielt von William Holden). Eastwood, der harte Hund, der auf der Leinwand als „Dirty Harry“mit phallischem Trommelrevolver wedelt, erweist sich in der Regie als feinfühliger Filmemacher.
Dennoch: Ein Regisseur auf konstant hohem Niveau, zu dem er später wird, ist er da noch nicht; manche Regiearbeiten sind sogar frustrierend: So spektakulär etwa die Bergsteiger-Szenen im Thriller „Im Auftrag des Drachen“sind (Eastwood hängt leibhaftig in der Eigernordwand), so unangenehm ist die brusthaarige Macho-Hetero-Attitüde des Films, in dem der größte Schurke ein Klischee-Homosexueller mit Schoßhündchen ist. Aber wie es bei Eastwood eben ist: Für Schubladen ist er zu groß oder zu wendig. Direkt davor dreht er als Schauspieler und Produzent nämlich mit „Die Letzten beißen die Hunde“(wieder ein dämlicher deutscher Eastwood-Titel, aber einer seiner schönsten Filme) die Geschichte einer großen Männerfreundschaft und -liebe.
Als Regisseur scheint Eastwood lange nach der Strategie „Ein Film für die Studios, dann ein Film für mich“zu verfahren. So wird ein eigenwilliger und melancholischer Film wie „Bronco Billy“von 1980 über Western-Tingeltangel eingerahmt vom bleihaltigen Actionfilm „Der Mann, der niemals aufgibt“und dem mäßigen Spionage-Thriller „Firefox“, in dem Eastwood hinter dem Eisernen Vorhang ein Superflugzeug stibitzt. Eastwoods Strategie geht irgendwann nicht mehr ganz auf – zwar wird 1988 sein Spielfilm „Bird“über Jazzmusiker Charlie Parker von der Kritik gefeiert, vor allem in Europa, aber seine Zugkraft als Schauspieler nimmt spürbar ab. Eastwood scheint auf einmal von gestern.
Was folgt, ist ein Schlüsselmoment, ein Schlüsselfilm in Eastwoods Regie- und Schauspielkarriere: „Erbarmungslos“von 1992, ein illusionsloser Western über die Gewalt, das Morden und die Sünden, die einen wieder einholen – ein Triumph für Eastwood in der Rolle eines alternden, verbitterten Revolverhelden. So beherzt wie nie zuvor dementiert Eastwood den eigenen Heldenmythos, hinterfragt Ursache und Wirkung von Gewalt. Vier Oscars gewinnt der Film, darunter für den besten Film und die beste Regie. Für Eastwood, damals 62, beginnt eine fruchtbare Alterskarriere, die jetzt auch schon fast 30 Jahre andauert.
Um Alter und gebrochenes Heldentum geht es auch in einem seiner größten späten Film-Hits, „In the Line of Fire“, der kurz nach „Erbarmungslos“erscheint – „In the Line of Fire“mit Eastwood als Secret-Service-Mann mit Versagensangst und mittlerweile kurzem Atem, wenn er neben der Limousine des US-Präsidenten herläuft. „Dirty Harry“ist da ganz weit weg in diesem Film, den Eastwood den deutschen Kollegen Wolfgang Petersen inszenieren lässt, weil er dessen „Das Boot“so mag.
Eine große Überraschung für jene, die „Dirty Harry“nicht hinter sich lassen können, ist Eastwoods zarter Liebesfilm „Die Brücken am Fluss“(1995) mit Meryl Streep und Eastwood – wer hier keine feuchten Augen bekommt, wenn Eastwood bei Regen in einem Auto sitzt und weiß, dass er die große Liebe seines Lebens gefunden und zugleich verloren hat, der muss aus so hartem Holz geschnitzt sein wie Eastwoods frühe Westernhelden.
Als Regisseur (und oft auch Komponist der Musik) dreht er nun Film auf Film, in seiner nahezu legendären Arbeitsweise: An kaum einem Drehort soll es leiser und konzentrierter zugehen als bei ihm; er arbeitet seit Jahrzehnten mit einem bewährten Team, lässt Szenen nicht oft wiederholen und schöpft nicht mal sein ganzes Budget aus, weil er meist ein paar Tage früher als geplant fertig ist. Eastwoodsche Effizienz.
In den 2000ern, da ist Eastwood in seinen 70ern, gelingen ihm Meisterwerke am Stück: 2003 der nachtschwarze Krimi „Mystic River“, im Jahr darauf „Million Dollar Baby“, ein berührender Film über Würde und selbstbestimmtes Sterben; danach im Doppelpack die Kriegsfilme „Flags of our fathers“und „Letters from Iwo Jima“, die vom Gemetzel des Pazifikkrieges erzählen, einmal aus amerikanischer Sicht, einmal aus japanischer. 2008 inszeniert er sich noch einmal selbst und spielt in „Gran Torino“einen Rassisten, frustriert über ein Amerika, in dem er sich abgehängt fühlt. Die vergangenen Jahre sind bis heute produktiv, auch wenn seine Filme nicht mehr ganz die Höhe früherer Produktionen erreicht haben.
Eastwoods politisches Engagement hatte über die Jahre seine Kritiker – unvergessen ist sein Wahlkampfauftritt 2012 als Unterstützung für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Dort sprach Eastwood zwölf Minuten mit einem leeren Stuhl und einem imaginären Barack Obama, dem er einige Fehlleistungen als US-Präsident vorhielt. Die Reaktionen auf Eastwoods Rede reichten von Jubel bis zur Sorge, ob er wirklich noch gut beisammen sei. Donald Trump unterstützte Eastwood vor der Wahl, mittlerweile nennt er dessen Politik „dumm und feindselig“. Wann Eastwood tatsächlich in Rente geht? Wohl nie. „Ich bin glücklicher als je zuvor in dem, was ich tue“, sagt er zu seinem 90. Geburtstag. Glückwunsch!
„Ich bin glücklicher als je zuvor in dem, was ich tue.“
Clint Eastwood
Buchtipp: Zum 90. Geburtstag ist das exzellente Buch „Clint Eastwood – Mann mit Eigenschaften“erschienen:
Kai Bliesener schreibt darin über den Künstler und befragt ausgewiesene Eastwood-Kenner, dazu gibt es ein Essay von Georg Seeßlen. Schüren Verlag, 232 Seiten, 24,90 Euro.