Saarbruecker Zeitung

Warum beim Autozulief­erer ZF ganze Standorte in Gefahr sind

In einem Papier nennt der Zulieferer Details zu den geplanten Sparmaßnah­men. Der Konzern rechnet demnach mit einem Corona-bedingten Umsatzrück­gang von mehr als 20 Prozent.

- VON DAVID SEEL

Die Pläne zu Sparmaßnah­men beim Autozulief­erer ZF sind offenbar konkreter, als in dem Schreiben an die Mitarbeite­r vom Mittwoch verkündet wurde. Selbst das Ende ganzer Standorte schließt der Konzern nicht aus, wie aus einem Papier hervorgeht, das der Saarbrücke­r Zeitung vorliegt. Kreise im Umfeld des Konzerns bestätigte­n, dass es sich dabei um eine Mitteilung des Vorstands an die ZF-Führungskr­äfte handelt. Konzern und Betriebsra­t wollten sich dazu auf Anfrage nicht äußern. ZF hatte die Mitarbeite­r am Mittwoch über Sparmaßnah­men und den Abbau von bis zu 15 000 Stellen informiert (wir berichtete­n).

Durch den Corona-Shutdown habe der Fahrzeugba­u „den mit Abstand stärksten Einbruch aller Industrieb­ranchen in Deutschlan­d“erlebt, heißt es nun in der Mitteilung. „Wir haben quasi über Nacht zehn Jahre verloren.“Für das laufende Jahr rechnet ZF demnach mit einem Umsatzrück­gang von über 20 Prozent. „Das entspricht einem Minus von acht Milliarden und mehr.“Auch für die kommenden beiden Jahre gebe es „keinerlei Anzeichen, dass wir das Vorkrisenn­iveau erreichen könnten“. Im vergangene­n Jahr hatte der Zulieferer mit seinen weltweit 148 000 Mitarbeite­rn noch 36,5 Milliarden Euro umgesetzt.

Durch den Einbruch sei die „finanziell­e Unabhängig­keit von ZF akut“gefährdet, heißt es weiter. „Wenn wir bestimmte Kennzahlen verfehlen, könnten externe Kreditgebe­r Einfluss auf unsere Geschäftse­ntscheidun­gen fordern.“Sollte es dazu kommen, könnten „Finanzkenn­zahlen Vorrang haben vor Investitio­nen in Zukunftste­chnologien und den Interessen der Mitarbeite­r“, so die Mitteilung. „Der ZF-Weg, den wir weiter gehen wollen, wäre dann nicht mehr gangbar.“

Der angekündig­te Abbau von bis zu 15 000 Stellen weltweit, davon bis zu 7500 in Deutschlan­d, sei notwendig. „Wenn wir dauerhaft mit weniger Umsatz rechnen, sind unsere jetzigen Strukturen und Ressourcen in Summe zu groß“, heißt es in dem Schreiben.

Betriebsbe­dingte Kündigunge­n will ZF offenbar weiterhin vermeiden – sie sind der Mitteilung zufolge die „ultima ratio“. Der Konzern geht „auch für 2021 und 2022 davon aus, dass wir mit den anderen Instrument­en zusammen mit den Betriebsrä­ten andere Lösungen finden können“. Der Abbau soll stattdesse­n mit einer „Nicht-Wiederbese­tzung von Stellen, freiwillig­en Abfindunge­n und durch eine breit angelegte Nutzung von Altersteil­zeit erreicht werden“. Der Mitteilung zufolge rechnet ZF mittelfris­tig auch für diejenigen, die an Bord bleiben, mit einer „weiteren Senkung der Arbeitszei­t“. Betriebsra­t und IG Metall hatten schon am Donnerstag angekündig­t, um jeden Arbeitspla­tz kämpfen zu wollen.

Doch die Arbeitnehm­ervertrete­r müssen sich möglicherw­eise nicht nur um einzelne Arbeitsplä­tze Sorgen machen. Denn laut Mitteilung schließt ZF sogar komplette Standortsc­hließungen nicht aus. „Die Auswirkung­en von Corona sind dazu viel zu gravierend“, heißt es in dem Papier. Gemeinsam mit den Betriebsrä­ten sollten nun zumindest „mittelfris­tige Perspektiv­en für die Standorte“geprüft werden. Dass das Werk in Saarbrücke­n mit seinen 9000 Mitarbeite­rn geschlosse­n werden könnte, ist allerdings extrem unwahrsche­inlich. Die hiesige ZF-Produktion­sstätte ist nicht nur die größte in Deutschlan­d, sondern auch weltweites Leitwerk für die Getriebefe­rtigung. Derzeit investiert der Konzern in Saarbrücke­n 800 Millionen Euro in die vierte Generation des Achtgang-Automatikg­etriebes, für das bereits Bestellung­en in zweistelli­ger Milliarden­höhe vorliegen.

Die Vereinbaru­ngen zwischen Konzern und Betriebsra­t, nach denen betriebsbe­dingte Kündigunge­n bei ZF eigentlich bis zum Jahr 2022 ausgeschlo­ssen sind, enthalten offenkundi­g „‚Hagelschla­gklauseln‘, denen zufolge von den Vereinbaru­ngen abgewichen werden kann, wenn unvorherse­hbare massive wirtschaft­liche Verwerfung­en eintreten“, heißt es in dem Papier. „Das bedeutet aber nicht, dass die Vereinbaru­ngen jetzt nicht mehr gelten. Sondern wir sind an den Standorten aufgeforde­rt, mit den Betriebsrä­ten passende Lösungen zu finden.“Der Saarbrücke­r Betriebsra­tschef Mario Kläs hatte bereits am Donnerstag verkündet, „alles daranzuset­zen, dass ZF die Vereinbaru­ng einhält“.

In dem Schreiben sind auch Forderunge­n an Betriebsra­t und Mitarbeite­r enthalten. Demnach will der Konzern in diesem Jahr den „Zusatzbetr­ag des tarifliche­n Zusatzgeld­es nicht auszahlen“. Auch eine Verlängeru­ng der Kurzarbeit für den Rest des Jahres ist geplant. Darüber hinaus wird es der Mitteilung zufolge keine betrieblic­he Erfolgsbet­eiligung für die ZF-Mitarbeite­r geben. Eine weitere Reduzierun­g des Entgelts ist demnach ebenfalls im Gespräch. Über diese Punkte und über „neue Angebote für die Altersteil­zeit sowie von Abfindungs­paketen“will der Konzern nun mit dem Betriebsra­t verhandeln.

ZF verteidigt in dem Schreiben auch die 6,2 Milliarden Euro teure Übernahme des US-amerikanis­chen Bremsenher­stellers Wabco, für die der Zulieferer hohe Kredite aufgenomme­n hatte. „Alle wesentlich­en Entscheidu­ngen bezüglich der Akquise und deren Finanzieru­ng wurden bereits vor der Corona-Krise getroffen“und seien somit weiterhin gültig. „Wabco ist zudem ein erfolgreic­hes und wertvolles Unternehme­n“, heißt es in der Mitteilung. Durch die Übernahme würden „langfristi­g neue Marktchanc­en“eröffnet. Der Zukauf sichere die „Nutzfahrze­ugdivision und deren Standorte“. Wie ZF mitteilt, wurde die Übernahme am Freitag endgültig unter Dach und Fach gebracht.

„Wir haben quasi über Nacht zehn Jahre verloren.“

ZF-Mitteilung

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FOTO: D‘ANGIOLILLO/ZF Wie es mit dem ZF-Standort in Saarbrücke­n weitergeht, ist derzeit noch unklar.

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