Warum beim Autozulieferer ZF ganze Standorte in Gefahr sind
In einem Papier nennt der Zulieferer Details zu den geplanten Sparmaßnahmen. Der Konzern rechnet demnach mit einem Corona-bedingten Umsatzrückgang von mehr als 20 Prozent.
Die Pläne zu Sparmaßnahmen beim Autozulieferer ZF sind offenbar konkreter, als in dem Schreiben an die Mitarbeiter vom Mittwoch verkündet wurde. Selbst das Ende ganzer Standorte schließt der Konzern nicht aus, wie aus einem Papier hervorgeht, das der Saarbrücker Zeitung vorliegt. Kreise im Umfeld des Konzerns bestätigten, dass es sich dabei um eine Mitteilung des Vorstands an die ZF-Führungskräfte handelt. Konzern und Betriebsrat wollten sich dazu auf Anfrage nicht äußern. ZF hatte die Mitarbeiter am Mittwoch über Sparmaßnahmen und den Abbau von bis zu 15 000 Stellen informiert (wir berichteten).
Durch den Corona-Shutdown habe der Fahrzeugbau „den mit Abstand stärksten Einbruch aller Industriebranchen in Deutschland“erlebt, heißt es nun in der Mitteilung. „Wir haben quasi über Nacht zehn Jahre verloren.“Für das laufende Jahr rechnet ZF demnach mit einem Umsatzrückgang von über 20 Prozent. „Das entspricht einem Minus von acht Milliarden und mehr.“Auch für die kommenden beiden Jahre gebe es „keinerlei Anzeichen, dass wir das Vorkrisenniveau erreichen könnten“. Im vergangenen Jahr hatte der Zulieferer mit seinen weltweit 148 000 Mitarbeitern noch 36,5 Milliarden Euro umgesetzt.
Durch den Einbruch sei die „finanzielle Unabhängigkeit von ZF akut“gefährdet, heißt es weiter. „Wenn wir bestimmte Kennzahlen verfehlen, könnten externe Kreditgeber Einfluss auf unsere Geschäftsentscheidungen fordern.“Sollte es dazu kommen, könnten „Finanzkennzahlen Vorrang haben vor Investitionen in Zukunftstechnologien und den Interessen der Mitarbeiter“, so die Mitteilung. „Der ZF-Weg, den wir weiter gehen wollen, wäre dann nicht mehr gangbar.“
Der angekündigte Abbau von bis zu 15 000 Stellen weltweit, davon bis zu 7500 in Deutschland, sei notwendig. „Wenn wir dauerhaft mit weniger Umsatz rechnen, sind unsere jetzigen Strukturen und Ressourcen in Summe zu groß“, heißt es in dem Schreiben.
Betriebsbedingte Kündigungen will ZF offenbar weiterhin vermeiden – sie sind der Mitteilung zufolge die „ultima ratio“. Der Konzern geht „auch für 2021 und 2022 davon aus, dass wir mit den anderen Instrumenten zusammen mit den Betriebsräten andere Lösungen finden können“. Der Abbau soll stattdessen mit einer „Nicht-Wiederbesetzung von Stellen, freiwilligen Abfindungen und durch eine breit angelegte Nutzung von Altersteilzeit erreicht werden“. Der Mitteilung zufolge rechnet ZF mittelfristig auch für diejenigen, die an Bord bleiben, mit einer „weiteren Senkung der Arbeitszeit“. Betriebsrat und IG Metall hatten schon am Donnerstag angekündigt, um jeden Arbeitsplatz kämpfen zu wollen.
Doch die Arbeitnehmervertreter müssen sich möglicherweise nicht nur um einzelne Arbeitsplätze Sorgen machen. Denn laut Mitteilung schließt ZF sogar komplette Standortschließungen nicht aus. „Die Auswirkungen von Corona sind dazu viel zu gravierend“, heißt es in dem Papier. Gemeinsam mit den Betriebsräten sollten nun zumindest „mittelfristige Perspektiven für die Standorte“geprüft werden. Dass das Werk in Saarbrücken mit seinen 9000 Mitarbeitern geschlossen werden könnte, ist allerdings extrem unwahrscheinlich. Die hiesige ZF-Produktionsstätte ist nicht nur die größte in Deutschland, sondern auch weltweites Leitwerk für die Getriebefertigung. Derzeit investiert der Konzern in Saarbrücken 800 Millionen Euro in die vierte Generation des Achtgang-Automatikgetriebes, für das bereits Bestellungen in zweistelliger Milliardenhöhe vorliegen.
Die Vereinbarungen zwischen Konzern und Betriebsrat, nach denen betriebsbedingte Kündigungen bei ZF eigentlich bis zum Jahr 2022 ausgeschlossen sind, enthalten offenkundig „‚Hagelschlagklauseln‘, denen zufolge von den Vereinbarungen abgewichen werden kann, wenn unvorhersehbare massive wirtschaftliche Verwerfungen eintreten“, heißt es in dem Papier. „Das bedeutet aber nicht, dass die Vereinbarungen jetzt nicht mehr gelten. Sondern wir sind an den Standorten aufgefordert, mit den Betriebsräten passende Lösungen zu finden.“Der Saarbrücker Betriebsratschef Mario Kläs hatte bereits am Donnerstag verkündet, „alles daranzusetzen, dass ZF die Vereinbarung einhält“.
In dem Schreiben sind auch Forderungen an Betriebsrat und Mitarbeiter enthalten. Demnach will der Konzern in diesem Jahr den „Zusatzbetrag des tariflichen Zusatzgeldes nicht auszahlen“. Auch eine Verlängerung der Kurzarbeit für den Rest des Jahres ist geplant. Darüber hinaus wird es der Mitteilung zufolge keine betriebliche Erfolgsbeteiligung für die ZF-Mitarbeiter geben. Eine weitere Reduzierung des Entgelts ist demnach ebenfalls im Gespräch. Über diese Punkte und über „neue Angebote für die Altersteilzeit sowie von Abfindungspaketen“will der Konzern nun mit dem Betriebsrat verhandeln.
ZF verteidigt in dem Schreiben auch die 6,2 Milliarden Euro teure Übernahme des US-amerikanischen Bremsenherstellers Wabco, für die der Zulieferer hohe Kredite aufgenommen hatte. „Alle wesentlichen Entscheidungen bezüglich der Akquise und deren Finanzierung wurden bereits vor der Corona-Krise getroffen“und seien somit weiterhin gültig. „Wabco ist zudem ein erfolgreiches und wertvolles Unternehmen“, heißt es in der Mitteilung. Durch die Übernahme würden „langfristig neue Marktchancen“eröffnet. Der Zukauf sichere die „Nutzfahrzeugdivision und deren Standorte“. Wie ZF mitteilt, wurde die Übernahme am Freitag endgültig unter Dach und Fach gebracht.
„Wir haben quasi über Nacht zehn Jahre verloren.“
ZF-Mitteilung