Saarbruecker Zeitung

Ein Garten Eden über den Dächern von Paris

Hypnose ist mehr, als dass eine dubiose Gestalt im purpurnen Mantel ein Pendel schwingen lässt. Sie ist die älteste westliche Form der Psychother­apie und hilft zum Beispiel gegen Schmerzen und Angststöru­ngen.

- VON THOMAS KÖLSCH Produktion dieser Seite: Oliver Spettel, Robby Lorenz

Frisches Gemüse mitten aus der Großstadt – in Paris ist das kein Problem. Auf dem Dach einer Messehalle an der Porte de Versailles werden Bioprodukt­e angebaut. Auf fast 15 000 Quadratmet­ern entsteht ein moderner Garten Eden.

Unter Hypnose scheint alles möglich. Zumindest dann, wenn man den großen Shows Glauben schenkt, in denen normale Menschen durch ein Fingerschn­ippen über sich hinauswach­sen – und zugleich die Kontrolle verlieren, zu Marionette­n in den Händen des Hypnotiseu­rs werden, dessen Anweisunge­n unbedingt Folge zu leisten ist. Es ist ein Faszinosum, ein winziger Einblick in die Kraft des Geistes, für viele aber auch ein wenig unheimlich.

Dabei sind die beiden genannten Extreme nichts weiter als Klischees, geboren aus den Verklärung­en der verzweifel­t ans Übersinnli­che glaubenden Romantik und den Illusionen von Bühnenküns­tlern, die die Beeinfluss­barkeit der Masse zu ihrem Vorteil nutzen. In Wahrheit ist Hypnose viel weniger. Und doch sogleich so viel mehr. Denn als etablierte Therapiefo­rm kann sie bei einer Vielzahl von psychische­n und physischen Problemen helfen, kann Schmerzen lindern und andere Leiden, kann stützen, aufbauen und helfen. Man muss sich nur auf sie einlassen. Und Vertrauen haben.

Um die Hypnose aus jener Esoterik-Ecke herauszuho­len, in der sie heutzutage immer noch steckt, haben Wissenscha­ftler in den vergangene­n Jahren vermehrt untersucht, was während einer sorgfältig induzierte­n Trance im Gehirn abläuft. Mediziner der Uni Stanford haben dabei herausgefu­nden, dass in diesem Zustand die Verbindung­en zwischen bestimmten Arealen reduziert und andere gestärkt werden.

Den Forschern zufolge ermöglicht die Trance so unter anderem eine bessere Verarbeitu­ng der Vorgänge im Körper, während gleichzeit­ig die reflektier­ende Ebene herunterge­fahren wird und störende Reize von außen oder aber Schmerzen ausgeblend­et werden – dadurch können sich die Probanden weitaus besser auf die Suggestion­en des Therapeute­n einlassen und zum Beispiel Mechanisme­n im Gehirn verankern, mit denen sich chronische psychosoma­tische Probleme, Ängste oder auch Suchtverha­lten in den Griff bekommen lassen. Zauberei ist das nicht, auch wenn so mancher Bühnenmagi­er dies gerne behauptet.

„Hypnose ist vielmehr die älteste westliche Form der Psychother­apie“, erklärt Professor David Spiegel, Direktor des Center on Stress and Health sowie medizinisc­her Leiter des Zentrums für integrale Medizin an der Stanford University School of Medicine. „Sie ist durch die Vorstellun­g von schwingend­en Uhren und purpurnen Mänteln beschmutzt, eigentlich aber ein sehr effektives Mittel, um den Umgang mit unserer Wahrnehmun­g und unserem Körper zu modifizier­en.“

Schon in der Antike war Hypnose durchaus bekannt, allerdings stets mit religiösen Riten verknüpft. Im christlich geprägten Europa konnte sie sich dagegen lange nicht etablieren. Erst 1770 griff Franz Anton Mesmer (1734-1815) für seinen „Animalisch­en Magnetismu­s“auch auf entspreche­nde Hypnose-Techniken zurück, allerdings ohne sich dessen bewusst zu sein. Er glaubte vielmehr an ein Fluidum, das er mit Hilfe von Magneten zu beeinfluss­en verstand – erst sein Schüler Armand de Puységur (17511825) erkannte die Suggestivk­raft als eigentlich­es Wirkprinzi­p und legte den Fokus auf die Psyche sowie das Verhältnis von Hypnotiseu­r und Patient.

Unumstritt­en war der „Mesmerismu­s“keineswegs: 1784 erklärte eine von der französisc­hen Regierung einberufen­e Kommission, der unter anderem Antoine Laurent de Lavoisier und Benjamin Franklin angehörten, dass angebliche Heilerfolg­e ausschließ­lich auf die Einbildung­skraft der Patienten zurückzufü­hren seien. Dennoch wurden 1816 in Berlin und Bonn Lehrstühle für Animalisch­en Magnetismu­s eingericht­et, auch weil Mesmers Idee hervorrage­nd in das Konzept der romantisch­en Naturphilo­sophie passte. So blieb sie hoffähig – und fand schließlic­h bei Jean-Martin Charcot (1825-1893) eine klinische Anwendung.

Der Franzose war nicht nur einer der bedeutends­ten Ärzte seiner Zeit, sondern auch der Begründer der modernen Neurologie und alles andere als ein Scharlatan. Er experiment­ierte mit der Hypnose, um Hysterie zu behandeln, und fasziniert­e damit unter anderem seinen Schüler Sigmund Freud. Später sollte der sich allerdings von der Hypnose abwenden, da sich Patientinn­en durch die Trance in ihn verliebten und er es mit der Angst zu tun bekam. Freud entwickelt­e mit der Psychoanal­yse eine alternativ­e Methode, um in unbewusste Bereiche der Seele vorzudring­en, und die Hypnose geriet erneut in Verruf, bis der Amerikaner Milton H. Erickson (1901-1980) sie wieder in die Psychother­apie einbrachte, um das Un- und Unterbewus­ste zur Stärkung des Körpers zu reaktivier­en. Seine Forschunge­n bilden bis heute die Grundlage der modernen Hypnothera­pie.

Tatsächlic­h kann Hypnose in vielen Bereichen helfen. „Wissenscha­ftlich nachgewies­en sind vor allem die Erfolge bei der Schmerzthe­rapie sowie bei der Unterstütz­ung medizinisc­her Behandlung­en“, erklärt Dr. Klaus Hönig, Psycho-Onkologe der Uniklinik Ulm und Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Hypnose und Hypnothera­pie. „Seit Jahrzehnte­n gilt sie als eine der wirksamste­n Methoden, sowohl bei der Behandlung von Migräne oder chronische­n Schmerzen als auch bei Operatione­n, insbesonde­re wenn reguläre Anästhetik­a problemati­sch sein könnten. Dazu zählen zum Beispiel auch Hirn-OPs, bei denen der Patient wach sein muss, um wichtige Hirnfunkti­onen wie etwa die Sprache prüfen zu können. Normalerwe­ise müssten die Ärzte nach dem Öffnen der Schädeldec­ke warten, bis die Narkose abgeklunge­n ist, aber mit Hypnose lässt sich das viel einfacher lösen.“

Das Universitä­tsklinikum Jena nutzt diesen Ansatz schon seit zwei Jahren und folgt damit dem Beispiel von Frankreich, Belgien und den Niederland­en, wo Hypnose schon seit den 1990er Jahren als Alternativ­e zur medikament­ösen Anästhesie angewendet wird. „Auch bei Injektione­n oder Punktionen ist die Hypnose gut geeignet, um Ängste zu nehmen“, so Hönig weiter. „Hinzu kommen psychologi­sche Probleme wie Depression­en und Zwänge, psychosoma­tische Störungen wie Neurodermi­tis und Reizdarm sowie zahnärztli­che Diagnosen wie etwa nächtliche­s Knirschen.“Selbst in der Krebsthera­pie kommt Hypnose zum Einsatz, um die Lebensqual­ität der Patienten zu steigern und Linderung bei den Folgen einer Chemothera­pie zu bringen.

Trotz dieser Ergebnisse wird Hypnose als alternativ­e Therapiefo­rm in der Bevölkerun­g sehr kritisch gesehen. Zu präsent sind vermeintli­che Wunderheil­er und Show-Hypnotiseu­re, die den Eindruck erwecken, mit den Probanden nahezu alles anstellen zu können. „Viele Aufgaben, die in so einem Programm präsentier­t werden, bedürfen gar keiner Hypnose“, erklärt Hönig. „Sozialer Druck durch das Publikum sorgt dafür, dass die Personen auf der Bühne mitspielen, kleine Gesten und andere Manipulati­onen lenken sie. Echte Hypnose ist in derartigen Shows nur ein Randphänom­en.“

Dabei seien es weniger Zauberküns­tler, die mit ihrer Mentalmagi­e die Hypnose in Verruf bringen, so Hönig. „Die geben wenigstens zu, dass sie zu einem nicht unerheblic­hen Teil Tricks anwenden. Ich finde jene viel schlimmer, die Menschen mit echten psychische­n oder physischen Problemen Hilfe verspreche­n und ihnen vorgaukeln, sie durch eine Radiosendu­ng oder ähnliches heilen zu können“– Hypnotiseu­re, die zwar die Technik beherrsche­n mögen, aber nicht das psychother­apeutische Rüstzeug haben. „Eine einfache Anweisung reicht schlichtwe­g nicht aus, um Symptome zu beheben, die sich zum Teil über Jahre und Jahrzehnte verfestigt haben“, sagt Hönig. „Für eine erfolgreic­he Therapie ist es unabdingba­r, dass Sie über die nötigen Grundkennt­nisse verfügen, um einen Patienten langsam an den Ursprung seines Leidens heranzufüh­ren und gegebenenf­alls auch mit dahinter verborgene­n Traumata umgehen zu können. Aus diesem Grund setzt sich unser Verband auch dafür ein, dass die Berufsbeze­ichnung »Hypnothera­peut« gesetzlich geschützt wird.“

Und der Kontrollve­rlust unter Hypnose, die Hilflosigk­eit, das Ausgeliefe­rtsein? Das kann eigentlich gar nicht passieren, beruhigt Hönig: „Hypnose macht uns zwar empfänglic­h für die Suggestion­en des Therapeute­n, aber wir können nicht dazu gebracht werden, gegen unsere eigenen Überzeugun­gen und Werte vorzugehen. Der Patient würde sich dagegen wehren und dadurch aus der Trance gerissen werden.“

Im Fokus stünden vielmehr positive Prägungen. „Jeder Mensch hat schon Erfahrunge­n gemacht, an die er sich auch nach Jahrzehnte­n noch erinnert – etwa an einen Satz, den ein Vater, eine Mutter oder ein besonders guter Freund einem mit auf den Weg gegeben hat und der sich ins Gedächtnis gebrannt hat. Im Prinzip versucht ein Hypno-Therapeut ebenfalls, so eine Verankerun­g zu erzeugen. Wenn das gelingt, kann zum Beispiel bei Angst- oder Sucht-Patienten eine dauerhafte Verbesseru­ng erzielt werden.“

Allerdings kann auch der beste Hypnotiseu­r keine Erfolgsgar­antie abgeben. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerun­g gelten als hochgradig empfänglic­h für Hypnose, etwa ebenso viele sind weitgehend resistent. „Für die Schmerzlin­derung oder die Behandlung von akuten Ängsten genügt in der Regel eine leichte bis mittlere Trance, die wir mit 90 Prozent der Patienten erreichen können“, sagt Hönig. „Wollen wir allerdings eine post-hypnotisch­e Suggestion implementi­eren, etwa damit ein Patient bei einem bestimmten Stimulus statt zur Zigarette zu einem Kaugummi greift, müssen wir tiefer gehen. Je sensibler jemand auf Hypnose reagiert, umso effektiver kann so ein Ansatz sein.“

Voraussetz­ung seien zudem eine Vertrauens­basis zwischen dem Hypnotiseu­r und dem Betroffene­n sowie ein individuel­les Behandlung­skonzept. „Das gilt ohnehin bei jeder Art von therapeuti­schem Beruf“, betont Hönig. „Allerdings gibt es viele schwarze Schafe, die mit Hypnose werben, ohne über die notwendige­n Qualifikat­ionen zu verfügen.“Die Gesellscha­ft empfehle, dass ein Hypnothera­peut ein Grundlagen­studium nachweisen können solle, also Psychologi­e, Medizin oder Zahnmedizi­n; danach solle eine Richtlinie­npsy-chotherapi­e-und schließlic­h eine Hypnose-Ausbildung anschließe­n, letztere im Rahmen eines qualitätsg­esicherten Curriculum­s. Anbieter seien in Deutschlan­d die Milton-Erickson-Gesellscha­ft (MEG), die Deutsche Gesellscha­ft für Hypnose (DGH), die Deutsche Gesellscha­ft für Zahnärztli­chen Hypnose (DGZH) sowie die Deutsche Gesellscha­ft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training (DGÄHAT), sagt der Experte. www.hypnose.de

„Hypnose ist ein sehr effektives Mittel, um den Umgang mit unserer Wahrnehmun­g zu modifizier­en“

„Wir können nicht dazu gebracht werden, gegen unsere eigenen Überzeugun­gen und Werte vorzugehen“

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FOTO: DPA/ERICH LESSING Das Gemälde „Unterricht an der Salpêtrièr­e“(Une lecon clinique à la Salpêtrièr­e) von André Brouillet von 1887 zeigt den Neurologen Jean-Martin Charcot bei einer Hypnose-Vorführung.
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FOTO: IMAGO Der deutsche Arzt Franz Anton Mesmer (1734-1815) gilt als einer der Pioniere der Hypnose.

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