Ein Garten Eden über den Dächern von Paris
Hypnose ist mehr, als dass eine dubiose Gestalt im purpurnen Mantel ein Pendel schwingen lässt. Sie ist die älteste westliche Form der Psychotherapie und hilft zum Beispiel gegen Schmerzen und Angststörungen.
Frisches Gemüse mitten aus der Großstadt – in Paris ist das kein Problem. Auf dem Dach einer Messehalle an der Porte de Versailles werden Bioprodukte angebaut. Auf fast 15 000 Quadratmetern entsteht ein moderner Garten Eden.
Unter Hypnose scheint alles möglich. Zumindest dann, wenn man den großen Shows Glauben schenkt, in denen normale Menschen durch ein Fingerschnippen über sich hinauswachsen – und zugleich die Kontrolle verlieren, zu Marionetten in den Händen des Hypnotiseurs werden, dessen Anweisungen unbedingt Folge zu leisten ist. Es ist ein Faszinosum, ein winziger Einblick in die Kraft des Geistes, für viele aber auch ein wenig unheimlich.
Dabei sind die beiden genannten Extreme nichts weiter als Klischees, geboren aus den Verklärungen der verzweifelt ans Übersinnliche glaubenden Romantik und den Illusionen von Bühnenkünstlern, die die Beeinflussbarkeit der Masse zu ihrem Vorteil nutzen. In Wahrheit ist Hypnose viel weniger. Und doch sogleich so viel mehr. Denn als etablierte Therapieform kann sie bei einer Vielzahl von psychischen und physischen Problemen helfen, kann Schmerzen lindern und andere Leiden, kann stützen, aufbauen und helfen. Man muss sich nur auf sie einlassen. Und Vertrauen haben.
Um die Hypnose aus jener Esoterik-Ecke herauszuholen, in der sie heutzutage immer noch steckt, haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren vermehrt untersucht, was während einer sorgfältig induzierten Trance im Gehirn abläuft. Mediziner der Uni Stanford haben dabei herausgefunden, dass in diesem Zustand die Verbindungen zwischen bestimmten Arealen reduziert und andere gestärkt werden.
Den Forschern zufolge ermöglicht die Trance so unter anderem eine bessere Verarbeitung der Vorgänge im Körper, während gleichzeitig die reflektierende Ebene heruntergefahren wird und störende Reize von außen oder aber Schmerzen ausgeblendet werden – dadurch können sich die Probanden weitaus besser auf die Suggestionen des Therapeuten einlassen und zum Beispiel Mechanismen im Gehirn verankern, mit denen sich chronische psychosomatische Probleme, Ängste oder auch Suchtverhalten in den Griff bekommen lassen. Zauberei ist das nicht, auch wenn so mancher Bühnenmagier dies gerne behauptet.
„Hypnose ist vielmehr die älteste westliche Form der Psychotherapie“, erklärt Professor David Spiegel, Direktor des Center on Stress and Health sowie medizinischer Leiter des Zentrums für integrale Medizin an der Stanford University School of Medicine. „Sie ist durch die Vorstellung von schwingenden Uhren und purpurnen Mänteln beschmutzt, eigentlich aber ein sehr effektives Mittel, um den Umgang mit unserer Wahrnehmung und unserem Körper zu modifizieren.“
Schon in der Antike war Hypnose durchaus bekannt, allerdings stets mit religiösen Riten verknüpft. Im christlich geprägten Europa konnte sie sich dagegen lange nicht etablieren. Erst 1770 griff Franz Anton Mesmer (1734-1815) für seinen „Animalischen Magnetismus“auch auf entsprechende Hypnose-Techniken zurück, allerdings ohne sich dessen bewusst zu sein. Er glaubte vielmehr an ein Fluidum, das er mit Hilfe von Magneten zu beeinflussen verstand – erst sein Schüler Armand de Puységur (17511825) erkannte die Suggestivkraft als eigentliches Wirkprinzip und legte den Fokus auf die Psyche sowie das Verhältnis von Hypnotiseur und Patient.
Unumstritten war der „Mesmerismus“keineswegs: 1784 erklärte eine von der französischen Regierung einberufene Kommission, der unter anderem Antoine Laurent de Lavoisier und Benjamin Franklin angehörten, dass angebliche Heilerfolge ausschließlich auf die Einbildungskraft der Patienten zurückzuführen seien. Dennoch wurden 1816 in Berlin und Bonn Lehrstühle für Animalischen Magnetismus eingerichtet, auch weil Mesmers Idee hervorragend in das Konzept der romantischen Naturphilosophie passte. So blieb sie hoffähig – und fand schließlich bei Jean-Martin Charcot (1825-1893) eine klinische Anwendung.
Der Franzose war nicht nur einer der bedeutendsten Ärzte seiner Zeit, sondern auch der Begründer der modernen Neurologie und alles andere als ein Scharlatan. Er experimentierte mit der Hypnose, um Hysterie zu behandeln, und faszinierte damit unter anderem seinen Schüler Sigmund Freud. Später sollte der sich allerdings von der Hypnose abwenden, da sich Patientinnen durch die Trance in ihn verliebten und er es mit der Angst zu tun bekam. Freud entwickelte mit der Psychoanalyse eine alternative Methode, um in unbewusste Bereiche der Seele vorzudringen, und die Hypnose geriet erneut in Verruf, bis der Amerikaner Milton H. Erickson (1901-1980) sie wieder in die Psychotherapie einbrachte, um das Un- und Unterbewusste zur Stärkung des Körpers zu reaktivieren. Seine Forschungen bilden bis heute die Grundlage der modernen Hypnotherapie.
Tatsächlich kann Hypnose in vielen Bereichen helfen. „Wissenschaftlich nachgewiesen sind vor allem die Erfolge bei der Schmerztherapie sowie bei der Unterstützung medizinischer Behandlungen“, erklärt Dr. Klaus Hönig, Psycho-Onkologe der Uniklinik Ulm und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie. „Seit Jahrzehnten gilt sie als eine der wirksamsten Methoden, sowohl bei der Behandlung von Migräne oder chronischen Schmerzen als auch bei Operationen, insbesondere wenn reguläre Anästhetika problematisch sein könnten. Dazu zählen zum Beispiel auch Hirn-OPs, bei denen der Patient wach sein muss, um wichtige Hirnfunktionen wie etwa die Sprache prüfen zu können. Normalerweise müssten die Ärzte nach dem Öffnen der Schädeldecke warten, bis die Narkose abgeklungen ist, aber mit Hypnose lässt sich das viel einfacher lösen.“
Das Universitätsklinikum Jena nutzt diesen Ansatz schon seit zwei Jahren und folgt damit dem Beispiel von Frankreich, Belgien und den Niederlanden, wo Hypnose schon seit den 1990er Jahren als Alternative zur medikamentösen Anästhesie angewendet wird. „Auch bei Injektionen oder Punktionen ist die Hypnose gut geeignet, um Ängste zu nehmen“, so Hönig weiter. „Hinzu kommen psychologische Probleme wie Depressionen und Zwänge, psychosomatische Störungen wie Neurodermitis und Reizdarm sowie zahnärztliche Diagnosen wie etwa nächtliches Knirschen.“Selbst in der Krebstherapie kommt Hypnose zum Einsatz, um die Lebensqualität der Patienten zu steigern und Linderung bei den Folgen einer Chemotherapie zu bringen.
Trotz dieser Ergebnisse wird Hypnose als alternative Therapieform in der Bevölkerung sehr kritisch gesehen. Zu präsent sind vermeintliche Wunderheiler und Show-Hypnotiseure, die den Eindruck erwecken, mit den Probanden nahezu alles anstellen zu können. „Viele Aufgaben, die in so einem Programm präsentiert werden, bedürfen gar keiner Hypnose“, erklärt Hönig. „Sozialer Druck durch das Publikum sorgt dafür, dass die Personen auf der Bühne mitspielen, kleine Gesten und andere Manipulationen lenken sie. Echte Hypnose ist in derartigen Shows nur ein Randphänomen.“
Dabei seien es weniger Zauberkünstler, die mit ihrer Mentalmagie die Hypnose in Verruf bringen, so Hönig. „Die geben wenigstens zu, dass sie zu einem nicht unerheblichen Teil Tricks anwenden. Ich finde jene viel schlimmer, die Menschen mit echten psychischen oder physischen Problemen Hilfe versprechen und ihnen vorgaukeln, sie durch eine Radiosendung oder ähnliches heilen zu können“– Hypnotiseure, die zwar die Technik beherrschen mögen, aber nicht das psychotherapeutische Rüstzeug haben. „Eine einfache Anweisung reicht schlichtweg nicht aus, um Symptome zu beheben, die sich zum Teil über Jahre und Jahrzehnte verfestigt haben“, sagt Hönig. „Für eine erfolgreiche Therapie ist es unabdingbar, dass Sie über die nötigen Grundkenntnisse verfügen, um einen Patienten langsam an den Ursprung seines Leidens heranzuführen und gegebenenfalls auch mit dahinter verborgenen Traumata umgehen zu können. Aus diesem Grund setzt sich unser Verband auch dafür ein, dass die Berufsbezeichnung »Hypnotherapeut« gesetzlich geschützt wird.“
Und der Kontrollverlust unter Hypnose, die Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein? Das kann eigentlich gar nicht passieren, beruhigt Hönig: „Hypnose macht uns zwar empfänglich für die Suggestionen des Therapeuten, aber wir können nicht dazu gebracht werden, gegen unsere eigenen Überzeugungen und Werte vorzugehen. Der Patient würde sich dagegen wehren und dadurch aus der Trance gerissen werden.“
Im Fokus stünden vielmehr positive Prägungen. „Jeder Mensch hat schon Erfahrungen gemacht, an die er sich auch nach Jahrzehnten noch erinnert – etwa an einen Satz, den ein Vater, eine Mutter oder ein besonders guter Freund einem mit auf den Weg gegeben hat und der sich ins Gedächtnis gebrannt hat. Im Prinzip versucht ein Hypno-Therapeut ebenfalls, so eine Verankerung zu erzeugen. Wenn das gelingt, kann zum Beispiel bei Angst- oder Sucht-Patienten eine dauerhafte Verbesserung erzielt werden.“
Allerdings kann auch der beste Hypnotiseur keine Erfolgsgarantie abgeben. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung gelten als hochgradig empfänglich für Hypnose, etwa ebenso viele sind weitgehend resistent. „Für die Schmerzlinderung oder die Behandlung von akuten Ängsten genügt in der Regel eine leichte bis mittlere Trance, die wir mit 90 Prozent der Patienten erreichen können“, sagt Hönig. „Wollen wir allerdings eine post-hypnotische Suggestion implementieren, etwa damit ein Patient bei einem bestimmten Stimulus statt zur Zigarette zu einem Kaugummi greift, müssen wir tiefer gehen. Je sensibler jemand auf Hypnose reagiert, umso effektiver kann so ein Ansatz sein.“
Voraussetzung seien zudem eine Vertrauensbasis zwischen dem Hypnotiseur und dem Betroffenen sowie ein individuelles Behandlungskonzept. „Das gilt ohnehin bei jeder Art von therapeutischem Beruf“, betont Hönig. „Allerdings gibt es viele schwarze Schafe, die mit Hypnose werben, ohne über die notwendigen Qualifikationen zu verfügen.“Die Gesellschaft empfehle, dass ein Hypnotherapeut ein Grundlagenstudium nachweisen können solle, also Psychologie, Medizin oder Zahnmedizin; danach solle eine Richtlinienpsy-chotherapie-und schließlich eine Hypnose-Ausbildung anschließen, letztere im Rahmen eines qualitätsgesicherten Curriculums. Anbieter seien in Deutschland die Milton-Erickson-Gesellschaft (MEG), die Deutsche Gesellschaft für Hypnose (DGH), die Deutsche Gesellschaft für Zahnärztlichen Hypnose (DGZH) sowie die Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training (DGÄHAT), sagt der Experte. www.hypnose.de
„Hypnose ist ein sehr effektives Mittel, um den Umgang mit unserer Wahrnehmung zu modifizieren“
„Wir können nicht dazu gebracht werden, gegen unsere eigenen Überzeugungen und Werte vorzugehen“