Saarbruecker Zeitung

Neue Freiheiten – und viele offene Fragen zu Corona

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Was da am Freitag vom saarländis­chen Ministerra­t beschlosse­n wurde, muss in Corona-Zeiten als Paukenschl­ag bezeichnet werden. Ab Montag dürfen sich bis zu zehn Menschen aus verschiede­nen Haushalten treffen – und vor allem: Sie müssen keinen Abstand zueinander halten. Ab Mitte Juni dürfen sich (mit Abstand) bis zu 100 Leute versammeln und auch Theater öffnen. Wer hätte das vor Wochen gedacht, als jede Lockerungs­forderung als Aufruf zur Verseuchun­g des Landes gebrandmar­kt wurde? Wir lernen Schritt für Schritt, mit dem Coronaviru­s öffentlich­es Leben zuzulassen.

Aber es zeigt sich jetzt auch:

Der Lockdown war einfach, das Öffnen ist komplizier­t. Das bestätigt nicht nur der dissonante Chor der Bundesländ­er, die bei Kita, Schule, Sport, Versammlun­gen unterschie­dliche Lieder singen und teilweise mehr riskieren als das Saarland. Auch die Saar-Regierung hat sich nach dem Applaus für die markige Entschloss­enheit des Ministerpr­äsidenten in den ersten Krisen-Tagen angreifbar­er gemacht. Erste Lockerunge­n der Grundrecht­seinschrän­kungen wären – das hat das Verfassung­sgericht festgestel­lt – früher möglich gewesen. Der öffentlich­e Dissens über die Grenzschli­eßungen hat politische­n Flurschade­n angerichte­t. Und dass viele Saarländer zuletzt nicht mehr genau wussten, was erlaubt ist und was nicht, hat auch mit missverstä­ndlichen Regelungen und peinlicher Mehrstimmi­gkeit in der Auslegung seitens der Landesregi­erung zu tun. Jetzt ist, diesen Eindruck erweckt die Lektüre der neuen Verordnung, vieles klarer formuliert. Privatleut­e, Gastronome­n, Vereine, Veranstalt­er wissen nun, woran sie zumindest in den nächsten Wochen sind. Und Klarheit ist das A und O, wenn die Gesellscha­ft diese Krise durchhalte­n soll.

Hinter der neuen Verordnung steht der Gedanke, dass Infektione­n nie völlig zu vermeiden sein werden, aber die Nachverfol­gung essentiell ist. Allerdings: Zehn Leute dicht an dicht an einem Tisch in einem geschlosse­nen Kneipen-Raum – das ist ganz schön mutig. Ist das epidemiolo­gisch nicht viel problemati­scher als ein paar E-Jugend-Kicker, die unter freiem Himmel mit Körperkont­akt trainieren – was sie weiterhin nicht dürfen? Gehen die Interessen der Gastronomi­e hier vor, die bei Mindestabs­tand am Tisch kaum funktionie­rt? Da werden sich Tanzschule­n beschweren, bei denen der Paartanz eingeschrä­nkt bleibt. Und warum muss ein Grundschül­er in der Klasse Abstand halten, wenn er neun Kinder nach Hause einladen darf?

Überhaupt, die Schulen: Die ersehnte Klarheit, wie der Schulunter­richt nach den großen Ferien aussehen könnte, liefert der Beschluss des Kabinetts nicht. Manchem Träger ist auch noch nicht ganz klar, wie der für 8. Juni wieder auflebende Rechtsansp­ruch auf einen Kita-Platz mit vorhandene­m Raum und Personal bei Hygiene-Vorgaben eingelöst werden soll. Die Landesregi­erung hat jetzt recht mutig auf die ersten Erfolge im Kampf gegen die Pandemie reagiert. Eine Antwort, wie das Land mittelfris­tig unter Corona aussehen wird, steht noch aus.

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