Wie viele Schulden kann sich Deutschland leisten?
Nach Jahren der schwarzen Null treiben die Corona-Rekordschulden vielen in der Bundesrepublik die Sorgenfalten auf die Stirn. Zu Recht?
Zu Jahresbeginn lief sie noch rückwärts, jetzt tickt die Staatsschuldenuhr des Steuerzahlerbundes munter in die andere Richtung. Deutschland wird wegen der Corona-Pandemie so viele Kredite aufnehmen wie noch nie in einem Jahr. 156 Milliarden Euro sind schon bewilligt. Dabei wird es jedoch kaum bleiben, denn jetzt soll ein milliardenschweres Konjunkturprogramm der Wirtschaft auf die Beine helfen. Immer lauter stellt sich auch die Frage, wie viele Schulden sich Deutschland eigentlich leisten kann. Wie soll der Staat das ganze Geld jemals zurückzahlen – oder muss er das vielleicht gar nicht?
Im internationalen Vergleich gilt Deutschland finanzpolitisch als Streber. Die Haushalte solide, sechs Jahre in Folge stand die schwarze Null. Dann die Pandemie – und die Bundesrepublik wurde Hilfsprogramm-Weltmeister. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erwartet, dass die Schuldenquote, also die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, von unter 60 auf 75 Prozent steigt. Verglichen mit anderen steht die Bundesrepublik aber auch dann noch ziemlich solide da. In den Industriestaaten weltweit steigt die Verschuldung gerade wie sonst nur in Kriegszeiten.
Kann sich Deutschland vor diesem Hintergrund möglicherweise doch mehr Kredite erlauben, als viele denken? Die Schuldenbremse ist für 2020 ausgesetzt. 20 Jahre hat Vizekanzler Scholz dem Bund eingeräumt, um die Schulden aus der Corona-Krise zurückzuzahlen. Aus Sicht von Ökonomen ist das viel zu ambitioniert. „Ein fester Zeitplan zur Tilgung ist eigentlich nicht nötig“, meint Steuerexperte Martin Beznoska vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Es reiche völlig aus, bald wieder die schwarze Null einzuhalten. Bei steigender Wirtschaftsleistung werde Deutschland mit der Zeit einfach aus seinen Schulden rauswachsen.
„Der Staat muss Schulden in den meisten Fällen nie zurückzahlen“, sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. „Uns Menschen gibt die Bank irgendwann keinen Kredit mehr, weil wir ihn nach dem Tod nicht mehr zurückzahlen können“, erläutert der Ökonom. Doch anders als ein Mensch lebe ein Staat ewig. Deshalb muss das Loch aus Sicht der Wissenschaftler auch nicht über Vermögensabgaben, Steuererhöhungen oder Kürzungen von Sozialausgaben gestopft werden, wie manche fordern. Auch die Ökonomen plädieren nicht für unbegrenzte Schulden – sie sehen aber deutlichen Spielraum. Wichtig sei, dass der Bund die Zinsen aus seinen Steuereinnahmen bedienen könne, sagt Beznoska. „Solange der Staat am Kapitalmarkt weiter zu vernünftigen Zinsen Geld bekommt, ist es kein Problem, Schulden zu haben.“
Derzeit zahlt der Bund im Jahr laut Fratzscher rund 14 Milliarden Euro an Zinsen. „Das sind 0,3 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung oder 3,5 Prozent der Steuereinnahmen – ein sehr geringer Anteil“, meint er. Entscheidend sei aber auch, welche Vermögenswerte ein Staat seinen Schulden entgegensetzen kann. Deshalb könne Japan seine hohe Schuldenquote einigermaßen schultern. Argentinien aber, das relativ zur Wirtschaftsleistung nicht höher verschuldet sei als Deutschland, sei quasi pleite.
Letztlich geht es aus Sicht der Ökonomen um eine entscheidende Frage: Wann denken die Anleger, der Staat habe ein Problem. „Wie viele Schulden man sich erlauben kann, hängt stark von der Glaubwürdigkeit der Regierung ab“, sagt Fratzscher. Sobald der Finanzmarkt, Investoren und Sparer, das Vertrauen verliere, könne es schnell kritisch werden, warnt Beznoska. Doch beide sind sich einig: Von so einer Situation sei Deutschland noch sehr, sehr weit entfernt.
„Der Staat muss Schulden in den meisten Fällen nie zurückzahlen.“
Marcel Fratzscher
Präsident des D eutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (D IW)