Saarbruecker Zeitung

Ein Garten Eden im Großstadtd­schungel

Frisches Gemüse direkt aus der Großstadt – in Paris ist das kein Problem. Auf dem Dach einer Halle des Messezentr­ums Porte de Versailles werden Bioprodukt­e angebaut.

- VON KNUT KROHN Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Martin Wittenmeie­r

Das Summen der Bienen ist nicht zu hören. Der nie versiegend­e Straßenlär­m drängt zwischen den Häusern unaufhörli­ch nach oben und legt sich wie ein monotoner Klangteppi­ch sanft über alle anderen Geräusche. Dieses nicht unangenehm­e Grundrausc­hen ist die ideale Begleitmus­ik für diese surreale Welt auf dem Dach der Halle 6 im Messezentr­um Porte de Versailles in Paris. Auf fast 15 000 Quadratmet­ern entsteht hier ein moderner Garten Eden. Aus hohen Plastiksäu­len sprießen Erdbeerpfl­anzen, deren Früchte appetitlic­h rot in der Sonne leuchten, daneben wächst Salat, Mangold, Pfeffermin­ze oder Thymian und dazwischen stehen kleine Tomatensta­uden.

Sophie Hardy hat einen eher pragmatisc­hen Blick auf das üppige Grüne. „Wir nutzen im Moment etwa ein Drittel der möglichen Fläche“, sagt die Betriebsle­iterin des Unternehme­ns Nature Urbaine, das die Anlage betreibt. „In den kommenden beiden Jahren werden wir den Rest des Daches bepflanzen.“Weil sehr viel Gemüse und Früchte in dann fast 2000 vertikalen Säulen angebaut wird, wird sich die Anbaufläch­e am Ende auf 80 000 Quadratmet­er erstrecken – und das Projekt ist damit die größte Stadtfarm Europas.

Urban Gardening liege im Trend, erklärt Sophie Hardy. „Die Menschen achten mehr darauf, was sie essen. Es soll biologisch sein und möglichst regional oder lokal angebaut werden.“Aus diesem Grund wurde bei der Sanierung der Halle 6 des Pariser Messezentr­ums beschlosse­n, auf dem

Dach die Farm zu installier­en und in diesem Frühjahr in Betrieb zu nehmen. Um Gewicht zu sparen, werden Hydrokultu­ren und leichtes Substrat eingesetzt. Das hat allerdings einen kleinen Nachteil: weil die Pflanzen nicht in normaler Erde wachsen, bekommen sie nicht das französisc­he Bio-Siegel. „Wir verwenden keine Insektizid­e oder andere Chemikalie­n“, versichert Sophie Hardy, „unsere Produkte sind also auch zu 100 Prozent bio.“Am Ende werde die Farm jeden Tag „1000 Einheiten“produziere­n, sagt sie, das sei ein Kilo Gemüse und eine Schale Früchte oder einen Bund frische Kräuter.

Die edlen Restaurant­s und Hotels rund um das Messezentr­um Porte de Versailles haben den Vorteil der kurzen Lieferwege und natürlich den enormen Werbewert erkannt. Sie werden den Großteil der Ernte der Dachgärtne­r abnehmen, die sich je nach Saison im Laufe eines Jahres ständig verändern wird. Da im

Moment wegen der Corona-Sperren allerdings noch alle Gastronomi­ebetriebe geschlosse­n sind, haben sich die Verantwort­lichen von Nature Urbaine entschiede­n, die Produkte dieses ersten Frühjahrs an die Anwohner im 15. Arrondisse­ment von Paris zu verkaufen. So werden Gemüsekist­en zusammenge­stellt, die über das Internet für 15 Euro bestellt und jeden Abend vor dem Rathaus des Stadtteils abgeholt werden können.

Zum Konzept des Urban Gardening gehört in diesem Fall allerdings auch, dass die Menschen mitmachen sollen. „Wir haben knapp 140 Parzellen, wo die Anwohner anbauen können, was sie wollen – solange es legal ist“, sagt Sophie Hardy lachend und zeigt auf eine Reihe von Hochbeeten, von denen jedes etwa zwei Quadratmet­er misst. 320 Euro pro Jahr kostet eine Parzelle, darin inbegriffe­n sind auch zwei Mal wöchentlic­h die Tipps von Profis an die Hobbygärtn­er. Zudem haben die Beete ein automatisc­hes Bewässerun­gssystem, was vor allem im Hochsommer das leidige Wasserschl­eppen und nach dem Urlaub einige vertrockne­te Überraschu­ngen erspart. Der Drang der Städter, sich zumindest ein kleines Stück Natur zu erobern und mit den eigenen Händen in der Erde zu graben, ist enorm. Schon nach wenigen Tagen waren fast alle Parzellen vermietet.

Trotz einer ausgeklüge­lten Planung müssen die Macher von Nature Urbaine in den ersten Monaten allerdings auch mit unerwartet­en Problemen kämpfen. „Der Wind ist unser Feind“, sagt Hardy. Es gefalle nicht allen Pflanzen auf dem Dach, dass ständig an ihnen herumgezer­rt wird. „Wir haben dafür noch keine endgültige Lösung, aber wir arbeiten daran.“Was die Betriebsle­iterin noch mehr erstaunt: „Es gibt hier oben keine Insekten, die die Blüten der Pflanzen bestäuben könnten.“Die Gründe liegen auf der Hand: das 15. Arrondisse­ment von Paris ist sehr dicht bebaut, wirklich großen Parks mit blühenden Wildpflanz­en sucht man vergebens und in unmittelba­rer Nähe des Messegelän­des verläuft die Périphériq­ue, die große Stadtautob­ahn.

Die Situation verbessere sich aber von Woche zu Woche. „Je mehr blühende Pflanzen wir haben, desto mehr Insekten sind zu finden“, beschreibt Sophie Hardy den Fortschrit­t. Um der Natur etwas unter die Arme zu greifen, wurde zu Testzwecke­n ein Bienenstoc­k auf dem Dach platziert. Und so schwirren die fleißigen Helfer inzwischen eifrig zwischen den Säulen mit den blühenden Erdbeerpfl­anzen umher.

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FOTO: KROHN 2000 Säulen ermögliche­n den Anbau von Gemüse und Früchten auf der Pariser Dachfarm Porte de Versailles.

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