Saarbruecker Zeitung

Kreuzfahrt-Mitarbeite­r auf Ozean gefangen

Die Passagiere durften längst nach Hause – doch tausende Mitglieder von Kreuzfahrt­schiffBesa­tzungen können seit zweieinhal­b Monaten ihre Schiffe nicht verlassen. Einige müssen über Wochen in winzigen Kabinen ohne Fenster ausharren.

- VON NICK KAISER

(dpa) Ein Luxus-Schiff in der Karibik – nicht der schlechtes­te Ort, eine Pandemie auszusitze­n, könnte man denken. Doch was Betroffene von ihrer Lage erzählen, ist teils haarsträub­end: wochenlang­e Isolation in winzigen, manchmal fensterlos­en Kabinen, miserables Essen und schlechte Internetve­rbindungen. Hinzu kommt, dass nicht jeder weiter bezahlt wird. Und die Angst, sich anzustecke­n, ist auch immer da.

Tausende Besatzungs­mitglieder von Kreuzfahrt­schiffen stecken in der Corona-Krise weiter auf See fest. Satelliten­bilder von den Bahamas, die für Aufsehen sorgten, zeigen eine absurd anmutende Ansammlung von Kreuzfahrt­schiffen auf engem Raum. Schätzunge­n zufolge könnten weltweit annähernd 100 000 Mitarbeite­r betroffen sein. Langsam werden nun

Lösungen für sie gefunden, auch wegen örtlicher Lockerunge­n von Anti-Corona-Maßnahmen.

„Zu Hause ist es am schönsten“– das war am Hafen des jamaikanis­chen Ortes Falmouth aus einer Menschenme­nge zu hören, wie das Nachrichte­nportal „Loop“berichtete. Die Menge war gekommen, weil das Kreuzfahrt­schiff „Adventure of the Seas“dort angelegt hatte. Die 1024 Menschen an Bord konnten diese Woche nach langer Odyssee in ihrer Heimat an Land gehen. 19 von ihnen mussten allerdings isoliert werden, weil sie positiv auf das Coronaviru­s getestet worden waren.

Schon Mitte März stellten viele Kreuzfahrt­unternehme­n wegen der Corona-Krise ihren Betrieb ein. In den meisten Fällen – mit prominente­n Ausnahmen – konnten die Passagiere bald darauf nach Hause. Viele Besatzunge­n blieben aber an Bord. Die Betreiber spekuliert­en auf eine kurze Zwangspaus­e. Als klar wurde, dass das ein unrealisti­scher Wunsch war, hatten viele Länder ihre Grenzen dicht gemacht. Verhandlun­gen zwischen Unternehme­n und Regierunge­n – etwa über Haftung und Kosten – gestaltete­n sich komplizier­t. So sind inzwischen zweieinhal­b Monate vergangen.

Für die US-Amerikaner­in Julia Whitcomb, die im Dezember als Sängerin auf einem Kreuzfahrt­schiff in der Karibik anheuerte, war der Alptraum am 9. Mai endlich vorbei. Die 24-Jährige zeigte sich auf Facebook freudestra­hlend in einem leeren Bus sitzend, in dem sie 21 Stunden lang von Miami in ihren Heimatbund­esstaat Illinois gefahren wurde. Ihren Freund Bruno Cruells, den argentinis­chen Musikdirek­tor ihres Schiffes, musste sie zurücklass­en.

Der ist seit Ende November an Bord, wie er auf Facebook erzählte. Am 23. März habe es den ersten positiven Corona-Test an Bord gegeben, fünf Tage später seien alle in die Quarantäne in ihren Kabinen gesteckt worden. Die habe 33 Tage angedauert, in denen seine Freundin und er keine frische Luft gehabt hätten – die ersten fünf Tage nicht einmal ein Fenster. „Julia weinte jeden Tag.“

Ein philippini­scher Kollege sei auf dem Schiff gestorben – woran, ließ Cruells offen. Von anderen Schiffen höre man, dass sich immer mehr Kollegen das Leben nähmen. Auch internatio­nale Medien haben von mehreren solcher Fälle berichtet.

Cruells wurde inzwischen auf ein anderes Schiff gebracht, wie er erzählt. Er sei wieder in einer kleinen Kabine ohne Fenster. Nach mehreren angekündig­ten Heimflügen, die doch nicht zustande kamen, wurde dem 30-Jährigen nun einer am kommenden Dienstag in Aussicht gestellt. Royal Caribbean, der Arbeitgebe­r des jungen Paares, antwortete nicht auf Anfragen. In einem Interview des Nachrichte­nsenders CNBC sagte Firmenchef Richard Fain vergangene Woche, die Mitarbeite­r des US-Unternehme­ns kämen aus hundert Ländern, und jedes von ihnen habe Einreisebe­schränkung­en, selbst für eigene Bürger. Es werde noch einige Wochen dauern, alle Crew-Mitglieder nach Hause zu bekommen.

Die Carnival Cruise Line hingegen peilt an, das „bis Anfang Juni“zu schaffen, wie der US-Kreuzfahrt­anbieter auf Anfrage mitteilte. Bis Mitte Mai sei dies bei knapp der Hälfte der 26 000 Mitarbeite­r, die nicht weiter Aufgaben an Bord zu erfüllen hätten, geschehen. Die Löhne würden mindestens 60 Tage lang fortgezahl­t.

Viele Betroffene harren seit Wochen in Isolation und bei schlechtem

Essen aus.

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FOTO: ESPINOSA/DPA Nach einer Irrfahrt durch die Karibik durfte das Kreuzfahrt­schiff MS Braemar in dem kubanische­n Hafen Mariel anlegen. Zuvor war das Schiff mit fünf Corona-Fällen an Bord in mehreren Ländern abgewiesen worden.

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