Saarbruecker Zeitung

Wenn Erinnerung erschwingl­ich wird

Ältere Autos erregen Aufmerksam­keit im Straßenbil­d, und man schaut ihnen mit Freude hinterher. Mit Spezialwer­kstätten, Messen und Klassiker-Rallyes hängt ein ganzer Wirtschaft­szweig am Garagengol­d.

- VON GUNDEL JACOBI

Die größte Oldtimer-Messe der Welt, die Retro Classics in Stuttgart, konnte gerade noch zu ihrem 20-jährigen Jubiläum Anfang März über die Bühne gehen, ehe sich wegen des Coronaviru­s der Vorhang für die Liebhaber historisch­er Automobile auf unbestimmt­e Zeit senkte. Rallyes und Ausfahrten sind zunächst bis in den Sommer hinein abgesagt, und ob sie im Herbst nachgeholt oder auf nächstes Jahr verschoben werden, weiß derzeit kein Mensch.

Aber das Interesse an dem älteren Blech bleibt lebhaft, außerdem werden rund 70 000 Exemplare der über 30 Jahre alten Autos von ihren Besitzern im Alltag genutzt. Insgesamt sind derzeit über 900 000 von ihnen in Deutschlan­d registrier­t. Sie dürfen mit diesem Alter ein H-Kennzeiche­n (H steht für historisch) tragen. Das bringt ihnen gewisse steuerlich­e Vorteile und erlaubt die Einfahrt in Umweltzone­n, obwohl ihre Abgaswerte keineswegs aktuellen Normen entspreche­n.

Naturgemäß sind rund 70 Prozent der Oldies deutscher Herkunft, den Rest teilen sich in etwa zu gleichen Teilen Autos aus Italien, Großbritan­nien, Frankreich und den USA. Ein kleiner Anteil von derzeit zwei Prozent stammt aus Japan. Der Grund ist klar: Der Import aus Fernost in namhaftere­n Stückzahle­n begann erst in den 1970er Jahren, die Mehrheit waren preisgünst­ige Gefährte, die nach Gebrauch auf dem Schrottpla­tz und nur selten in den Garagen der Liebhaber klassische­r Fahrzeuge landeten.

Sieht man sich die fahrfähige­n Typen an, so steht die Marke Volkswagen an der Spitze – dank des Käfers und seiner offenen Ausführung. Auch der Karmann Ghia wurde des Öfteren der Erhaltung für wert befunden. Auf Platz zwei liegt Mercedes, unter anderem deshalb, weil die Autos als unverwüstl­ich gelten und die Coupés und Cabrios seit jeher einen gewissen Aufmerksam­keitswert erzielen.

Den dritten Platz nimmt nicht etwa Porsche ein, obwohl ein Blick in die Starterlis­ten der Klassik-Rallyes diesen Eindruck vermitteln könnte. Oft gibt es ganze Herden von 911ern, und auch der Ur-Porsche 356 ist häufig zu sehen. Aber dank dem Gesetz der größeren Zahl – Porsche galt lange Zeit als teuer und dementspre­chend exklusiv – haben sich Ford und Opel an den Heckschleu­dern aus Stuttgart-Zuffenhaus­en

vorbeischi­eben können. Die Firma Sachsenrin­g schafft es mit rund 20 000 Trabant auf den achten Platz vor Audi und Citroën.

Da kommt die Kategorie Erinnerung ins Spiel. Wer seinen Führersche­in in einem Opel Kadett gemacht hat oder auf der Rückbank eines Ford Taunus 17M („Badewanne“) als Kind über die Alpen nach Rimini gefahren ist, findet es verlockend, im Alter ein Stück Jugend zurückzuge­winnen. In die gleiche Richtung zielen die Gefühle der Kinogänger.

Dort spielen fahrbare Untersätze mitunter wichtige Rollen, etwa in der Verfilmung von Erich Kästners Roman „Drei Männer im Schnee“, wo ein Mercedes Ponton in Szene gesetzt wird.

Einen Oldtimer zu besitzen, gilt als teures Hobby – zu Unrecht. Denn wer im Netz stöbert, kann durchaus fahrfähige Exemplare von 10 000 Euro an aufwärts finden. Dazu gehören US-amerikanis­che Straßenkre­uzer, die in riesigen Stückzahle­n gebaut wurden und in den wärmeren südlichen Bundesstaa­ten kein Streusalz gesehen haben. Der günstige Kaufpreis für die blubbernde­n V8-Schiffe relativier­t sich indes an der Tankstelle. Allerdings legt man in einem älteren Fahrzeug in der Regel keine längeren Strecken zurück, sondern genießt auf einer sonnigen Sonntagsau­sfahrt das Gefühl von vorgestern. Selbst klassische Rallyes sind in der Regel nicht länger als 500 Kilometer.

Kann man selber schrauben, ist man in jedem Falle finanziell auf der sicheren Seite. Hier ist der Weg das Ziel, nämlich das Auto in Betrieb zu halten. Von Schlagerst­ar Peter Kraus ist bekannt, dass er mit der Restaurier­ung eines Jaguar von eigener Hand den Tod seiner Tochter zu verarbeite­n versuchte. Er hätte sich gewiss eine teure Spezialwer­kstatt leisten können.

Vor einigen Jahren kamen Oldtimer als Geldanlage ins Gespräch und wurden zum regelrecht­en Spekulatio­nsobjekt. Das trieb die Preise in die Höhe. Laut Karl Ulrich Herrmann, dem Gründer und langjährig­en Leiter der Retro Classics, sind diese Zeiten allerdings vorbei. „Anleger haben mit dem vermeintli­chen Garagengol­d spekuliert. Da sie aber meist keinerlei Fachwissen besaßen, sind ihre Bemühungen geplatzt wie Seifenblas­en, und mancher hat viel Geld verloren.“

Der Markt hat sich wieder beruhigt mit bescheiden­en Wertzuwach­sraten, und auch Menschen mit mittleren Einkommen können sich einen Jugendtrau­m erfüllen. Laut einer Allensbach-Umfrage haben 15 Millionen Deutsche Interesse an Oldtimern, und 35 Millionen – also beinahe die Hälfte der Bevölkerun­g – schauen ihnen mit Freude hinterher.

 ?? FOTO: DAIMLER ?? Schloss Dyck im Rheinland mit seiner großzügige­n Parkanlage wird alljährlic­h zu einem Anziehungs­punkt für Fans automobile­r Klassik. Die Classic Days sind eine Oldtimerve­ranstaltun­g, die seit 2006 stattfinde­t.
FOTO: DAIMLER Schloss Dyck im Rheinland mit seiner großzügige­n Parkanlage wird alljährlic­h zu einem Anziehungs­punkt für Fans automobile­r Klassik. Die Classic Days sind eine Oldtimerve­ranstaltun­g, die seit 2006 stattfinde­t.
 ??  ?? Ein Alfa Spider bei der Paul-Pietsch-Classic 2017, einer Rallye für Oldtimer, die jährlich seit 2006 durchgefüh­rt wird.
Ein Alfa Spider bei der Paul-Pietsch-Classic 2017, einer Rallye für Oldtimer, die jährlich seit 2006 durchgefüh­rt wird.
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Schon Mitte der 60er-Jahre trat der Fiat 124 Spider in Erscheinun­g. Hier ein Blick ins historisch­e Cockpit.
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FOTOS: GUNDEL JACOB (4) Dieser Citroën Traction Avant war bei der Paul-PietschCla­ssic im Jahr 2014 zu bestaunen.
 ??  ?? Ein Peugeot 504 am Start der Pietsch-Classic 2018. Die Mittelklas­se-Baureihe wurde von 1968 bis 2005 produziert.
Ein Peugeot 504 am Start der Pietsch-Classic 2018. Die Mittelklas­se-Baureihe wurde von 1968 bis 2005 produziert.

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