Der Staat macht mich verdrossen
„Die schwierige Antwort auf die K-Frage der SPD“, SZ-Analyse, Ausgabe der Saarbrücker Zeitung vom 27. Mai
Auch ich glaube, die K-Frage in meiner Partei, der SPD, in der ich 50 Jahre Mitglied bin, ist schwierig. Trotzdem glaube ich, dass Rolf Mützenich die Eignung zum Kanzler hätte. Ich weiß aber nicht, ob ich überhaupt mal wieder wählen gehe. Zu tief ist bei mir die Staatsverdrossenheit, wenn man auf Dinge hinweisen muss, die nicht in Ordnung sind. Die Frau (FDP) eines SPD-Bürgermeisters, der zuvor in der FDP war, erhielt eine Stelle im SPD-geführten Landratsamt Saarlouis und vor acht Monaten eine Kommunalpolitikerin der FDP, im selben Landratsamt.
Ein Blick in den Werbeprospekt eines Discounters genügt: Schweine-Hackfleisch, 500-Gramm-Schale für nur 2,19 Euro. Man kann nur ahnen, welches Bauchgefühl beim Metzger um die Ecke aufkommt. Da braucht es eigentlich keine Corona-Krise mit Infizierten in engsten Unterkünften, um die seit Langem bekannten Arbeitsbedingungen in einigen großen Schlachtbetrieben mit verschachtelten Konstruktionen und verzweigten Subunternehmen ans Licht zu bringen. Die Arbeitsbedingungen von Osteuropäern mit überfüllten Unterkünften und Arbeitsschichten von mehr als zwölf Stunden sind bekannt. Wie man sieht: Preisdrückerei und Günstiger-geht-nicht-mehr-Angebote haben ihren Preis. Es trifft die Ärmsten der Armen. Diese Angelegenheit sollte auf EU-Ebene mit einheitlichen Vorgaben, Standards und Kontrollen der zuständigen Ämter zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU-Länder gelöst werden. Die ewige Leier „Der Verbraucher bestimmt durch gezielten Einkauf den Preis“funktioniert nicht wirklich.
Seit bald 100 Tagen beschäftigt uns nun schon die Corona-Problematik. Wie in jeder Krise ist zunächst einmal das Erschrecken groß, es gilt die Situation in den Griff zu bekommen. In diesem Stadium muss direkt gehandelt werden; ob richtig oder falsch darf durchaus unterschiedlich eingeschätzt werden, eine Bewertung ist nicht relevant. Eine Analyse danach muss dies aber bewerten, um Handlungsoptionen für die Zukunft entwickeln zu können. Nach Einschätzungen der Wissenschaft wird uns Covid-19 vielleicht noch zwei Jahre begleiten. Die aktuellen Einschränkungen der Grundrechte werden wir in dieser Zeit nicht aufrechterhalten können; nur Fantasten glauben dies. Deshalb müssen wir Deutschen erwarten, dass alle Verantwortlichen jetzt endlich in die Phase des Gestaltens übergehen. Wie kann die Welt mit und nicht gegen Corona leben; vielleicht mal Boris Palmer fragen und nicht als Verschwörungstheoretiker in die Ecke stellen. Wohlfeile Worte unseres, zugegebenermaßen eloquenten, Ministerpräsidenten sind hier nicht die Lösung; die Substanz fehlt.
Warum eine solche katastrophenträchtige Überschrift? Was soll diese Aussage? Angstmache! 60 000 Tote für das kleine Saarland ist meines Erachtens maßlos übertrieben. Ich halte es für verantwortungslosen Journalismus, eine solche reißerische Schlagzeile als Aufmachung für einen Artikel zu wählen. Diese Zahlenspiele helfen keinem. Und wenn man dann kritisiert, wird man in die rechte Ecke gedrängt. Ich muss als Hausarzt schon genügend Menschen beruhigen, die durch sensationsgeile Berichterstattung in fast panikartige Zustände verfallen. Ich bitte dringend um Mäßigung und vernunftgeprägte Berichterstattung.