Aktionskünstler Christo ist tot
Christo war mehr als nur „der Verpackungskünstler“. Jetzt starb er kurz vor seinem 85. Geburtstag in seiner Wahlheimat New York City.
Er galt als der Mann, der die Welt verpackte – nun ist Christo am Sonntag im Alter von 84 Jahren gestorben. In Deutschland wurde der in Bulgarien geborene Künstler vor allem durch die Verhüllung des Reichstages in Berlin bekannt. Die Aktion lockte 1995 fünf Millionen Besucher an. Ein Modell vom verpackten Parlamentsgebäude ist auf diesem Foto von 2015 im Hintergrund zu sehen.
Kultur
Sein spektakuläres „5600-Kubikmeter-Paket“für die documenta 4 in Kassel musste Christo sich 1968 vom Regierungspräsidium als „stationäres Luftfahrzeug“registrieren lassen und es ab Windstärke sechs am Boden sichern. Vier Versuche bedurfte es, um die „Riesenwurst“, wie die Kasseler das 85 Meter hohe Kunstobjekt nannten, „hochzukriegen“. Mal platze die Hülle, mal drückte eine Windböe den Zylinder zu Boden. Der „Riesenphallus“macht schlapp, titelte der Spiegel: „Der Überdruck war zu groß.“
Christo war einer der populärsten Künstler der Gegenwart. Immer wieder kam er nach Deutschland, um Projekte zu realisieren. In Köln fand 1961 seine erste Einzelausstellung statt, zu der er im Hafen gestapelte Ölfässer und große Industriepapierrollen verpackte (Dockside Passages). In Krefeld verhüllte er 1971 die Fußböden von Ludwig Mies van der Rohes Haus Lange. In Oberhausen stapelte er 1999 im Gasometer 13 000 Ölfässer und ließ 2013 dann sein „Big Air Package“steigen. Wie eine Made füllte das begehbare Luftpaket den riesigen Raum. Auf die Frage, was er sich dabei gedacht habe, antwortete er: „Jede Interpretation hat ihre Berechtigung. Aber der Grund ihrer Existenz liegt allein darin, etwas Schönes zu erschaffen.“
Am spektakulärsten aber war 1995 die Verhüllung des Reichstags in Berlin, zu der fünf Millionen Menschen pilgerten. Länger als 20 Jahre hatte Christo mit Ehefrau Jeanne-Claude an dem Projekt gearbeitet, das mehrmals abgelehnt wurde. Selbst 1994 kam es im Bundestag noch zu heftigen Debatten. Wolfgang Schäuble (CDU) lehnte die Reichstagsverhüllung ab, weil er fürchtete, dass „unsere demokratische Geschichte und Kultur“dadurch Schaden nehmen könne. Selbst ein Kulturmensch wie FAZ-Feuilletonchef Frank Schirrmacher (1959-2014) war dagegen, er verglich die Gigantomanie des Projektes mit der Architektur der Nazis und fragte, was die Symbolik des Staates noch wert sei, und ob es „Christos halbseidene Projektionsfläche“brauche, um nach der Wende an ein neues deutsches Selbstverständnis zu glauben. Was für ein Missverständnis! Als der Reichstag dann endlich verhüllt war, wurden die zwei Wochen zu einem Volksfest der Sinne.
Geboren wurde er am 13. Juni 1935 als Christo Wladimirow Jawaschew in Gabrowo (Bulgarien). Der Vater hatte eine Chemiefabrik, die Mutter war bis zu ihrer Hochzeit in Sofia Generalsekretärin der Akademie der bildenden Künste. Mit sechs erhielt Christo Zeichenunterricht. In seiner kommunistischen Heimat aber war an ein Leben als Künstler nicht zu denken. 1956 floh er, studierte ein Semester lang an der Kunstakademie in Wien, ging dann nach Paris, wo er Joan Miró und Marcel Duchamp kennenlernte und sich im Umkreis der Nouveaux Réalistes um Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely bewegte. Er fing an, erste Objekte einzupacken. Dosen, Stühle, Motorräder und ganze Ladenfronten. Christo eignete sich das alte künstlerische Prinzip des Zeigens durch Verhüllen an und führte es zur Perfektion.
Mit Porträts hielt er sich in den Anfangsjahren über Wasser und lernte, als er General Jacques de Guillebon malte, dessen Tochter Jeanne-Claude kennen, die am selben Tag im selben Jahr wie er auf die Welt gekommen war. Sie war zwar eigentlich mit einem anderen verlobt, bekam aber prompt ein Kind von dem „Flüchtling aus Bulgarien“und heiratete ihn. Bis zu ihrem Tod 2009 waren die beiden ein Team und realisierten all ihre Projekte miteinander. Zeitweise sollen sie nicht mal ins selbe Flugzeug
gestiegen sein, damit im Fall eines Absturzes der andere das aktuelle Vorhaben hätte zu Ende bringen können. Während die Medien ihn als „Verpackungskünstler“feierten (er lehnte diesen Titel stets ab), verhandelte die Frau mit den leuchtend roten Haaren wortgewandt mit den Verantwortlichen.
In Australien verhüllte das Künstlerpaar einen 2,4 Kilometer langen
Küstenabschnitt (1969). In Colorado spannten sie einen 375 Meter breiten Vorhang durch ein Tal (1972). In Kalifornien ließen sie einen 39,5 Kilometer langen „Running Fence“(1976) die Landschaft durchschneiden. Alle Aktionen finanzierten sie selbst durch den Verkauf von Zeichnungen und Collagen sowie durch Ausstellungen. Sponsoren lehnten sie ab, um ihre künstlerische Freiheit zu gewährleisten. Das Verpackungsmaterial ließen sie vorbildlich recyceln und sensibilisierten so früh schon für Probleme des Umweltund Naturschutzes. Wer die eingepackte Pont Neuf in Paris gesehen hat (1985), die „Surrounded Islands“in der Biscayne Bucht (1983) oder zuletzt die „Floating Piers“im italienischen Iseosee (2016), konnte sich dem Zauber dieser Kunst nicht entziehen. In diesem Jahr wollte Christo eigentlich den Arc de Triomphe in Paris verhüllen. Wegen der Corona-Pandemie musste die Aktion aufs nächste Jahr verschoben werden. Er selbst wird die Realisierung nicht mehr miterleben. Der große Aktions- und Landart-Künstler Christo starb am Sonntag in seiner Wahlheimat New York, nur wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag.