Saarbruecker Zeitung

Warum Ramelow einen Corona-Sonderweg fährt

- VON SIMONE ROTHE UND MICHAEL DONHAUSER

(dpa) Schweres Geschütz: „Ich möchte nicht, dass Bayern noch mal infiziert wird durch eine unvorsicht­ige Politik, die in Thüringen gemacht wird.“Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) passen die Lockerungs­übungen seines thüringisc­hen Amtskolleg­en Bodo Ramelow (Linke) in der Corona-Krise überhaupt nicht. Nur politische­s Kampfgetüm­mel, oder steckt mehr dahinter – wegen Unterschie­den beim Infektions­geschehen in Ost und West?

In Westen Deutschlan­d gibt es einige tausend Todesfälle, in Ostdeutsch­land einige hundert – allerdings bei deutlich weniger Einwohnern. Das Statistisc­he Landesamt in Thüringen hat nun die Zahl der Corona-Infektione­n der Bundesländ­er pro 100 000 Einwohner berechnet. Und da liegen die Werte in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern durchgängi­g unter denen der westdeutsc­hen – mit Ausnahme von Schleswig-Holstein.

Thüringen kam beispielsw­eise mit Stand 25. Mai, als Ramelow den weitgehend­en Ausstieg aus den allgemeine­n Corona-Beschränku­ngen gegen bundesweit­e Kritik verteidigt­e, auf 134 Infizierte seit Beginn der Pandemie pro 100 000 Einwohner. In Bayern waren es danach 354 Infizierte, in Sachsen sowie Brandenbur­g jeweils 128 und in Nordrhein-Westfalen 208 Infizierte pro 100 000 Einwohner. Mit Abstand die niedrigste­n Werte verzeichne­ten Mecklenbur­g-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit 47 beziehungs­weise 77 Infizierte­n pro 100 000 Einwohnern.

Weniger laut als Thüringen haben in den vergangene­n Tagen fast alle ostdeutsch­en Ministerpr­äsidenten weitreiche­nde Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen in Aussicht gestellt. Auch bei Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) war – wie bei Ramelow – von Geboten anstelle von Verboten die Rede. Möglicherw­eise geht Ramelow aber etwas weiter – er ließ sich per Protokolln­otiz bei den von Bund und Ländern verhandelt­en neuen Kontaktbes­chränkunge­n einen Sonderweg offen. Fast trotzig sagte er: „Weil ich kein Stück zurückrude­re.“„Staatliche Verordnung­en sind Noteingrif­fe“, die nur berechtigt seien, wenn das Infektions­geschehen das erfordere. „Diese Begründung­spflicht liegt bei uns“, so Ramelow.

Aber warum ist die Situation im Osten anders als im Westen? Fachleute nennen mehrere Gründe: die vergleichs­weise niedrige Bevölkerun­gsdichte oder einen relativ hohen Anteil älterer Menschen. Die gehören zwar zur Risikogrup­pe, aber sie gelten als weniger mobil und könnten entschleun­igend bei der Virus-Ausbreitun­g gewirkt haben, so das Leibniz-Institut für Prävention­sforschung und Epidemiolo­gie. Und wahrschein­lich haben weniger Ostdeutsch­e in Skigebiete­n wie Ischgl in Österreich Urlaub gemacht und das Virus eingeschle­ppt. Als die Beschränku­ngen in Deutschlan­d begannen, gab es zwischen Ostsee und Thüringer Wald verhältnis­mäßig wenige Infektione­n. Die Prävention wirkte damit in einer frühen Phase.

Ob sich Ramelow, dessen Corona-Alleingang auch in seiner rotrot-grünen Koalition in Erfurt für Irritation­en sorgt, durchsetze­n kann, werden die nächsten Tage zeigen. An diesem Dienstag will sich das Kabinett mit den Vorschläge­n des Regierungs­chefs befassen, nach denen nur noch das Abstandsge­bot und die Maskenpfli­cht in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln bliebe. Zudem soll ein Grenzwert von 35 Neuinfekti­onen auf 100 000 Einwohner pro Woche gelten – ist er erreicht, gibt es regionale Beschränku­ngen.

 ?? FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA ?? Bodo Ramelows Corona-Politik ist umstritten.
FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Bodo Ramelows Corona-Politik ist umstritten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany