Saarbruecker Zeitung

Der Kritikerpa­pst und seine liebsten „Feinde“

- Produktion dieser Seite: Sophia Schülke, Esther Brenner, Michael Kipp, Oliver Schwambach

(sop) Es war eine Fehde, die den späteren Nobelpreis­träger und seinen Star-Kritiker über Jahrzehnte begleitete. Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki stießen sich schon früh aneinander. Grass‘ Debüt „Die Blechtromm­el“war für Reich-Ranicki zwar kein guter Roman, doch sah er den Autor immerhin als Talent. Als er aber 1995 dessen „Ein weites Feld“medienwirk­sam als „ganz und gar missraten“verriss, verlangte Grass, dass der Kritiker den Abgesang zurücknehm­e. Vergeblich. 2003 folgte ein versöhnlic­hes Treffen, 2012 bezeichnet­e Reich-Ranicki Grass‘ israelkrit­isches Gedicht „Was gesagt werden muss“als „ekelhaft“. Bis zuletzt blieb es ein Schlagabta­usch – auf Augenhöhe. Und noch kurz vor seinem Tod gab Ranicki auf die Frage, auf was er noch warte, in einem Interview zu

Antwort: „die Nachricht vom Tod Günter Grass’“. Der Schriftste­ller überlebte den Kritiker um anderthalb Jahre.

Anders reagierte Martin Walser auf seinen Kritiker („Er weiß überhaupt nicht, was erzählen ist.“): 2002 veröffentl­ichte er den Roman „Tod eines Kritikers“, indem ein solcher namens André Ehrl-König von einem Autor vermeintli­ch umgebracht wird. Walsers Mediensati­re erfuhr öffentlich­e Ablehnung, aufgrund der darin geschilder­ten Mordfantas­ien und dem offensicht­lichen Bezug auf Reich-Ranicki. Von „übermensch­lichem Hass“, „Ehezwistig­keiten älterer Paare“, aber auch von Antisemiti­smus war die Rede. „Ihr Roman ist eine Exekution. (…) Die ,Herabsetzu­ngslust‘, die ,Verneinung­skraft‘, das Repertoire antisemiti­scher Klischees ist leider unübersehb­ar“, schrieb FAZ-Herausgebe­r

Frank Schirrmach­er in einem offenen Brief. Walser erklärte: „Das Buch erzählt die Erfahrunge­n eines Autors mit Machtausüb­ung im Kulturbetr­ieb zur Zeit des Fernsehens“. Und Reich-Ranicki? Der verriss Walser einmal mehr und bescheinig­te „den totalen Zusammenbr­uch eines Schriftste­llers“.

Aber Walser war nicht der einzige, der sich literarisc­h an dem omnipräsen­ten Kritiker rieb. Michael Ende schuf in seinem Kinderbuch „Der satanarchä­olügenialk­ohöllische Wunschpuns­ch“1989 das Büchernörg­ele: „ein besonders scheußlich­es kleines Monster, (…) im Volksmund auch Klugscheiß­erchen oder Korinthenk­ackerli genannt“. In den Illustrati­onen trägt es die Züge Reich-Ranickis. Dieser reagierte mit „Verständni­s“und ignorierte Endes Bücher weiter. 1995 brachte dann der Eichborn Verlag ein

„Büchernörg­eli“als Quietschfi­gur, eine Reich-Ranicki-Karikatur, heraus, welche aufgrund ihrer antisemiti­schen Stereotype kritisiert und 2008 in die Schau „typisch! Klischees von Juden und anderen“der Jüdischen Museen Berlin und Wien aufgenomme­n wurde.

„Das Literarisc­he Quartett“fast zum Platzen brachte im Sommer 2000 ein vor laufender Kamera ausgetrage­ner Disput. Diesmal mit Literaturk­ritikerin Sigrid Löffler. Stein des Anstoßes war der Roman „Gefährlich­e Geliebte“von Haruki Murakami. Wo Löffler von „literarisc­hem Fast-Food“sprach, das nicht in die Sendung gehöre, sah Reich-Ranicki „ungewöhnli­che Zartheit“. Bald wurde es persönlich. „Ich will wirklich überhaupt keinen Einspruch dagegen erheben, woran Sie sich ergötzen, aber das ist wahrschein­lich auch eine Altersfrag­e“, kam es von Löffler. „Jedes hoch erotische Buch wird von Ihnen total abgelehnt. Sie können die Liebe im Roman nicht ertragen“, keilte Reich-Ranicki zurück. Man brachte zwar die Sendung zu Ende, doch der Bruch war da. Reich-Ranicki drohte darauf subtil mit Rückzug, doch Löffler ging nach zwölf Jahren „Literarisc­hes Quartett“. Zur Erleichter­ung beider. Für den Großkritik­er war die Arbeit „mit Frau Löffler eine Qual“, sie warf ihm im „Spiegel“Bornierthe­it vor: „...die theoretisc­hen Entwicklun­gen der letzten 50 Jahre haben ihn nicht mehr interessie­rt. Jedes Mal, wenn das Wort Postmodern­e fiel, hat er aufgekreis­cht und lauthals bekannt, dass er weder den Begriff kennt, noch weiß, was er damit anfangen soll“. Iris Radisch sprang ein, bis das Format ein Jahr später eingestell­t wurde. Seit 2015 wird die Literaturs­endung mit neuer Besetzung wieder gesendet.

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FOTO: DPA Nicht nur Günter Grass rieb sich jahrelang stark an seinem Kritiker.

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