Der Kritikerpapst und seine liebsten „Feinde“
(sop) Es war eine Fehde, die den späteren Nobelpreisträger und seinen Star-Kritiker über Jahrzehnte begleitete. Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki stießen sich schon früh aneinander. Grass‘ Debüt „Die Blechtrommel“war für Reich-Ranicki zwar kein guter Roman, doch sah er den Autor immerhin als Talent. Als er aber 1995 dessen „Ein weites Feld“medienwirksam als „ganz und gar missraten“verriss, verlangte Grass, dass der Kritiker den Abgesang zurücknehme. Vergeblich. 2003 folgte ein versöhnliches Treffen, 2012 bezeichnete Reich-Ranicki Grass‘ israelkritisches Gedicht „Was gesagt werden muss“als „ekelhaft“. Bis zuletzt blieb es ein Schlagabtausch – auf Augenhöhe. Und noch kurz vor seinem Tod gab Ranicki auf die Frage, auf was er noch warte, in einem Interview zu
Antwort: „die Nachricht vom Tod Günter Grass’“. Der Schriftsteller überlebte den Kritiker um anderthalb Jahre.
Anders reagierte Martin Walser auf seinen Kritiker („Er weiß überhaupt nicht, was erzählen ist.“): 2002 veröffentlichte er den Roman „Tod eines Kritikers“, indem ein solcher namens André Ehrl-König von einem Autor vermeintlich umgebracht wird. Walsers Mediensatire erfuhr öffentliche Ablehnung, aufgrund der darin geschilderten Mordfantasien und dem offensichtlichen Bezug auf Reich-Ranicki. Von „übermenschlichem Hass“, „Ehezwistigkeiten älterer Paare“, aber auch von Antisemitismus war die Rede. „Ihr Roman ist eine Exekution. (…) Die ,Herabsetzungslust‘, die ,Verneinungskraft‘, das Repertoire antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar“, schrieb FAZ-Herausgeber
Frank Schirrmacher in einem offenen Brief. Walser erklärte: „Das Buch erzählt die Erfahrungen eines Autors mit Machtausübung im Kulturbetrieb zur Zeit des Fernsehens“. Und Reich-Ranicki? Der verriss Walser einmal mehr und bescheinigte „den totalen Zusammenbruch eines Schriftstellers“.
Aber Walser war nicht der einzige, der sich literarisch an dem omnipräsenten Kritiker rieb. Michael Ende schuf in seinem Kinderbuch „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“1989 das Büchernörgele: „ein besonders scheußliches kleines Monster, (…) im Volksmund auch Klugscheißerchen oder Korinthenkackerli genannt“. In den Illustrationen trägt es die Züge Reich-Ranickis. Dieser reagierte mit „Verständnis“und ignorierte Endes Bücher weiter. 1995 brachte dann der Eichborn Verlag ein
„Büchernörgeli“als Quietschfigur, eine Reich-Ranicki-Karikatur, heraus, welche aufgrund ihrer antisemitischen Stereotype kritisiert und 2008 in die Schau „typisch! Klischees von Juden und anderen“der Jüdischen Museen Berlin und Wien aufgenommen wurde.
„Das Literarische Quartett“fast zum Platzen brachte im Sommer 2000 ein vor laufender Kamera ausgetragener Disput. Diesmal mit Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Stein des Anstoßes war der Roman „Gefährliche Geliebte“von Haruki Murakami. Wo Löffler von „literarischem Fast-Food“sprach, das nicht in die Sendung gehöre, sah Reich-Ranicki „ungewöhnliche Zartheit“. Bald wurde es persönlich. „Ich will wirklich überhaupt keinen Einspruch dagegen erheben, woran Sie sich ergötzen, aber das ist wahrscheinlich auch eine Altersfrage“, kam es von Löffler. „Jedes hoch erotische Buch wird von Ihnen total abgelehnt. Sie können die Liebe im Roman nicht ertragen“, keilte Reich-Ranicki zurück. Man brachte zwar die Sendung zu Ende, doch der Bruch war da. Reich-Ranicki drohte darauf subtil mit Rückzug, doch Löffler ging nach zwölf Jahren „Literarisches Quartett“. Zur Erleichterung beider. Für den Großkritiker war die Arbeit „mit Frau Löffler eine Qual“, sie warf ihm im „Spiegel“Borniertheit vor: „...die theoretischen Entwicklungen der letzten 50 Jahre haben ihn nicht mehr interessiert. Jedes Mal, wenn das Wort Postmoderne fiel, hat er aufgekreischt und lauthals bekannt, dass er weder den Begriff kennt, noch weiß, was er damit anfangen soll“. Iris Radisch sprang ein, bis das Format ein Jahr später eingestellt wurde. Seit 2015 wird die Literatursendung mit neuer Besetzung wieder gesendet.