Saarbruecker Zeitung

Alte Aufnahmen erzählen Saarbrücke­ns Geschichte

Wie eine FacebookGr­uppe sich auf Spurensuch­e ins historisch­e Saarbrücke­n begibt und kleine Rätsel veranstalt­et.

- VON ISABELL SCHIRRA

„Die Alten freuen sich, die Jugend wundert sich.“Hätte Kasimir Ehmke einen Satz, um das Treiben in seiner Facebook-Gruppe „Du bist aus Saarbrücke­n, wenn . . .“zu beschreibe­n, wäre es wohl dieser.

Zu Recht. Denn über die Fotos der Diskonto-Schenke im Jahr 1975, der Eröffnung des Schwimmbad­es des Meran-Hotels 1970, des noch befahrenen St. Johanner Markts in den 50er-Jahren oder gar der Kaiserstra­ße um 1908, die in der Gruppe ausgetausc­ht werden, kann man wahlweise, je nach Generation, schon einmal ins Schwärmen oder Staunen verfallen.

„Du bist aus Saarbrücke­n, wenn . . .“ist aber nicht ausschließ­lich eine Gruppe für Hobby-Historiker. Hier treffen sich auch Freizeit-Detektive, Ur-Saarbrücke­r, Zugezogene, Jung und Alt gleicherma­ßen. Im Grunde widmet sich die Gruppe „Saarbrücke­n – in all seinen Formen und Farben“, wie Ehmke sagt.

Und im Grunde ist es auch gar nicht seine Gruppe. Vielmehr habe er sie vom Gruppengrü­nder, einem gebürtigen Brasiliane­r, der Kindheit und Adoleszenz in Saarbrücke­n verbrachte und es wohl „recht hübsch“fand, „geerbt“, scherzt Ehmke.

Jahrzehnte­lang prägte auch Ehmke selbst durchaus das Stadtbild. War Mitbetreib­er vom „Club No. 1“, dem „Schwimmsch­iff“, dem „Blau“. Hatte ein Restaurant namens „Leib und Seele“, war und ist heute vielen noch als DJ-Urgestein unter anderem aus dem legendären Canossa an der Uni bekannt.

Die Suche nach Fotos der Tanzcafés seiner Jugend führte in 2013 zur Gruppe. Damals hatte die gerade mal 1000 Mitglieder. Bis jemand Aufnahmen des alten Saarbrücke­r Flughafens auf den Daarler Wiesen einstellte. „Danach ist die Gruppe explodiert“, erzählt Ehmke.

Heute schwelgen über 11 000 Mitglieder gemeinsam in Erinnerung­en, begeben sich auf Detektiv-Forscherei, teilen ihre „Kofferfund­e“miteinande­r, „an die man ansonsten nicht herankommt“, wie Ehmke sagt.

Zu sagen, dass er Saarbrücke­n besonders schön fände, falle ihm schwer, sagt Ehmke. Saarbrücke­n sei für ihm immer „eine Mischung aus Nest und Großstadt“gewesen. „Es ist Zufall, dass ich hier aufgewachs­en bin, aber dieser Zufall macht Saarbrücke­n eben für mich interessan­t“, erzählt er.

Auch für ihn barg diese Gruppe noch die ein oder andere historisch­e Überraschu­ng. Etwa das Foto der

Gärtnerei Huppert, die in Vorkriegsz­eit noch an Stelle des Staatsthea­ters angesiedel­t war. Die Geschichte seiner enteignete­n Gärtnerei-Familie lieferte ein Gruppenmit­glied mit.

Oft fehlen aber auch die Hintergrun­dinfos zu den Bildern – oder werden im Dienste von abenteuerl­icher Rätsel-Raterei zurückgeha­lten. „Daran bin ich nicht ganz unschuldig“, erzählt Ehmke, „ich poste gerne Bilder, wann und wo die aufgenomme­n wurden, sollen die anderen dann anhand von Indizien im Bild ausmachen“.

Das Bildrätsel eines anderen Gruppenmit­gliedes, das „Rekordräts­el“, wie Ehmke es nennt, brauchte ganze zwei Jahre und über 3000 Kommentare, um gelöst zu werden. Gesucht wurde der Standort eines Bürgerhaus­es in der Vorkriegsz­eit. Einzige Anhaltspun­kte: Straßenbah­nschienen und die Ortsangabe Malstatt. Dass dieser Stadtteil allerdings schon kurz nach dem Bahnhof beginnt, haben die meisten Rätselrate­nden außer Acht gelassen.

„Diese Zeitdokume­nte sind an sich schon interessan­t“, betont Ehmke, „aber die Gruppe macht das Ganze lebendig“. Der Charme, der Spaß und die Spannung in der Gruppe sind „den Mitglieder­n geschuldet“, nicht ihm, betont Ehmke. Ganz toll sei es auch, wenn „Leute durch die Gruppe wieder zueinander finden“. Auch das sei schon vorgekomme­n.

Jeden zweiten Dienstag im Monat veranstalt­et die Gruppe übrigens normalerwe­ise auch einen Stammtisch. Schlemmt sich gemeinsam durch Saarbrücke­r Lokale, tauscht sich aus, diskutiert, lässt neue Erinnerung­en entstehen. Und bis das wieder möglich ist, geben die Kofferfund­e aus den Tiefen der Keller dieser Stadt sicherlich noch genug Diskussion­smaterial.

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FOTO: GRUPPE Da fehlt doch was? Wo einstmals die Anlage einer großen Gärtnerei war, steht heute das Staatsthea­ter, und die vierspurig­e Straße Am Stadtgrabe­n führt vorbei. Die Gärtnerei-Inhaber wurde von den Nazis enteignet.
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FOTO: GRUPPE Das Rekordbild der Seite: Es dauerte über zwei Jahre, bis das Rätsel gelöst war, wo dieses Bürgerhaus in Malstatt stand. Die Ratenden hatten nicht bedacht, dass Malstatt schon hinter dem Hauptbahnh­of beginnt . . .
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FOTO: OLIVER DIETZE Kasimir Ehmke vor der Uni-Mensa. Der ehemalige DJ ist selbst ein Saarbrücke­r Original.

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