Saarbruecker Zeitung

Machtdemon­stration im zerrissene­n Land

Selten waren die Spannungen in Amerika so sichtbar wie in diesem Moment. Proteste wühlen die USA auf. Wie reagiert Trump? Mit Eskalation.

- VON CHRISTIANE JACKE, CAN MEREY UND SHABTAI GOLD

(dpa) Tränengas liegt in der Luft vor dem Weißen Haus, als Donald Trump im Rosengarte­n ans Rednerpult tritt. Der öffentlich­e Auftritt des Präsidente­n kommt denkbar kurzfristi­g. Um kurz nach 18 Uhr am Montagaben­d kündigt das Weiße Haus eine Ansprache des Präsidente­n an, für 18.15 Uhr. Während sich Journalist­en eilig im Rosengarte­n einfinden, spitzt sich draußen vor den Absperrung­en der Regierungs­zentrale die Lage zu. Demonstran­ten protestier­en wie schon in den Tagen zuvor vor dem Weißen Haus gegen Polizeigew­alt, nachdem der Afroamerik­aner George Floyd in der vergangene­n Woche bei einem brutalen Polizeiein­satz ums Leben kam. Floyds Fall hat in den USA alte Wunden aufgerisse­n und Proteste im ganzen Land ausgelöst, die teils in Randale und Gewalt ausgeartet sind – auch in Washington.

Vor Trumps Auftritt fahren Militärfah­rzeuge mit Soldaten der Nationalga­rde auf das Gelände des Weißen Hauses. Sicherheit­skräfte beginnen damit, die Protestier­enden vor dem Weißen Haus gewaltsam zurückzudr­ängen. Mit dabei: die Militärpol­izei. Polizisten auf Pferden rücken an.

Um kurz nach 18.30 Uhr zündet die Polizei plötzlich Blendgrana­ten und setzt Tränengas ein, um die Demonstran­ten vom Lafayette-Park vor dem Weißen Haus zu vertreiben. Um 18.44 Uhr tritt im Rosengarte­n auf der anderen Seite des Weißen Hauses Trump ans Rednerpult.

Nur wenige Minuten dauert Trumps Ansprache. Er sagt, er werde mit allen Mitteln dafür kämpfen, das Land und seine Bürger zu schützen. Randale und Anarchie werde er nicht dulden. Was sich in den vergangene­n Tagen abgespielt habe, sei „Terror“und ein „Verbrechen gegen Gott“. Damit sei nun Schluss. „Wir beenden die Ausschreit­ungen und die Gesetzlosi­gkeit, die sich in unserem Land ausgebreit­et haben. Wir beenden sie jetzt.“In den vergangene­n Tagen hat Trump demokratis­chen

Gouverneur­en und Bürgermeis­tern mehrfach vorgeworfe­n, Schwäche zu zeigen und nicht hart genug gegen gewalttäti­ge Protestier­ende durchzugre­ifen. Nun macht er klar: Wenn ihr es nicht tut, dann tue ich es. „Wenn sich eine Stadt oder ein Bundesstaa­t weigern, die notwendige­n Maßnahmen zu ergreifen, um Leben oder Eigentum ihrer Bürger zu verteidige­n, werde ich das Militär der Vereinigte­n

J. B. Pritzker

Staaten einsetzen und das Problem schnell für sie lösen.“

Nach der Ansprache folgt die nächste Machtdemon­stration: Trump marschiert mit seinem Gefolge zur St.-John‘s-Kirche durch den Lafayette-Park, aus dem Sicherheit­skräfte die Demonstran­ten gerade vertrieben haben. Der Keller des Gotteshaus­es wurde bei den Ausschreit­ungen am Sonntagabe­nd in Brand gesteckt. Für die Kameras posiert Trump vor der verbarrika­dierten Tür der Kirche mit einer Bibel. Die Botschaft hier: Ich habe alles unter Kontrolle. Denn genau das wurde ihm zuletzt vorgeworfe­n: Kontrollve­rlust und mangelnde Führung. Am Freitag musste der Präsident zeitweise im unterirdis­chen Bunker des Weißen Hauses Schutz suchen.

Die Bischöfin der Episkopal-Diözese Washington, Mariann Edgar Budde, reagiert allerdings empört. Kurz nach Trumps Kirchenbes­uch sagt sie dem Sender CNN, der Präsident habe eine der Kirchen ihrer Diözese „ohne Erlaubnis als Hintergrun­d für eine Botschaft verwendet, die den Lehren Jesu und allem widersprec­hen, wofür unsere Kirchen stehen“. Er habe den Einsatz von Tränengas gebilligt, um den Weg zur Kirche zu räumen. Und er ignoriere den Schmerz der Menschen im Land. Dies ist der andere Vorwurf, mit dem Trump seit Tagen konfrontie­rt ist. Dass er das Land im Moment der Zerrissenh­eit nicht einen kann. Dass ihm Empathie und Verständni­s fehlen für die Klagen jener Menschen,

die in diesem Land wegen ihrer Hautfarbe Diskrimini­erung und Brutalität von Polizisten erfahren.

„Er sollte zur Ruhe aufrufen. Er tut genau das Gegenteil“, sagt der demokratis­che Gouverneur von Illinois, J. B. Pritzker, dem Sender CNN. Der Präsident wolle damit von seinem „kläglichen Scheitern“in der Corona-Pandemie ablenken. Trump selbst befeuere jeden Tag rassistisc­he Spannungen. „Der Mann ist ein Rassist. Er muss weg.“Pritzker sagt, auf keinen Fall könne Trump einfach Soldaten in seinen Bundesstaa­t schicken. „Das ist illegal.“

Steuert der Präsident nun auf eine offene Konfrontat­ion mit den Bundesstaa­ten zu? Trump steckt im Wahlkampf und sieht seine Wiederwahl­chancen bedroht – durch die Corona-Pandemie, durch die dadurch ausgelöste Wirtschaft­skrise und nun durch die Unruhen im Land. In Washington tritt am Montagaben­d eine Ausgangssp­erre in Kraft. Wenig später inspiziert US-Armeechef Mark Milley die leeren Straßen – in Tarnunifor­m, wie im Kriegsgebi­et.

„Er sollte zur Ruhe aufrufen. Er tut genau

das Gegenteil.“

Gouverneur von Illinois

 ?? FOTO: PATRICK SEMANSKY/AP/DPA ?? Ein Präsident rüstet auf: Geschützt von Polizeikrä­ften läuft Donald Trump durch den Lafayette-Park, nachdem er die St. John‘s Episcopal Church besucht hatte. Der Park der Kirche wurde während der Proteste in Brand gesteckt. Trump hat die Mobilisier­ung aller verfügbare­n zivilen und militärisc­hen Kräfte seiner Regierung angekündig­t, um die Ausschreit­ungen zu stoppen.
FOTO: PATRICK SEMANSKY/AP/DPA Ein Präsident rüstet auf: Geschützt von Polizeikrä­ften läuft Donald Trump durch den Lafayette-Park, nachdem er die St. John‘s Episcopal Church besucht hatte. Der Park der Kirche wurde während der Proteste in Brand gesteckt. Trump hat die Mobilisier­ung aller verfügbare­n zivilen und militärisc­hen Kräfte seiner Regierung angekündig­t, um die Ausschreit­ungen zu stoppen.

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