Machtdemonstration im zerrissenen Land
Selten waren die Spannungen in Amerika so sichtbar wie in diesem Moment. Proteste wühlen die USA auf. Wie reagiert Trump? Mit Eskalation.
(dpa) Tränengas liegt in der Luft vor dem Weißen Haus, als Donald Trump im Rosengarten ans Rednerpult tritt. Der öffentliche Auftritt des Präsidenten kommt denkbar kurzfristig. Um kurz nach 18 Uhr am Montagabend kündigt das Weiße Haus eine Ansprache des Präsidenten an, für 18.15 Uhr. Während sich Journalisten eilig im Rosengarten einfinden, spitzt sich draußen vor den Absperrungen der Regierungszentrale die Lage zu. Demonstranten protestieren wie schon in den Tagen zuvor vor dem Weißen Haus gegen Polizeigewalt, nachdem der Afroamerikaner George Floyd in der vergangenen Woche bei einem brutalen Polizeieinsatz ums Leben kam. Floyds Fall hat in den USA alte Wunden aufgerissen und Proteste im ganzen Land ausgelöst, die teils in Randale und Gewalt ausgeartet sind – auch in Washington.
Vor Trumps Auftritt fahren Militärfahrzeuge mit Soldaten der Nationalgarde auf das Gelände des Weißen Hauses. Sicherheitskräfte beginnen damit, die Protestierenden vor dem Weißen Haus gewaltsam zurückzudrängen. Mit dabei: die Militärpolizei. Polizisten auf Pferden rücken an.
Um kurz nach 18.30 Uhr zündet die Polizei plötzlich Blendgranaten und setzt Tränengas ein, um die Demonstranten vom Lafayette-Park vor dem Weißen Haus zu vertreiben. Um 18.44 Uhr tritt im Rosengarten auf der anderen Seite des Weißen Hauses Trump ans Rednerpult.
Nur wenige Minuten dauert Trumps Ansprache. Er sagt, er werde mit allen Mitteln dafür kämpfen, das Land und seine Bürger zu schützen. Randale und Anarchie werde er nicht dulden. Was sich in den vergangenen Tagen abgespielt habe, sei „Terror“und ein „Verbrechen gegen Gott“. Damit sei nun Schluss. „Wir beenden die Ausschreitungen und die Gesetzlosigkeit, die sich in unserem Land ausgebreitet haben. Wir beenden sie jetzt.“In den vergangenen Tagen hat Trump demokratischen
Gouverneuren und Bürgermeistern mehrfach vorgeworfen, Schwäche zu zeigen und nicht hart genug gegen gewalttätige Protestierende durchzugreifen. Nun macht er klar: Wenn ihr es nicht tut, dann tue ich es. „Wenn sich eine Stadt oder ein Bundesstaat weigern, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Leben oder Eigentum ihrer Bürger zu verteidigen, werde ich das Militär der Vereinigten
J. B. Pritzker
Staaten einsetzen und das Problem schnell für sie lösen.“
Nach der Ansprache folgt die nächste Machtdemonstration: Trump marschiert mit seinem Gefolge zur St.-John‘s-Kirche durch den Lafayette-Park, aus dem Sicherheitskräfte die Demonstranten gerade vertrieben haben. Der Keller des Gotteshauses wurde bei den Ausschreitungen am Sonntagabend in Brand gesteckt. Für die Kameras posiert Trump vor der verbarrikadierten Tür der Kirche mit einer Bibel. Die Botschaft hier: Ich habe alles unter Kontrolle. Denn genau das wurde ihm zuletzt vorgeworfen: Kontrollverlust und mangelnde Führung. Am Freitag musste der Präsident zeitweise im unterirdischen Bunker des Weißen Hauses Schutz suchen.
Die Bischöfin der Episkopal-Diözese Washington, Mariann Edgar Budde, reagiert allerdings empört. Kurz nach Trumps Kirchenbesuch sagt sie dem Sender CNN, der Präsident habe eine der Kirchen ihrer Diözese „ohne Erlaubnis als Hintergrund für eine Botschaft verwendet, die den Lehren Jesu und allem widersprechen, wofür unsere Kirchen stehen“. Er habe den Einsatz von Tränengas gebilligt, um den Weg zur Kirche zu räumen. Und er ignoriere den Schmerz der Menschen im Land. Dies ist der andere Vorwurf, mit dem Trump seit Tagen konfrontiert ist. Dass er das Land im Moment der Zerrissenheit nicht einen kann. Dass ihm Empathie und Verständnis fehlen für die Klagen jener Menschen,
die in diesem Land wegen ihrer Hautfarbe Diskriminierung und Brutalität von Polizisten erfahren.
„Er sollte zur Ruhe aufrufen. Er tut genau das Gegenteil“, sagt der demokratische Gouverneur von Illinois, J. B. Pritzker, dem Sender CNN. Der Präsident wolle damit von seinem „kläglichen Scheitern“in der Corona-Pandemie ablenken. Trump selbst befeuere jeden Tag rassistische Spannungen. „Der Mann ist ein Rassist. Er muss weg.“Pritzker sagt, auf keinen Fall könne Trump einfach Soldaten in seinen Bundesstaat schicken. „Das ist illegal.“
Steuert der Präsident nun auf eine offene Konfrontation mit den Bundesstaaten zu? Trump steckt im Wahlkampf und sieht seine Wiederwahlchancen bedroht – durch die Corona-Pandemie, durch die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise und nun durch die Unruhen im Land. In Washington tritt am Montagabend eine Ausgangssperre in Kraft. Wenig später inspiziert US-Armeechef Mark Milley die leeren Straßen – in Tarnuniform, wie im Kriegsgebiet.
„Er sollte zur Ruhe aufrufen. Er tut genau
das Gegenteil.“
Gouverneur von Illinois