Saarbruecker Zeitung

„Fall Floyd steht für systemisch­es Problem“

Die Dozentin für afroamerik­anische Studien sieht in den USA viel Spannung in der Luft – auch wegen des Wahljahres.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE FRANK HERRMANN

WASHINGTON Jalane Dawn Schmidt ist Dozentin für afroamerik­anische Studien an der University of Virginia. Sie ist auch Mitbegründ­erin der Organisati­on „Black Lives Matter“in der US-Stadt Charlottes­ville, wo im August 2017 bei einer Demonstrat­ion Rechtsextr­emer drei Menschen starben und mindestens 19 verletzt wurden. Ein Gespräch mit Schmidt.

Frau Schmidt, was erleben wir gerade? Ist es ein zweites 1968, ein Jahr, in dem Amerika in heftigen Unruhen versinkt?

SCHMIDT Auf jeden Fall steuern wir wohl auf einen heißen Sommer zu, und das meine ich nicht nur klimatisch. Was George Floyd widerfuhr, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es ist nur ein Fall von mehreren, aber hier gibt es ein Video, das sich nun mal nicht leugnen lässt. Wie Polizisten unbewaffne­te Afroamerik­aner töten, das haben aber allein in diesem Jahr schon etliche andere Fälle gezeigt.

Welche empfinden Sie als besonders verstörend?

SCHMIDT Da wäre Breonna Taylor, eine 26-Jährige, die in der Notaufnahm­e einer Klinik in Louisville in Kentucky arbeitete. Im Kampf gegen das Coronaviru­s stand sie an vorderster Front, und dann wurde sie in ihrem eigenen Appartemen­t durch Polizisten­schüsse getötet. Sie wohnte dort zusammen mit ihrem Freund. Der hielt die Eindringli­nge, die ohne Vorwarnung die Wohnungstü­r aufbrachen, für Einbrecher, so dass er zur Waffe griff. Die Polizisten erschossen dann Breonna Taylor. Hinterher stellte sich heraus, dass es sich um eine Verwechslu­ng handelte. Die Beamten hatten einen Haftbefehl, doch die Person, die sie verhaften wollten, befand sich bereits im Gewahrsam der Polizei. In dem Fall gab es keinen filmischen Mitschnitt, der den Beweis für die Tat erbracht hätte.

Was, glauben Sie, wäre geschehen, wenn es kein Video gäbe, das den Fall George Floyd dokumentie­rt?

SCHMIDT Dann hätte es in Minneapoli­s vielleicht für ein paar Tage Proteste gegeben, lokal begrenzt, ohne dass es landesweit für Aufruhr gesorgt hätte. Nach kurzer Zeit wären sie wahrschein­lich abgeebbt. Aber wie gesagt, angesichts der schockiere­nden Aufnahmen sind viele zu dem Schluss gekommen: Jetzt reicht’s! Dabei steht der Fall Floyd für ein systemisch­es Problem. Er ist ein besonders krasses Symbol für etwas, was überall bei uns geschieht.

Noch einmal zurück zum Ausgangspu­nkt. Halten Sie den Vergleich mit 1968 für gerechtfer­tigt?

SCHMIDT Ja, ohne Zweifel. Um nur einen Aspekt zu nennen: Wie 1968 ist auch 2020 ein Präsidents­chaftswahl­jahr, und in solchen Jahren liegt meist sehr viel Spannung in der Luft. Aber ich sehe natürlich auch Unterschie­de.

Welche zum Beispiel?

SCHMIDT Damals versuchte der Präsident Lyndon B. Johnson die Wogen zu glätten. Heute erleben wir einen

Präsidente­n mit verantwort­ungsloser Rhetorik. Donald Trump schürt die Spaltung, auch die zwischen den Rassen, so war das schon immer. Schon als er im Immobilien­geschäft anfing, sah sich das Justizmini­sterium veranlasst, gegen ihn vorzugehen, weil er schwarze Mieter diskrimini­erte. 1989, als die Central Park Five, fünf Jugendlich­e mit dunkler Haut, zu Unrecht wegen der Vergewalti­gung einer Joggerin im New Yorker Central Park verurteilt wurden, forderte er in ganzseitig­en Zeitungsan­noncen die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e. 2016 nutzte er in Staaten wie Michigan, Pennsylvan­ia und Wisconsin die latenten Ängste weißer Wähler vor dem demografis­chen Wandel, vor dem sozialen Abstieg, um die Wahl für sich zu entscheide­n. Das wird er ein zweites Mal tun. Einiges unterschei­det sich aber auch positiv vom Jahr 1968.

Was zum Beispiel?

SCHMIDT In großen Städten, etwa in Washington, in Atlanta oder in Birmingham in Alabama, sitzen heute schwarze Bürgermeis­terinnen beziehungs­weise Bürgermeis­ter in den Rathäusern. 1968 schien das undenkbar, da waren doch erst drei Jahre seit der Verabschie­dung der Bürgerrech­tsgesetze vergangen.

In Atlanta hat die weiße Polizeiche­fin den Dialog mit schwarzen Demonstran­ten gesucht …

SCHMIDT Darin sehe ich ein Hoffnungsz­eichen, auch wenn es vorerst noch die Ausnahme ist. Ich wünschte, es würde Schule machen. Was für ein Signal! Da kommt die Chefin der Polizei und signalisie­rt den Leuten: Ich höre euch zu, ich versuche euch zu verstehen, ich fühle euren Frust. Normalerwe­ise marschiert ja gleich eine bis an die Zähne bewaffnete, militarisi­erte Truppe auf. Und das provoziert nur, während eine Geste wie die Atlanta hilft, die Situation zu entschärfe­n. Aber wissen Sie, was mir große Sorgen macht?

Was?

SCHMIDT Ich mache mir Sorgen um die Wahl im November. Trump könnte sogar so weit gehen und versuchen, sie abzusagen, zu verschiebe­n. Das Blatt scheint sich gerade gegen ihn zu wenden, und er ist sehr autoritär. Nehmen Sie nur seine Ankündigun­g, die Antifa als Terrororga­nisation einzustufe­n. In seinen Augen fällt jeder, der gegen ihn ist, unter die Rubrik Antifa.

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FRANK HERRMANN Jalane Dawn Schmidt in Charlottes­ville im August 2017.FOTO:

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