Saarbruecker Zeitung

Amerikanis­che Verhältnis­se sind in Europa fern – noch

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Straßensch­lachten, Plünderung­en und brennende Autos: Die gewaltsame­n Proteste in den USA erschütter­n die Welt – ebenso das brutale Vorgehen der Polizei gegen einen Afroamerik­aner, das diese Ausschreit­ungen überhaupt erst ausgelöst hat. Es sind Verhältnis­se, die in Europa undenkbar scheinen. Doch sind sie das tatsächlic­h? Wir sollten uns da keinesfall­s zu sicher sein. Die Saat für solche Verwerfung­en ist auch auf unserem Kontinent längst gesät. Und wir müssen höllisch aufpassen, dass sie nicht aufgeht.

Natürlich gibt es massive Unterschie­de zwischen den USA und Europa. Zu Recht wird in diesen Tagen auf ungleich tiefere strukturel­le Probleme jenseits des Atlantiks hingewiese­n, die sich in den Gewaltorgi­en offenbaren: Armut und soziale Spaltung, riesige Missstände in der Bildung, ein historisch gewachsene­r Rassismus sowie eine sich immer weiter verschärfe­nde politische Polarisier­ung. Wir Europäer – und gerade wir Deutschen – blicken deshalb gerne auf die Vereinigte­n Staaten herab, die uns in mancher Hinsicht wie ein Entwicklun­gsland vorkommen. Das wiederum steht uns nicht zu.

Denn wir sollten uns nicht täuschen: Rassismus ist auch in europäisch­en Gesellscha­ften verwurzelt. Nur richtet er sich hierzuland­e statt gegen Schwarze eher gegen Muslime, Juden oder Sinti und Roma. Das Vorhandens­ein von Fremdenfei­ndlichkeit wurde erst in der jüngeren Vergangenh­eit wieder deutlich, als gerade Deutschlan­d von mehreren rechtsextr­emen Anschlägen wie in Halle oder Hanau erschütter­t wurde. Zudem offenbart sich der – mindestens latent vorhandene – Rassismus in Europa immer wieder in Wahlererfo­lgen der Rechtspopu­listen und Rechtsradi­kalen.

In ihnen spiegeln sich noch weitere Missstände wieder, vor denen Europa nicht gefeit ist: soziale Ungerechti­gkeit und Bildungsar­mut ebenso wie kulturelle Abgehängth­eit und ein tiefes Misstrauen gegen die etablierte Politik. Amerikanis­che Probleme, die zunehmend auch in der „Alten Welt“existieren. Und die das Potenzial haben, auch unsere Gesellscha­ft zu zerreißen.

Ja, wir sind in vielerlei Hinsicht immer noch deutlich besser aufgestell­t als die USA. Nur sollten wir uns gerade in diesen Tagen daran erinnern, worin dieser Vorsprung besteht. Etwa wie wertvoll unser viel stärkerer Sozialstaa­t ist, der verhindert, dass allzu viele Menschen durch das Raster fallen. Aber auch unser weitgehend kostenfrei­es Bildungssy­stem, das – bei allen Schwächen – einem Großteil der Kinder eine vernünftig­e Basis für das spätere Leben bietet. Die Politik in Europa muss darauf achten, diese Errungensc­haften zu stärken.

Einen Vorteil besitzt Europa auch beim politische­n Diskurs. So ist die Medienland­schaft deutlich überpartei­licher ausgericht­et als in den USA – was einer Polarisier­ung entgegenwi­rkt. Und politische Entscheidu­ngen sind stärker auf den Konsens ausgericht­et – gerade in Deutschlan­d. Dass dadurch oft ein notwendige­r Richtungss­treit abgewürgt wird, ist ein Nachteil. Doch diese politische Kultur fördert eben auch den gesellscha­ftlichen Ausgleich, der den USA zunehmend abhandenko­mmt.

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