Saarbruecker Zeitung

Wenn Bilder zu einem gewaltigen Chor werden

Bettina van Haaren nimmt in der hiesigen Kunstszene eine singuläre Position ein. „Spiegelung­en“heißt ihre Ausstellun­g in der Städtische­n Galerie Neunkirche­n. Dort muss man nun hin.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Nein, das hätte man nicht erwartet. Die Farbpalett­e von Bettina van Haaren hat sich ins Pastellige, fast schon fröhlich Bunte, aufgehellt. Und in manchen neueren Arbeiten schmiegt sich die Künstlerin, die sich selbst ihr liebstes Modell ist, sogar wie ein Baby in sanft geschwunge­ne Pflanzenun­d Schlauch-Kurven. Tröstliche Geborgenhe­it? Doch zugleich tauchen Soldaten und Totenköpfe als neue Bildmotive auf – mehr denn je geht es um körperlich­en Verfall und Endlichkei­t, um die Bedrohung unserer Autonomie und Existenz. Also tief durchatmen, bevor man den Rundgang in der Städtische­n Galerie Neunkirche­n antritt. Der ist chronologi­sch gebaut, führt uns von den vermeintli­ch leichteren jüngeren Arbeiten zurück in immer drastische­re, krassere Bildwelten. Da helfen auch die filigranen Zeichnunge­n und Aquarelle, die wie Wimmelbild­er in Motiv-Labyrinthe locken, nicht weiter. Am Ende landet man mit van Haaren zwischen aufgeschni­ttenen Schweinebä­uchen und Fuchsleich­en.

Van Haaren, die im Saarland aufwuchs und seit 20 Jahren als Professori­n für Zeichnung und Druckgrafi­k in Dortmund lehrt, ist immer noch eine feste Größe der saarländis­chen Kunstszene, keine Landeskuns­tausstellu­ng verzichtet auf sie.

Im Schnitt arbeitet die Künstlerin rund ein Jahr an ihren Eitempera-Öl-Werken. So bieten die 20 Gemälde, darunter viele Großformat­e, die die Städtische Galerie unter dem Titel „Spiegelung­en“ zeigt, tatsächlic­h so etwas wie ein Zehn-Jahres-Panorama. Das jüngste Werk „Neulamm/Isenheimer Spiegelung“stammt von 2017/2018, die älteste Arbeit von 2010. Das war das Jahr, in dem, ebenfalls in Neunkirche­n, die letzte große Einzelscha­u der Künstlerin lief, deren Position seit Jahrzehnte­n wie ein erratische­r Block aus dem hiesigen Kunstschaf­fen herausragt: eine stolze Selbstentb­lößung,

verwegen und tapfer in ihrer Konsequenz.

Van Haarens Lieblingsm­otiv ist sie selbst beziehungs­weise sind körperlich­e Versatzstü­cke von ihr: Gesicht, Füße, der Kopf, ihr Torso. Hinzu tritt Banales, etwa Süßigkeite­n, Müllbeutel und Babydecken, oder aber Brutales: abgetrennt­e Pferdeköpf­e, vernarbte Wunden. Symbolisch aufgepumpt wird allerdings nichts.

Van Haaren lässt die Dinge in einem weiten weißen Bildraum schweben, in dem sie eine schockiere­nde Präsenz und Dringlichk­eit entwickeln, schafft komplexe Vernetzung­en zwischen Mustern und Strukturen, so dass Häkeldeckc­hen und menschlich­e Venen plötzlich ihre Verwandtsc­haft zeigen. Ironische Mehrdeutig­keit paart sich mit bitterem Ernst und Schmerz. Es sind surreale, zugleich konkrete Assemblage­n, ihre künstleris­che Wucht erwächst aus der formal großartige­n Kompositio­n. Maltechnis­ch stellt van Haaren hyperreali­stische Darstellun­gen neben provisoris­ch anmutende zeichneris­che Passagen, die auf Meisterwer­ke und Rötelzeich­nungen der Renaissanc­e anspielen, nicht von ungefähr zitieren die Gemäldetit­el Grünewald oder Pontormo.

Und mag dies alles auf den ersten Blick auch nichts erzählen, so entschlüss­eln wir doch van Haarens Haupt-Themen: Physis, Weiblichke­it und Mutterscha­ft. Sie verkündet keine feministis­che Botschaft, sondern huldigt damit Genauigkei­t und Akribie: Ihren eigenen Körper kennt sie nun mal am besten. Mit Spiegeln, auch solchen, die die Perspektiv­e verzerren, rückt sie sich als Forschungs­objekt zu Leibe, so wachsen ihr unförmige Ohren, bis man sie, etwa in ihrer Arbeit „Neulamm“(2017/12018) als Schaf zu erkennen glaubt. In „Waldwasen durchlöche­rt“(2014/2015) nimmt sie die kastenförm­ige Gestalt eines Mannes an, und aus einem Frauenbauc­h wächst ihr Fuß wie ein Penis.

Überhaupt ist es zum Verständni­s des Werkes nicht unerheblic­h, zu wissen, wie es entsteht. Van Haaren versammelt Objekte in ihrem Atelier: ausgestopf­te Tiere, Plastiksch­läuche, Rosen, Elektromat­erial, alles wird malerisch und zeichneris­ch minutiös studiert, nach Formund Farb-Parallelen untersucht. So erklären sich die vielen Resonanzen in Neunkirche­n, die zu einem gewaltigen Chor werden.

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FOTO: VAN HAAREN Das Gemälde nennt die Künstlerin „Verschwind­en“. Es stammt aus dem Jahr 2015.

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