Als am Beethovenplatz noch Eisen floss
Die Gießerei „Dingler und Karcher“, in ihrer großen Zeit sehr modern, prägte Saarbrücker Industriegeschichte von 1864 bis 1972.
Die Gründung der Firma „Dingler und Karcher“führt in eine Zeit zurück, in der es rund um den heutigen Beethovenplatz in Saarbrücken noch Obstgärten und nur vereinzelt Wohnhäuser gab. Dort stand aber auch seit dem Jahr 1864 die Eisengießerei und Maschinenfabrik „Kautz & Westmeyer“.
Carl Ludwig Karcher, 1850 in St. Johann geboren, stammte aus einer gut situierten Kaufmannsfamilie, sein Vater war Bürgermeister von St. Johann. Nachdem der junge Karcher eine kaufmännische Lehre und ein Ingenieurstudium absolviert hatte, übernahm er zusammen mit dem Zweibrücker Maschinenfabrikanten Georg Julius Dingler die Maschinenfabrik Kautz & Westmeyer und gründete die Eisen- und Metallgießerei „Dingler, Karcher u. Comp. zu Sankt Johann“. Mit neuem Namen und neuer Führung bauten Dingler und Karcher die Fabrik zu einem auf Gruben- und Hüttenbedarf spezialisierten Gießerei-Unternehmen aus. Und das mit großem Erfolg.
Durch verschiedene Gussverfahren konnte man die unterschiedlichsten Teile herstellen, von einfachen Beschlägen bis hin zu komplizierten Stücken, wie Radkörpern, Zahnrädern oder Walzenständern. 1888 war man in der Lage, die ersten, damals sehr modernen Siemens-Martin-Öfen aufzustellen.
Mittlerweile war aus dem kleinen Betrieb mit rund 30 Arbeitern ein großes Stahlwerk mit rund 650
Beschäftigten geworden.
Gegen Ende des Jahrhunderts wurde die Produktionsstätte in St. Johann zu eng, eine Ausdehnung des Werks war aber wegen der mittlerweile großen Nachfrage nach Wohnbebauung nicht möglich. Daher sah man sich nach einer neuen Produktionsstätte um. Im Jahr 1899 ging das für damalige Verhältnisse großzügige neue Stahlwerk am Fuß des Eschbergs und in der Nähe des
Halbergs in Betrieb – genau dort, wo sich heute das Areal des Saar Basars befindet. Nun stand dem Stahlwerk nicht nur ausreichend Platz zur Verfügung, man hatte sogar einen eigenen Gleisanschluss zur Bahnlinie Saarbrücken – St. Ingbert. Produziert wurden Grubenmaterial, Waggonbeschlagteile, Radkörper und Walzenständer.
Carl Ludwig Karcher starb bereits im Jahr 1902, kurz nach dem 25. Geburtstag
seiner Firma. Die Leitung übernahmen seine Söhne Karl und Hans. Die Villa der Karchers und das ehemalige Meisterhaus aus der Zeit stehen heute noch in der Straße Am Zoo – auf geschichtsträchtigem Gebiet: Am Rand des Gartens der Karcher-Villa wurde 1915 unter einer Hecke der fast lebensgroße Torso einer Männerstatue aus der Römerzeit entdeckt, der heute im Museum für Vor- und Frühgeschichte steht.
Während des Ersten Weltkriegs stieg die Produktion des Stahlwerks gewaltig an, man erreichte eine Jahresleistung von 31 000 Tonnen mit einer Belegschaft von 1450 Mitarbeitern. Das war möglich, weil im Werk nun statt zwei kleiner, zwei große Martinsöfen mit einem Fassungsvermögen von je 20 Tonnen ihren Dienst taten. Nach Kriegsende verlor die Firma einen Teil ihres Absatzgebietes in Frankreich. Durch eine vorübergehende Zusammenarbeit mit der Firma „de Dietrich & Co“in Niederbronn konnten die Verluste aber ausgeglichen werden. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Ausweichbetrieb in Worms errichtet. Auch hatte das Unternehmen mit zwei anderen Firmen zusammen offenbar ein Zwangsarbeiterlager in Neuscheidt, so eine Veröffentlichung von Hermann Volk von 1989 („Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945“, Band 4).
Mit der wirtschaftlichen Rückgliederung des Saarlandes und dem Anschluss an die Bundesrepublik gelang es der Firma, zu den führenden deutschen Stahlformgießereien aufzusteigen. So wurde die bis dahin größte Turbine der Welt, 185 Tonnen schwer, bei Dingler und Karcher gegossen. Für den Panzer „Leopard“der Bundeswehr fertigte das Stahlwerk über 500 Türme an.
Mit der sich abzeichnenden Stahlkrise zeigte sich jedoch, dass das Familienunternehmen nicht mehr über die Investitions- und Finanzkraft verfügte, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Die Firma wurde 1972 an den Schweizer Konzern Georg Fischer AG in Schaffhausen verkauft. Die neuen Eigentümer legten das Saarbrücker Stammwerk still, entließen 733 Mitarbeiter – drei Jahre, bevor man den 100. Firmengeburtstag hätte feiern können. Ob die neuen Eigentümer mit Kauf nur einen Konkurrenten loswerden wollten, wurde nie geklärt.
Noch 20 Jahre nach der Stilllegung organisierten Mitarbeiter jährliche Zusammenkünfte. Eine Ausstellung der Historie des Ortes im Saar Basar war sehr erfolgreich. Bis heute erinnert der Name der Karcherstraße an die einflussreiche Gründerfamilie, sowie an deren Stiftungen und deren Firma. Die Straße befindet sich genau dort, wo das Stahlwerk seine Anfänge hatte.