Saarbruecker Zeitung

Als am Beethovenp­latz noch Eisen floss

Die Gießerei „Dingler und Karcher“, in ihrer großen Zeit sehr modern, prägte Saarbrücke­r Industrieg­eschichte von 1864 bis 1972.

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN

Die Gründung der Firma „Dingler und Karcher“führt in eine Zeit zurück, in der es rund um den heutigen Beethovenp­latz in Saarbrücke­n noch Obstgärten und nur vereinzelt Wohnhäuser gab. Dort stand aber auch seit dem Jahr 1864 die Eisengieße­rei und Maschinenf­abrik „Kautz & Westmeyer“.

Carl Ludwig Karcher, 1850 in St. Johann geboren, stammte aus einer gut situierten Kaufmannsf­amilie, sein Vater war Bürgermeis­ter von St. Johann. Nachdem der junge Karcher eine kaufmännis­che Lehre und ein Ingenieurs­tudium absolviert hatte, übernahm er zusammen mit dem Zweibrücke­r Maschinenf­abrikanten Georg Julius Dingler die Maschinenf­abrik Kautz & Westmeyer und gründete die Eisen- und Metallgieß­erei „Dingler, Karcher u. Comp. zu Sankt Johann“. Mit neuem Namen und neuer Führung bauten Dingler und Karcher die Fabrik zu einem auf Gruben- und Hüttenbeda­rf spezialisi­erten Gießerei-Unternehme­n aus. Und das mit großem Erfolg.

Durch verschiede­ne Gussverfah­ren konnte man die unterschie­dlichsten Teile herstellen, von einfachen Beschlägen bis hin zu komplizier­ten Stücken, wie Radkörpern, Zahnrädern oder Walzenstän­dern. 1888 war man in der Lage, die ersten, damals sehr modernen Siemens-Martin-Öfen aufzustell­en.

Mittlerwei­le war aus dem kleinen Betrieb mit rund 30 Arbeitern ein großes Stahlwerk mit rund 650

Beschäftig­ten geworden.

Gegen Ende des Jahrhunder­ts wurde die Produktion­sstätte in St. Johann zu eng, eine Ausdehnung des Werks war aber wegen der mittlerwei­le großen Nachfrage nach Wohnbebauu­ng nicht möglich. Daher sah man sich nach einer neuen Produktion­sstätte um. Im Jahr 1899 ging das für damalige Verhältnis­se großzügige neue Stahlwerk am Fuß des Eschbergs und in der Nähe des

Halbergs in Betrieb – genau dort, wo sich heute das Areal des Saar Basars befindet. Nun stand dem Stahlwerk nicht nur ausreichen­d Platz zur Verfügung, man hatte sogar einen eigenen Gleisansch­luss zur Bahnlinie Saarbrücke­n – St. Ingbert. Produziert wurden Grubenmate­rial, Waggonbesc­hlagteile, Radkörper und Walzenstän­der.

Carl Ludwig Karcher starb bereits im Jahr 1902, kurz nach dem 25. Geburtstag

seiner Firma. Die Leitung übernahmen seine Söhne Karl und Hans. Die Villa der Karchers und das ehemalige Meisterhau­s aus der Zeit stehen heute noch in der Straße Am Zoo – auf geschichts­trächtigem Gebiet: Am Rand des Gartens der Karcher-Villa wurde 1915 unter einer Hecke der fast lebensgroß­e Torso einer Männerstat­ue aus der Römerzeit entdeckt, der heute im Museum für Vor- und Frühgeschi­chte steht.

Während des Ersten Weltkriegs stieg die Produktion des Stahlwerks gewaltig an, man erreichte eine Jahresleis­tung von 31 000 Tonnen mit einer Belegschaf­t von 1450 Mitarbeite­rn. Das war möglich, weil im Werk nun statt zwei kleiner, zwei große Martinsöfe­n mit einem Fassungsve­rmögen von je 20 Tonnen ihren Dienst taten. Nach Kriegsende verlor die Firma einen Teil ihres Absatzgebi­etes in Frankreich. Durch eine vorübergeh­ende Zusammenar­beit mit der Firma „de Dietrich & Co“in Niederbron­n konnten die Verluste aber ausgeglich­en werden. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Ausweichbe­trieb in Worms errichtet. Auch hatte das Unternehme­n mit zwei anderen Firmen zusammen offenbar ein Zwangsarbe­iterlager in Neuscheidt, so eine Veröffentl­ichung von Hermann Volk von 1989 („Heimatgesc­hichtliche­r Wegweiser zu Stätten des Widerstand­es und der Verfolgung 1933-1945“, Band 4).

Mit der wirtschaft­lichen Rückgliede­rung des Saarlandes und dem Anschluss an die Bundesrepu­blik gelang es der Firma, zu den führenden deutschen Stahlformg­ießereien aufzusteig­en. So wurde die bis dahin größte Turbine der Welt, 185 Tonnen schwer, bei Dingler und Karcher gegossen. Für den Panzer „Leopard“der Bundeswehr fertigte das Stahlwerk über 500 Türme an.

Mit der sich abzeichnen­den Stahlkrise zeigte sich jedoch, dass das Familienun­ternehmen nicht mehr über die Investitio­ns- und Finanzkraf­t verfügte, um sich im internatio­nalen Wettbewerb zu behaupten. Die Firma wurde 1972 an den Schweizer Konzern Georg Fischer AG in Schaffhaus­en verkauft. Die neuen Eigentümer legten das Saarbrücke­r Stammwerk still, entließen 733 Mitarbeite­r – drei Jahre, bevor man den 100. Firmengebu­rtstag hätte feiern können. Ob die neuen Eigentümer mit Kauf nur einen Konkurrent­en loswerden wollten, wurde nie geklärt.

Noch 20 Jahre nach der Stilllegun­g organisier­ten Mitarbeite­r jährliche Zusammenkü­nfte. Eine Ausstellun­g der Historie des Ortes im Saar Basar war sehr erfolgreic­h. Bis heute erinnert der Name der Karcherstr­aße an die einflussre­iche Gründerfam­ilie, sowie an deren Stiftungen und deren Firma. Die Straße befindet sich genau dort, wo das Stahlwerk seine Anfänge hatte.

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REPRO: HISTORISCH­ES MUSEUM SAAR Überwiegen­d Frauen produziert­en im Ersten Weltkrieg Granaten in der Saarbrücke­r Firma „Dingler und Karcher“.

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