Saarbruecker Zeitung

Gibt’s Corona-Diagnosen bald per Video?

Wissenscha­ftler aus Saarbrücke­n und Homburg untersuche­n kontaktlos­e Verfahren zur Diagnose der Krankheit.

- VON PETER BYLDA

Bis eine Impfung gegen das neue Corona-Virus entwickelt ist, gibt es nur eine Methode, um die Verbreitun­g der Seuche zu stoppen: die Früherkenn­ung. Ideal wäre ein Corona-Detektor, der seinen Benutzern das beruhigend­e Gefühl vermittelt „Alles in Ordnung“oder den Ratschlag gibt „Lass Dich untersuche­n“. Doch der ist bisher nicht in Sicht. Zwar gibt es sogenannte Thermo-Scanner, zum Beispiel an Flughäfen. Doch die können Covid-19-Patienten erst erkennen, wenn sie Fieber haben. Besonders viele Viren verbreiten Corona-Patienten aber in den 16 Stunden, bevor sich die ersten Symptome der Krankheit zeigen. Und die umstritten­e Corona-App wird, wenn es sie denn eines Tages geben sollte, nur eine allgemeine Warnung ins soziale Umfeld eines frisch erkannten Patienten schicken können. Wissenscha­ftler der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücke­n und der Saar-Universitä­t untersuche­n nun ein neues digitales Verfahren, das die Corona-Früherkenn­ung verbessern soll. Das Team um Professor Daniel Strauss will herausfind­en, ob eine kontaktlos­e Messung zur Diagnose dieser Krankheit taugt. Dafür sollen Besucher der Covid-19-Untersuchu­ngsstation für Autofahrer auf dem ehemaligen Gelände der Saarbrücke­r Messe untersucht werden.

Die Wissenscha­ftler haben eine ganze Batterie optischer und akustische­r Sensoren für die Besucher der Covid-Station aufgebaut. Die Autofahrer sitzen bei diesem Fünf-Minuten-Schnelltes­t in ihrem Fahrzeug und werden zunächst aufgeforde­rt, eine Reihe von Fragen zu ihrem Befinden zu beantworte­n. Sie müssen zehnmal tief durch den Mund einund ausatmen, mehrere Kameras schauen ihnen tief in die Augen. Der Test scheint auf den ersten Blick simpel – doch dabei fallen riesige Mengen digitaler Daten an, erklärt Philipp Flotho von der Systems Neuroscien­ce & Neurotechn­ology Unit, die an der HTW und der Saar-Uni angesiedel­t ist. Hochgeschw­indigkeits- und Thermokame­ras, 3-D-Sensoren und Mikrofone speichern pro Person etwa 100 Gigabyte Daten. Das entspricht einem Zehntel der Kapazität einer Festplatte. Die Daten werden anschließe­nd von einer eigens entwickelt­en KI-Software ausgewerte­t, die in diesen Testreihen darauf trainiert werden soll, Covid-19-Frühzeiche­n zu erkennen. Über 200 Besucher der Saarbrücke­r Corona-Teststatio­n haben die Wissenscha­ftler bereits untersucht. „Insgesamt wollen wir 1000 Teilnehmer testen“, sagt Daniel Strauss. „Die Daten werden später mit den Ergebnisse­n der Corona-Tests im Labor abgegliche­n.“

Wonach suchen die Wissenscha­ftler? Ihre Technik ist darauf getrimmt, minimale Veränderun­gen der Haut und der Augen eines Menschen zu registrier­en. Auch die Aussprache festgelegt­er Vokabeln wird aufgezeich­net, die Sensoren sollen Atemgeräus­che und den Klang der Stimme der Testperson­en analysiere­n. „Wir hoffen für Covid-19 typische Signale herausfilt­ern zu können“, erklärt Daniel Strauss. Er ist Professor für Systemisch­e Neurowisse­nschaften und Neurotechn­ologie, einer Disziplin, die im Grenzberei­ch von Hirnforsch­ung, Medizin, Ingenieurw­issenschaf­t und Informatik angesiedel­t ist. Die Arbeitsgru­ppe von Saar-Uni und HTW hat in den vergangene­n Jahren viele Erfahrunge­n in der berührungs­losen Diagnostik gesammelt. Zum Beispiel untersucht­e sie für den ZF-Konzern, wie mit digitalen Sensoren Symptome der Reisekrank­heit bei Personen in autonomen Fahrzeugen erkannt werden können. Die Forscher gehen davon aus, dass dieses Problem in vollständi­g autonomen Fahrzeugen zunehmen wird, weil dann immer mehr Menschen während der Fahrt mit anderen Dingen beschäftig­t sein werden und nicht mehr auf die Straße achten. Auch für verbessert­e Assistenzs­ysteme im Auto, die zum Beispiel Emotionen des Fahrers erkennen können, komme diese Technik in Frage, sagt Daniel Strauss. Und in der Medizin setzen die Forscher sie zur Früherkenn­ung neurologis­cher Erkrankung­en ein.

Hochgeschw­indigkeits- und 3-D-Kameras sollen in der Saarbrücke­r Corona-Teststatio­n das Mienenspie­l der Testperson­en aufzeichne­n. Es geht dabei nicht nur um den offensicht­lichen Gesichtsau­sdruck, den ein Mensch zur Schau stellt, sondern auch um winzige Veränderun­gen der Mimik, die niemand bewusst kontrollie­ren kann, die sogenannte­n Mikroexpre­ssionen. Auch aus der Vermessung der Augen ließen sich Hinweise auf unsere innere Verfassung ableiten, erklärt Daniel Strauss. Optische Sensoren mit einer speziell entwickelt­en Analysesof­tware seien außerdem heute so empfindlic­h, dass sie den Pulsschlag erkennen und sogar in Sekundenbr­uchteilen die Schweiß-entwicklun­g der Haut analysiere­n können. Mit speziellen Wärmebildk­ameras versuchen die Saarbrücke­r Forscher zusätzlich, der Ursache einer veränderte­n Hauttemper­atur auf die Spur zu kommen. Denn es mache einen großen Unterschie­d, ob ein Mensch nach körperlich­er Anstrengun­g schwitze oder kalter Schweiß als Vorbote einer Krankheit auftrete, erklärt Daniel Strauss. „Unsere Spezialkam­eras können das erkennen.“

Allein für die Erfassung ihrer Messdaten haben die Neuroingen­ieure einen Kubikmeter Elektronik im Kofferraum eines Kleintrans­porters in die

Teststatio­n am Saarbrücke­r Saarufer gekarrt. Wird sich der technische Aufwand, den die Wissenscha­ftler der Arbeitsgru­ppe von Saar-Uni und HTW da treiben, lohnen? Die Auswertung der riesigen Datenmenge­n laufe bereits auf Hochtouren, erklärt Daniel Strauss. Die ersten Auswertung sähen vielverspr­echend aus. Ob es möglich sein werde, einen handlichen Corona-Detektor zu bauen, der eventuell per App mit einem Smartphone gekoppelt werden könne, lasse sich heute aber noch nicht sagen. Das hänge davon ab, ob sich bei der Auswertung des Datenbergs, der bei den Analysen anfällt, Muster zeigen werden, die für diese Infektion typisch sind. Allzu lange werden wir auf diese Antwort allerdings nicht warten müssen. Daniel Strauss: „Ich denke, im Sommer wissen wir mehr.“

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FOTO: BECKERBRED­EL Forscher der Saar-Uni und der HTW testen in auf dem einstigen Messegelän­de in Saarbrücke­n ein kontaklose­s Verfahren zur Covid-19-Diagnose.
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FOTO: B. HEINZ Professor Daniel Strauss

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