Gibt’s Corona-Diagnosen bald per Video?
Wissenschaftler aus Saarbrücken und Homburg untersuchen kontaktlose Verfahren zur Diagnose der Krankheit.
Bis eine Impfung gegen das neue Corona-Virus entwickelt ist, gibt es nur eine Methode, um die Verbreitung der Seuche zu stoppen: die Früherkennung. Ideal wäre ein Corona-Detektor, der seinen Benutzern das beruhigende Gefühl vermittelt „Alles in Ordnung“oder den Ratschlag gibt „Lass Dich untersuchen“. Doch der ist bisher nicht in Sicht. Zwar gibt es sogenannte Thermo-Scanner, zum Beispiel an Flughäfen. Doch die können Covid-19-Patienten erst erkennen, wenn sie Fieber haben. Besonders viele Viren verbreiten Corona-Patienten aber in den 16 Stunden, bevor sich die ersten Symptome der Krankheit zeigen. Und die umstrittene Corona-App wird, wenn es sie denn eines Tages geben sollte, nur eine allgemeine Warnung ins soziale Umfeld eines frisch erkannten Patienten schicken können. Wissenschaftler der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücken und der Saar-Universität untersuchen nun ein neues digitales Verfahren, das die Corona-Früherkennung verbessern soll. Das Team um Professor Daniel Strauss will herausfinden, ob eine kontaktlose Messung zur Diagnose dieser Krankheit taugt. Dafür sollen Besucher der Covid-19-Untersuchungsstation für Autofahrer auf dem ehemaligen Gelände der Saarbrücker Messe untersucht werden.
Die Wissenschaftler haben eine ganze Batterie optischer und akustischer Sensoren für die Besucher der Covid-Station aufgebaut. Die Autofahrer sitzen bei diesem Fünf-Minuten-Schnelltest in ihrem Fahrzeug und werden zunächst aufgefordert, eine Reihe von Fragen zu ihrem Befinden zu beantworten. Sie müssen zehnmal tief durch den Mund einund ausatmen, mehrere Kameras schauen ihnen tief in die Augen. Der Test scheint auf den ersten Blick simpel – doch dabei fallen riesige Mengen digitaler Daten an, erklärt Philipp Flotho von der Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit, die an der HTW und der Saar-Uni angesiedelt ist. Hochgeschwindigkeits- und Thermokameras, 3-D-Sensoren und Mikrofone speichern pro Person etwa 100 Gigabyte Daten. Das entspricht einem Zehntel der Kapazität einer Festplatte. Die Daten werden anschließend von einer eigens entwickelten KI-Software ausgewertet, die in diesen Testreihen darauf trainiert werden soll, Covid-19-Frühzeichen zu erkennen. Über 200 Besucher der Saarbrücker Corona-Teststation haben die Wissenschaftler bereits untersucht. „Insgesamt wollen wir 1000 Teilnehmer testen“, sagt Daniel Strauss. „Die Daten werden später mit den Ergebnissen der Corona-Tests im Labor abgeglichen.“
Wonach suchen die Wissenschaftler? Ihre Technik ist darauf getrimmt, minimale Veränderungen der Haut und der Augen eines Menschen zu registrieren. Auch die Aussprache festgelegter Vokabeln wird aufgezeichnet, die Sensoren sollen Atemgeräusche und den Klang der Stimme der Testpersonen analysieren. „Wir hoffen für Covid-19 typische Signale herausfiltern zu können“, erklärt Daniel Strauss. Er ist Professor für Systemische Neurowissenschaften und Neurotechnologie, einer Disziplin, die im Grenzbereich von Hirnforschung, Medizin, Ingenieurwissenschaft und Informatik angesiedelt ist. Die Arbeitsgruppe von Saar-Uni und HTW hat in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen in der berührungslosen Diagnostik gesammelt. Zum Beispiel untersuchte sie für den ZF-Konzern, wie mit digitalen Sensoren Symptome der Reisekrankheit bei Personen in autonomen Fahrzeugen erkannt werden können. Die Forscher gehen davon aus, dass dieses Problem in vollständig autonomen Fahrzeugen zunehmen wird, weil dann immer mehr Menschen während der Fahrt mit anderen Dingen beschäftigt sein werden und nicht mehr auf die Straße achten. Auch für verbesserte Assistenzsysteme im Auto, die zum Beispiel Emotionen des Fahrers erkennen können, komme diese Technik in Frage, sagt Daniel Strauss. Und in der Medizin setzen die Forscher sie zur Früherkennung neurologischer Erkrankungen ein.
Hochgeschwindigkeits- und 3-D-Kameras sollen in der Saarbrücker Corona-Teststation das Mienenspiel der Testpersonen aufzeichnen. Es geht dabei nicht nur um den offensichtlichen Gesichtsausdruck, den ein Mensch zur Schau stellt, sondern auch um winzige Veränderungen der Mimik, die niemand bewusst kontrollieren kann, die sogenannten Mikroexpressionen. Auch aus der Vermessung der Augen ließen sich Hinweise auf unsere innere Verfassung ableiten, erklärt Daniel Strauss. Optische Sensoren mit einer speziell entwickelten Analysesoftware seien außerdem heute so empfindlich, dass sie den Pulsschlag erkennen und sogar in Sekundenbruchteilen die Schweiß-entwicklung der Haut analysieren können. Mit speziellen Wärmebildkameras versuchen die Saarbrücker Forscher zusätzlich, der Ursache einer veränderten Hauttemperatur auf die Spur zu kommen. Denn es mache einen großen Unterschied, ob ein Mensch nach körperlicher Anstrengung schwitze oder kalter Schweiß als Vorbote einer Krankheit auftrete, erklärt Daniel Strauss. „Unsere Spezialkameras können das erkennen.“
Allein für die Erfassung ihrer Messdaten haben die Neuroingenieure einen Kubikmeter Elektronik im Kofferraum eines Kleintransporters in die
Teststation am Saarbrücker Saarufer gekarrt. Wird sich der technische Aufwand, den die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Saar-Uni und HTW da treiben, lohnen? Die Auswertung der riesigen Datenmengen laufe bereits auf Hochtouren, erklärt Daniel Strauss. Die ersten Auswertung sähen vielversprechend aus. Ob es möglich sein werde, einen handlichen Corona-Detektor zu bauen, der eventuell per App mit einem Smartphone gekoppelt werden könne, lasse sich heute aber noch nicht sagen. Das hänge davon ab, ob sich bei der Auswertung des Datenbergs, der bei den Analysen anfällt, Muster zeigen werden, die für diese Infektion typisch sind. Allzu lange werden wir auf diese Antwort allerdings nicht warten müssen. Daniel Strauss: „Ich denke, im Sommer wissen wir mehr.“