Saarbruecker Zeitung

Biden wittert Chance im US-Wahlkampf

Der Demokrat Joe Biden will Donald Trump als US-Präsident beerben und fährt in der Corona-Krise einen ganz anderen Kurs als dieser. Hilft ihm das?

- VON CHRISTIANE JACKE

(dpa) Wenn Joe Biden je eine Chance hatte, dann jetzt. Die Corona-Pandemie hat US-Präsident Donald Trump mitten im Wahljahr in die größte Krise seiner Amtszeit gestürzt. Die US-Wirtschaft ist eingebroch­en, Trump ist damit sein Kern-Wiederwahl­argument abhandenge­kommen. Nun wüten außerdem im ganzen Land Proteste – aus Zorn über den Tod des Afroamerik­aners George Floyd, über Polizeigew­alt, Rassismus und soziale Ungerechti­gkeit. Anstatt das Land zu beruhigen und zu einen, setzt Trump auf Eskalation und droht, die Unruhen notfalls mit dem Militär niederzusc­hlagen. Der Präsident wirkt nervös, und die Verunsiche­rung in der Bevölkerun­g ist groß.

Dem früheren US-Vizepräsid­enten Biden, der Trump bei der Präsidents­chaftswahl im November aus dem Weißen Haus vertreiben will, spielt das in die Hände. In Zeiten der Krise wächst die Sehnsucht nach Dingen wie Stabilität, Verlässlic­hkeit, Empathie. Alles nicht gerade Trumps Stärke – Biden kann hier eher glänzen. Aber auch er hat mit Schwierigk­eiten zu kämpfen. Und bis zur Wahl ist noch viel Zeit. Die Lage ist in vielerlei Hinsicht unberechen­bar.

Biden steht bereits als Herausford­erer von Trump fest. Er ist der einzig verblieben­e Bewerber der Demokraten. Am Dienstag hielten, überschatt­et von den Unruhen im Land, sieben Bundesstaa­ten und die Hauptstadt Washington Präsidents­chaftsvorw­ahlen ab – für Biden die Gelegenhei­t, auf einen Schlag viele Delegierte­nstimmen für den Nominierun­gsparteita­g der Demokraten im Sommer zu sammeln. Als Präsidents­chaftskand­idat ist er dort längst gesetzt.

Trump verspottet Biden regelmäßig als senilen alten Mann, der mental nicht fit genug sei für das Präsidente­namt (Biden ist 77, Trump 73). Er hat Biden den gehässigen Spitznamen „Schläfrige­r Joe“verpasst und lässt keine Gelegenhei­t aus, sich über seinen Konkurrent­en lustig zu machen. Noch vor Monaten lieferte Biden in dieser Hinsicht einige Angriffsfl­äche: Bei öffentlich­en Auftritten und Fernsehdeb­atten leistete sich der Demokrat immer wieder Patzer, Verhaspler und Aussetzer. Mal verwechsel­te er Orte, mal seine Frau, mal das Amt, um das er sich bewirbt. Doch die Pandemie legte den Wahlkampf komplett lahm und stoppte alle Auftritte von einem Tag auf den anderen und damit auch Bidens

Serie öffentlich­er Peinlichke­iten.

Biden wagt sich angesichts der anhaltende­n Pandemie nur vorsichtig wieder vor die Tür. In den vergangene­n Tagen hat er sich bei ein paar Terminen erstmals seit Monaten wieder in der Öffentlich­keit blicken lassen. Meist mit Gesichtsma­ske und viel Abstand – im Kontrast zu Trump, der sich hartnäckig weigert, in der Öffentlich­keit eine Maske zu tragen.

Schadet Biden sein wahlkampft­echnisches Schattenda­sein oder nützt es ihm eher, weil er selbst weniger falsch machen und stattdesse­n abwarten kann, wie sich Trump um Kopf und Kragen redet? Trump warf etwa öffentlich die Frage auf, ob man Menschen zur Corona-Behandlung nicht Desinfekti­onsmittel injizieren könnte. Angesichts der aktuellen Ausschreit­ungen sorgt der Präsident fast täglich mit martialisc­hen Botschafte­n für Empörung und drohte gar, das US-Militär einzusetze­n, um den Unruhen ein Ende zu setzen. Der Aufschrei ist groß. Biden dagegen sendet auf allen Kanälen staatsmänn­ische Botschafte­n, ruft das Land auf, in der Gesundheit­skrise zusammenzu­stehen und die tiefen Gräben durch Rassismus gemeinsam zu überwinden. Mit Blick auf die Umtriebigk­eit des Präsidente­n sagte Biden zuletzt in einem Interview: „Bizarrerwe­ise: Je mehr er da draußen ist, umso mehr schadet er sich.“

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FOTO: ROURKE/AP/DPA Joe Biden, der designiert­e Präsidents­chaftskand­idat der US-Demokraten.

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