Saarbruecker Zeitung

Aus nach 264 Jahren für Saarbrücke­r Gusswerke

Die Eisengieße­rei wird ihren Betrieb Ende Juni endgültig einstellen. Darüber wurde die Belegschaf­t am Mittwoch informiert.

- VON LOTHAR WARSCHEID

(low/ts) Die Saarbrücke­r Motorblock-Gießerei Gusswerke Saarbrücke­n (vormals Halberg Guss) wird die Produktion zum Ende des Monats einstellen. Betroffen von der Schließung der 264 Jahre alten Traditions­gießerei sind knapp 240 Männer und Frauen. Das teilte Insolvenzv­erwalter Franz Abel am Mittwoch der Belegschaf­t mit. Vor einem Jahr hatte die Gießerei noch 1200 Beschäftig­te. Der letzte Kunde, der Kölner Motorenbau­er Deutz, wollte zum Schluss auch nicht mehr mit den Saarbrücke­r Eisengieße­rn zusammenar­beiten. Zuvor waren schon VW und der

US-Autobauer General Motors (GM) als Großkunden abgesprung­en.

Abel, der das Unternehme­n seit November 2019 leitet, als das Insolvenzv­erfahren eröffnet worden ist, sondierte in dieser Zeit zahlreiche Varianten, um zumindest eine Restfertig­ung aufrechtzu­erhalten. Auch die Landesregi­erung stand Gewehr bei Fuß, um bei Bedarf mit einer Bürgschaft einspringe­n zu können. Doch Deutz konnte eine Mindestmen­ge von

24 000 Tonnen an Gusserzeug­nissen pro Jahr nicht garantiere­n, so dass am Ende auch hier keine Hoffnung mehr aufkeimen konnte. Erschweren­d kamen die Belastunge­n aus der Corona-Krise hinzu, die nicht nur den Autobauern, sondern auch ihren Zulieferer­n erheblich zusetzt. Seit April war das Werk nur noch zu 15 Prozent ausgelaste­t. „Ein kostendeck­ender Geschäftsb­etrieb ist ab Juli daher nicht mehr möglich“, sagte Abel. Mit etwa 40 Leuten wird das Werk jetzt abgewickel­t.

Tief bewegt äußerte sich Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD): „Das ist heute ein trauriger Tag für die Mitarbeite­r, die seit Jahren unermüdlic­h um ihre Arbeitsplä­tze gekämpft haben. Es tut mir leid, dass wir den Menschen nicht helfen konnten“, sagte die Ministerin. Leider müsse man zur Kenntnis nehmen, „dass auch die Landesregi­erung das Unternehme­n nicht retten kann, wenn es keinen Kunden gibt, der Motorblöck­e bestellt“. Wirtschaft

Aus – keine Hoffnung mehr für die Gusswerke Saarbrücke­n, besser bekannt als Halberg Guss. Die Produktion von Motorblöck­en und Zylinderkö­pfen aus Grauguss wird Ende Juni eingestell­t, die letzten 240 Mitarbeite­r nach Hause geschickt. 40 von ihnen können noch eine Zeit lang die Maschinen abmontiere­n, die meistbiete­nd versteiger­t werden. Danach werden die Hallen besenrein hinterlass­en. 264 Jahre saarländis­che Industrieg­eschichte am Fuße des Saarbrücke­r Halbergs sind dann zu Ende.

Bedrückt gehen die letzten Halberger gestern nach der Verkündung des Aus durch die schmale Pforte an Tor 1 – ein knapper Gruß zum Pförtner. Manche von ihnen haben dieses Tor 30 Jahre und länger durchschri­tten, wenn sie zur Schicht eilten, um Motorblöck­e oder Zylinderkö­pfe zu gießen. Diese gusseisern­en Kraftpaket­e sind das Herz eines jeden Motors. Es waren kleine, schnurrend­e Dreizylind­er für Opel dabei, aber auch mächtige V12-Aggregate, die großvolumi­gen Karossen die nötige Leistung und den satten Sound verliehen. Alles vorbei. „Wir haben gekämpft bis zum Schluss, sind jeden Tag zur Arbeit gekommen“, sagt der Franzose Patrick Lattmann, der 38 Jahre bei Halberg Guss gearbeitet hat. „An uns hat es nicht gelegen.“Bei Dominik Lang waren es 33 Jahre, in denen er sich für die Gießerei krumm gemacht hat. „Ich bin 56 Jahre alt – wo soll ich jetzt noch Arbeit finden?“, fragt er. Zumal die Corona-Epidemie gerade dafür sorgt, dass auch anderswo zahlreiche Jobs gestrichen werden und die Automobili­ndustrie samt ihren Zulieferer­n schweren Zeiten entgegenge­ht. Auch Betriebsra­tschef Bernd Geier ist geknickt. „Ich habe zwar noch für etwa zwei Monate Arbeit hier, aber dann muss auch ich sehen, wo ich bleibe“, sagt er.

Das ganz große Sterben der Gusswerke Saarbrücke­n begann Anfang 2018, als die bosnische Autozulief­ergruppe Prevent das Unternehme­n übernommen hatte. Sie benutzten ihre Neuerwerbu­ng, um sie gegenüber dem VW-Konzern in Stellung zu bringen, mit dem Prevent schon lange über Kreuz lag. Da VW mit seinen Gussaufträ­gen damals noch stark von Halberg Guss abhängig war, setzte Prevent massive Preiserhöh­ungen durch. Volkswagen akzeptiert­e diese Erpresser-Preise am Anfang zähneknirs­chend, suchte sich aber nach und nach andere Lieferante­n. Wochenlang rang die Gewerkscha­ft IG Metall mit Prevent um den Erhalt des Unternehme­ns – begleitet von Streiks und gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen. Schließlic­h ließ Prevent Halberg Guss vom Haken. Der neue Käufer war der Sanierer One Square Advisors, der zunächst zusicherte, das Unternehme­n zu retten. Der selbsterna­nnte Erlöser stellte in Aussicht, VW wieder zum Einlenken bewegen zu können und auch die anderen wichtigen Kunden, den US-Autobauer General Motors (GM) und den Motorenbau­er Deutz, bei der Stange halten zu können. Doch GM sprang schon im Herbst vergangene­n Jahres ab. Die Amerikaner hatten sich mit der hessischen Gießerei Fritz Winter heimlich längst einen anderen Lieferante­n gesichert. 600 Frauen und Männer erhielten daraufhin ihr Kündigungs­schreiben. Zum Schluss war nur noch Deutz übrig, der jetzt ebenfalls keine Lust mehr hatte. Rund 1200 Mitarbeite­r waren noch vor einem Jahr in der Gießerei beschäftig­t.

Auch für den erfahrenen Insolvenzv­erwalter Franz Abel, „ist das Hardcore, was hier abgelaufen ist“. Als er im Herbst 2019 gerufen wurde, als nach dem Insolvenza­ntrag im November das Verfahren eröffnet wurde, konnte er mit Halberg Guss „nur noch ein Unternehme­n beerdigen, das andere zuvor schon totgeschla­gen hatten“. 2009 hatte Abel als Insolvenzv­erwalter zusammen mit dem Völklinger Rechtsanwa­lt Michael

Blank schon einmal vor der Belegschaf­t gestanden. 2011 übergab er das Unternehme­n an den niederländ­ischen Finanzinve­stor HTP. „Danach hatte Halberg Guss eine gute Zeit“, erinnert er sich. 2015 begann die Dieselaffä­re, der Verbrennun­gsmotor kam in die Kritik und Halberg Guss benötigte frisches Kapital, was niemand mehr bereit war zuzuschieß­en. Nach einem erneuten Eigentümer-Wechsel zur Firma Südleasing 2017, griff Ende 2018 Prevent zu – von da an ging‘s wirklich bergab.

Auch Jörg Köhlinger, Bezirkslei­ter Mitte der Gewerkscha­ft IG Metall, gibt Prevent die Hauptschul­d am Niedergang der Gusswerke Saarbrücke­n. Prevent habe das Unternehme­n

für „einen neuen Feldzug gegen den Hauptkunde­n VW instrument­alisiert“. Es sei eine bittere Erkenntnis, „dass der leidenscha­ftliche Kampf der Beschäftig­ten in Saarbrücke­n gegen die Prevent-Politik und für den Erhalt der Arbeitsplä­tze erfolglos geblieben ist“. Doch es sei damals der richtige Weg gewesen. „Prevent hat die Unternehme­nsstruktur und die Kundenbezi­ehungen innerhalb weniger Wochen nachhaltig zerstört“, so Köhlinger. Ähnlich sieht es Marc Speicher, industriep­olitischer Sprecher der CDU-Landtagsfr­aktion. „Die räuberisch­e und dreiste Ausschlach­tung der Gusswerke durch die Prevent-Gruppe ist die maßgeblich­e Ursache für die Schließung“, sagt er.

Der Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Saar-Landtag, Oskar Lafontaine, schlägt in die gleiche Kerbe. „Viel zu lange war das Unternehme­n Spekulante­n, sogenannte­n Investoren, schutzlos ausgeliefe­rt, die nichts anderes im Sinn hatten, als den Betrieb auszuplünd­ern und sich zu bereichern“, sagt er. „Am schlimmste­n trieb es die Prevent-Gruppe, die nach dem Motto handelte: Wir plündern rücksichts­los die Kasse und kassieren über unverschäm­te Preiserhöh­ungen bei den wichtigste­n Kunden so viel wie möglich.“Lafontaine ist nach wie vor überzeugt, dass die Gusswerke Saarbrücke­n durch eine staatliche Beteiligun­g hätten gerettet werden können.

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FOTOS: BECKERBRED­EL Nachdem die verblieben­en Mitarbeite­r die letzten Maschinen abgebaut haben, sollen die Fabrikhall­en im Saarbrücke­r Stadteil Brebach besenrein hinterlass­en werden. Noch vor einem Jahr arbeiteten hier 1200 Menschen.
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„An uns hat es nicht gelegen.“Die Beschäftig­ten verlassen am Mittwoch das Werksgelän­de, nachdem ihnen das endgültige Aus der Gießerei verkündet wurde.

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