Fischfang ist Trumpf beim Handelsabkommen
Die Hoffnungen für die Zukunft waren groß unter jenen Fischern, die allabendlich mit ihren Schleppern langsam in den Hafen von Ilfracombe tuckern. Während die Sonne hinter dem Kliff verschwindet, entladen sie dann den Fang des Tages von ihren Booten, Körbe voller Wellhornschnecken und Hummer.
Hier, an der Nordküste der südwestenglischen Grafschaft Devon, stimmten die Fischer 2016 voller Leidenschaft für den Austritt Großbritanniens aus der EU – wie der überwältigende Großteil ihrer Kollegen im Rest des Landes. Endlich, so der Wunsch, würden die verhassten Fangquoten aus Brüssel abgeschafft. Endlich, so das Versprechen, würden sie aus der Gemeinsamen Fischereipolitik aussteigen und wieder die Kontrolle über ihre Gewässer
erhalten. Doch knapp vier Jahre nach dem Referendum herrscht unter den Fischern in der pittoresken
Kleinstadt vor allem Ernüchterung. „Es ist eine Schande“, schimpft einer der Männer in orangefarbenen Gummistiefeln über die Verhandlungen über ein künftiges Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Seit dem offiziellen Brexit am 31. Januar wurden laut EU-Chefunterhändler Michel Barnier und dessen Kollege in London, David Frost, kaum Fortschritte erzielt. Trotzdem lehnt die britische Regierung eine Verlängerung der Übergangsphase, die am 31. Dezember endet, vehement ab.
Auf einem Gipfeltreffen soll in Kürze eine Zwischenbilanz gezogen werden. Sie dürfte ernüchternd ausfallen. Neben den Themen der gleichen Wettbewerbsbedingungen und den Regeln zur Durchsetzung des künftigen Vertrags gilt ausgerechnet der Fischfang als größte Hürde. Jener Sektor, der lediglich 0,04 Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht und selbst inklusive Verarbeitung nur rund 0,1 Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt, ist zwar gesamtwirtschaftlich kaum von Bedeutung. Die Finanzindustrie etwa kommt zum Vergleich auf mehr als sieben Prozent. Doch die Fischereibranche besitzt enorme Symbolkraft – und das für beide Verhandlungspartner. Dementsprechend emotional wird der Disput ausgetragen.
In den aktuellen Verhandlungen fordert die EU weiterhin gesicherten Zugang zu britischen Gewässern und damit im Grunde den Status quo. London dagegen will die Fangquoten jährlich neu verhandeln und schrittweise senken. Können sich die beiden Seiten bei dem heiklen wie komplexen Thema annähern? „Das Königreich hat sehr wenig, was die EU will, doch der Zugang zu den Fischgründen gehört dazu“, sagt der Handelsexperte und ehemalige Regierungsberater David Henig. Dementsprechend handele es sich um die „stärkste Karte“der Briten in den Verhandlungen. Wie in London ist die Lobby der Fischer und Fischverarbeitung auch in Brüssel groß, insbesondere von Seiten Frankreichs, Belgiens, Dänemarks und der Niederlande, deren Trawler abhängig davon sind, weiterhin auf britischem Gebiet ihre Netze auswerfen zu dürfen. Doch auch aus Deutschland kommt Druck in der Zugangsfrage. Denn die Heringe und Makrelen, die hauptsächlich aus den englischen Gewässern gezogen werden, sind vor allem für den Export in die EU bestimmt. Dasselbe gilt für Meerestiere oder den Lachs aus Schottland. Mehr als 70 Prozent des britischen Fangs werden in die EU ausgeführt. Umgekehrt ist jener Fisch, den die Briten bevorzugen, nicht in ausreichender Quantität in der Heimat zu finden. Ergo: „Wir brauchen Zugang zu europäischen Gewässern“, so Henig.
Wenn Brexit-Anhänger regelmäßig voller Stolz auf das britische Leibgericht Fish & Chips verweisen, dann vergessen sie, dass der dafür nötige Kabeljau und Schellfisch vor allem vom Kontinent auf die Insel importiert wird. Und damit Zöllen und Kontrollen unterliegen würde, sollte es in den nächsten Monaten zu keiner Einigung zwischen London und Brüssel kommen und man ohne Deal auseinandergehen. „Der Streit um den Fisch ist ein Test dafür, ob die EU und das Königreich einen Kompromiss schließen können“, sagt Handelsexperte Henig. Problematisch sei, dass in Großbritannien „unrealistisch hohe Quoten“versprochen wurden. Und auf die pochen sie nun in Küstenorten wie Ilfracombe.