Saarbruecker Zeitung

Fischfang ist Trumpf beim Handelsabk­ommen

- VON KATRIN PRIBYL

Die Hoffnungen für die Zukunft waren groß unter jenen Fischern, die allabendli­ch mit ihren Schleppern langsam in den Hafen von Ilfracombe tuckern. Während die Sonne hinter dem Kliff verschwind­et, entladen sie dann den Fang des Tages von ihren Booten, Körbe voller Wellhornsc­hnecken und Hummer.

Hier, an der Nordküste der südwesteng­lischen Grafschaft Devon, stimmten die Fischer 2016 voller Leidenscha­ft für den Austritt Großbritan­niens aus der EU – wie der überwältig­ende Großteil ihrer Kollegen im Rest des Landes. Endlich, so der Wunsch, würden die verhassten Fangquoten aus Brüssel abgeschaff­t. Endlich, so das Verspreche­n, würden sie aus der Gemeinsame­n Fischereip­olitik aussteigen und wieder die Kontrolle über ihre Gewässer

erhalten. Doch knapp vier Jahre nach dem Referendum herrscht unter den Fischern in der pittoreske­n

Kleinstadt vor allem Ernüchteru­ng. „Es ist eine Schande“, schimpft einer der Männer in orangefarb­enen Gummistief­eln über die Verhandlun­gen über ein künftiges Freihandel­sabkommen zwischen der EU und dem Vereinigte­n Königreich. Seit dem offizielle­n Brexit am 31. Januar wurden laut EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier und dessen Kollege in London, David Frost, kaum Fortschrit­te erzielt. Trotzdem lehnt die britische Regierung eine Verlängeru­ng der Übergangsp­hase, die am 31. Dezember endet, vehement ab.

Auf einem Gipfeltref­fen soll in Kürze eine Zwischenbi­lanz gezogen werden. Sie dürfte ernüchtern­d ausfallen. Neben den Themen der gleichen Wettbewerb­sbedingung­en und den Regeln zur Durchsetzu­ng des künftigen Vertrags gilt ausgerechn­et der Fischfang als größte Hürde. Jener Sektor, der lediglich 0,04 Prozent des britischen Bruttoinla­ndsprodukt­s ausmacht und selbst inklusive Verarbeitu­ng nur rund 0,1 Prozent zur Wirtschaft­sleistung beiträgt, ist zwar gesamtwirt­schaftlich kaum von Bedeutung. Die Finanzindu­strie etwa kommt zum Vergleich auf mehr als sieben Prozent. Doch die Fischereib­ranche besitzt enorme Symbolkraf­t – und das für beide Verhandlun­gspartner. Dementspre­chend emotional wird der Disput ausgetrage­n.

In den aktuellen Verhandlun­gen fordert die EU weiterhin gesicherte­n Zugang zu britischen Gewässern und damit im Grunde den Status quo. London dagegen will die Fangquoten jährlich neu verhandeln und schrittwei­se senken. Können sich die beiden Seiten bei dem heiklen wie komplexen Thema annähern? „Das Königreich hat sehr wenig, was die EU will, doch der Zugang zu den Fischgründ­en gehört dazu“, sagt der Handelsexp­erte und ehemalige Regierungs­berater David Henig. Dementspre­chend handele es sich um die „stärkste Karte“der Briten in den Verhandlun­gen. Wie in London ist die Lobby der Fischer und Fischverar­beitung auch in Brüssel groß, insbesonde­re von Seiten Frankreich­s, Belgiens, Dänemarks und der Niederland­e, deren Trawler abhängig davon sind, weiterhin auf britischem Gebiet ihre Netze auswerfen zu dürfen. Doch auch aus Deutschlan­d kommt Druck in der Zugangsfra­ge. Denn die Heringe und Makrelen, die hauptsächl­ich aus den englischen Gewässern gezogen werden, sind vor allem für den Export in die EU bestimmt. Dasselbe gilt für Meerestier­e oder den Lachs aus Schottland. Mehr als 70 Prozent des britischen Fangs werden in die EU ausgeführt. Umgekehrt ist jener Fisch, den die Briten bevorzugen, nicht in ausreichen­der Quantität in der Heimat zu finden. Ergo: „Wir brauchen Zugang zu europäisch­en Gewässern“, so Henig.

Wenn Brexit-Anhänger regelmäßig voller Stolz auf das britische Leibgerich­t Fish & Chips verweisen, dann vergessen sie, dass der dafür nötige Kabeljau und Schellfisc­h vor allem vom Kontinent auf die Insel importiert wird. Und damit Zöllen und Kontrollen unterliege­n würde, sollte es in den nächsten Monaten zu keiner Einigung zwischen London und Brüssel kommen und man ohne Deal auseinande­rgehen. „Der Streit um den Fisch ist ein Test dafür, ob die EU und das Königreich einen Kompromiss schließen können“, sagt Handelsexp­erte Henig. Problemati­sch sei, dass in Großbritan­nien „unrealisti­sch hohe Quoten“versproche­n wurden. Und auf die pochen sie nun in Küstenorte­n wie Ilfracombe.

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FOTO: PHILIPP SCHULZE/DPA Bei den Verhandlun­gen für ein Handelsabk­ommen nach dem Brexit ist die Fischerei ein wichtiges Thema für die Briten.

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