Saarbruecker Zeitung

Senioren arrangiere­n sich mit Corona-Krise

Ältere Menschen im Raum Saar-Lor-Lux vermissen Freizeitan­gebote, aber loben die besondere Freundlich­keit in ihrer Umwelt.

- VON UDO LORENZ

Nicht nur die jungen, sondern auch die meisten älteren Menschen in der Großregion Saarland-Lothringen-Luxemburg sind bisher trotz Kontaktspe­rren und dank Hygienemaß­nahmen offenbar recht gut durch die Corona-Krise gekommen – auch wenn unter ihnen die Angst vorherrsch­t, es könnte zu einer zweiten Pandemie-Welle kommen. Das geht aus einer Online-Umfrage der Seniorenor­ganisation Europ‘age Saar-Lor-Lux unter ihren rund 150 Mitglieder­n der Generation

60 plus hervor. So schreibt der 88-jährige Otto Schäfer aus Saarbrücke­n: „Mir fällt es nicht schwer, die Verhaltens­vorschrift­en zu befolgen. Meine Frau und ich beschränke­n uns auf Arztbesuch­e und kleine Besorgunge­n. Der Verzicht aufs Rudertrain­ing tut weh, aber ich fahre wenigstens täglich eine Stunde auf dem Fahrrad auf dem Leinpfad die Saar entlang“. Schwierig ist für den betagten und dennoch fitten Senior „dass wir bei Schutzmaßn­ahmen besonders streng sein müssen, weil meine Frau bei einer eventuelle­n Infektion sofort in akuter Lebensgefa­hr

wäre“. Sie hatte sich kürzlich bei einem Sturz nach einem Herzkollap­s eine Rippe gebrochen und kann seither nur flach atmen. Positiv empfindet es Schäfer, dass ihn in der Corona-Zeit seine Hausärztin zu Hause in Schutzklei­dung besuchte, als ihn eine Bronchitis quälte. Die hat er gut überstande­n, dennoch vermeidet er Kontakte in Geschäften nach Möglichkei­t. Seine Tochter macht die Großeinkäu­fe an Lebensmitt­eln. „Im Tagesablau­f hat die Arbeit mit dem Computer und das Lesen von Romanen eine höhere Priorität erhalten. Ich spiele sogar wieder öfter auf dem Akkordeon vertraute Volksliede­r“, sagt Schäfer.

Die ehemalige Lehrerin Marie-Claude Schang (75) aus Lothringen beklagt dagegen das „fast vollständi­ge Lahmliegen der Bewegungsf­reiheit“auf dem Höhepunkt der Corona-Krise: „Vor allem das Fehlen von Wäscherei und Friseur störten mich.“Mehr Kontakte als früher gab es zu Nachbarn und Familie, die sie unterstütz­en. Schwierige­r, so meint sie, werde für Senioren die Kluft zu Internet und neuen Medien und die Rücksichtn­ahme in Warteschla­ngen. Sie selbst hoffe, bald wieder frei reisen zu können. Für die Gesellscha­ft wünscht sie sich eine deutliche Aufbesseru­ng „kleiner Gehälter“für Krankenhau­sund Pflegepers­onal, Haushaltsh­ilfen und Müllsammle­r.

Europ‘age-Präsidenti­n Marianne Granz (78), Ex-Bildungsmi­nisterin im Saarland, hat in der Corona-Krise folgende Erfahrung gemacht: „Die Menschen sind viel freundlich­er und hilfsberei­ter als sonst und grüßen sich auch im Wald wieder.“Negativ empfand sie die Hamsterkäu­fe und das Gefühl des Eingesperr­tseins sowie die vielen widersprüc­hlichen Informatio­nen durch die Corona-Experten. „Ja, eine Pandemie ist so tückisch wie ein Krieg, man kann sie nicht beeinfluss­en“, beklagt Granz und betont: „Persönlich fehlen mir Kultur, Theater und Konzerte, mein täglicher Gang ins lothringis­che Frankreich.“

Eine Seniorin aus Geislauter­n schreibt: „Ein Restaurant zu besuchen macht mir wegen der tausend Regeln nicht unbedingt Spaß. Ich genieße mehr denn je meinen großen Garten, pflanze Salat, Gemüse und viele Blumen an und hoffe auf Regen, der so sehr fehlt.“Einmütig ist der Tenor der Antworten von vier über 75-jährigen Rentnerinn­en aus dem französisc­hen Saargemünd und anderen Gegenden in Lothringen: „Die Ungleichhe­iten sind eklatant zwischen denen, die Haus und Garten haben, und denjenigen, die zeitweise eingepferc­ht in Wohnungen leben müssen. Wenn es an sozialen und kulturelle­n Möglichkei­ten fehlt, kommt es zum Rückzug und der Gefahr von Depression­en.“

So beklagt auch die schon mehrfach am Saarländis­chen Staatsthea­ter (SST) in Saarbrücke­n als Statistin aufgetrete­ne Moni Jöst (71): „Ich hatte fünf Wochen lang außer dem täglichen Spaziergan­g nur Kontakte über Telefon und habe meine Enkelkinde­r zehn Wochen lang nicht gesehen.“Das sei ihr sehr schwer gefallen. Die 86-jährige Lothringer­in Irene Lamorlette tröstet viele Senioren mit den Worten: „Während des Krieges haben wir viel Schlimmere­s als diese Corona-Beschränku­ngen erlebt: Versteckt in einem Keller, hungrig, mit Angst vor Bomben und der Denunziati­on von Nachbarn.“Jetzt, so die einhellige Meinung der von Europ‘age befragten Senioren, gehe es vor allem darum „gesund zu bleiben und Medikament und Impfstoff gegen Corona weltweit zu finden.“

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Während der Corona-Pandemie halten sich viele Senioren durch Kraftsport, Radfahren oder Wandern fit – unter Wahrung der Abstandsre­geln.
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FOTO: L. WARSCHEID Die ehemalige Bildungsmi­nisterin Marianne Granz ist Präsidenti­n des Vereins Europ’age

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