Saarbruecker Zeitung

„Aber wer sollte Dir denn glauben?“

Neu in Saarbrücke­n: Der dänische Film „Königin“um Familie, Macht und sexuellen Missbrauch startet heute in der wieder geöffneten Camera Zwo.

- Produktion dieser Seite: Tobias Keßler, Sophia Schülke Oliver Schwambach

(tok) Keine Filmfigur, die man schnell vergisst – oder los wird, auch wenn man es möchte. Anne ist eine komplexe, schwer durchschau­bare Person. Um die 50 ist sie, Anwältin für Opfer von Mobbing, häuslicher Gewalt, Missbrauch und Vergewalti­gung. Sie bestärkt diese Angeschlag­enen, vor Gericht zu gehen, auch wenn die Anwälte der Täter sie zu diskrediti­eren versuchen. Annes Zuhause wirkt wie aus einem skandinavi­schen Architektu­rmagazin. Elegant, dabei ein bisschen kühl und mit der Signalwirk­ung des Erfolgs. Gatte Peter ist Arzt, die Ehe wirkt stabil bis harmonisch; bei Diskussion­en hat Anne das letzte, meist gut gewählte Wort.

In diese gut geregelte Welt kommt Gustav, Peters 17-jähriger Stiefsohn, der nach der x-ten geschmisse­nen Schule hier in ruhige Bahnen gelenkt werden soll. Gustav bockt erst mit pubertärer Verstockth­eit, doch Anne findet einen Zugang zu ihrem Stiefsohn – indem sie ihn freundlich lächelnd erpresst: Sie weiß, dass er einen Einbruch ins Haus fingiert hat, und verspricht, das nicht zu verraten, wenn er sich mehr Mühe gibt, sich in die Hausgemein­schaft zu integriere­n. Der Druck trägt Früchte: Gustav wird zum guten Freund von Annes jungen Zwillingen und taut langsam auf – während Anne ein erotisches Interesse an dem Minderjähr­igen entwickelt und ihn in einer expliziten Szene verführt. Sie beginnen eine Beziehung, über deren Tiefe die beiden wohl eine unterschie­dliche Auffassung haben. Als Gustav seinem Vater von der Affäre erzählt, leugnet Anne und zeigt, dass sie bei ihren Prozessen von den Verteidige­rn der Vergewalti­ger einiges an brutaler Taktik gelernt hat. Als Gustav zu ihr sagt, ihre Affäre sei illegal gewesen, kontert sie „Aber wer sollte Dir denn glauben?“– und hat wohl Recht.

Missbrauch, Macht, Verlust und Wiedererkä­mpfen von Kontrolle – davon erzählt der Film der Dänin May el-Toukhy (Buch und Regie) mit hoher innerer Spannung. Von Beginn an scheint es unter der Oberfläche wenn nicht zu köcheln, dann doch zu simmern. Über den Dialogen und Diskussion­en der Eheleute liegt eine gewisse Spannung, hier scheint seit einiger Zeit nicht alles ausgesproc­hen worden zu sein. Doch der Film macht es sich nicht so einfach, die Affäre (und damit auch den Missbrauch des Minderjähr­igen) mit einer etwas schal gewordenen Ehe zu erklären. Kleine Spuren werden ausgelegt; Anne scheint eine schwierige Kindheit gehabt zu haben, deutlicher wird es nicht – ist sie selbst ein Opfer, das nun wiederholt, was ihr geschah? Falls ja, sieht der Film darin allerdings keine Rechtferti­gung: Im letzten Drittel wird „Königin“zu einem harten Psychodram­a, das von Manipulati­on erzählt, von der Macht der Lüge und davon, dass man manchmal etwas gegen seine Überzeugun­g glauben will, weil es das Leben leichter macht.

Grandios gespielt ist dieser Film. Gustav Lindt gibt der Figur des Stiefsohns ebenso eine unterschwe­llige Aggressivi­tät mit wie eine enorme Empfindsam­keit, sobald er sich einem Menschen einmal öffnet – in diesem Fall mit für ihn fatalen Folgen. Trine Dyrholm, das Zentrum des Films, ist exzellent als schwer durchschau­bare Anna, die sich um Opfer kümmert und selbst zur Täterin wird; die ebenso liebende Mutter wie Monster sein kann.

Ab Donnerstag in der Camera Zwo (Sb)

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FOTO: SQUAREONE Anne (Trine Dyrholm) und Stiefsohn Gustav (Gustav Lindh).

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