Einstürzende Neubauten feiern 40. mit brillantem Album
(dpa) In ihren Anfangsjahren machten die Einstürzenden Neubauten Musik mit allem, was Hobbykeller oder Schrottplätze so hergaben. Nicht wenige zweifelten an, dass es überhaupt Musik war, was die Berliner Avantgardisten mit Schlagbohrern, alten Einkaufswagen, Eisenrohren und Blechkanistern da anrichteten.
Rund um einen kreischenden, greinenden Sänger, Performer und Dichter namens Blixa Bargeld entwickelte sich eine originelle, weltweit anerkannte und einflussreiche Rockband. „Die Neubauten“, das waren Pioniere des experimentellen Krachs, Lieblinge der internationalen Underground-Szene, Aufrührer und Bürgerschrecktypen in einem.
Die brutalen Noise-Klänge auf frühen und mittleren Platten sind längst einem immer noch ungewöhnlichen, aber zugänglicheren und gefälligeren Sound gewichen. „Alles in Allem“, das Album zum 40-jährigen Bestehen der seit langem fünfköpfigen Einstürzenden Neubauten in diesem Frühjahr, zeugt von Ruhe und Reife, ein brillantes erstes „Spätwerk“zum Start in die fünfte Band-Dekade.
Gewiss, man hört noch das metallische Scheppern und Klappern der Schlagwerkzeuge von Gründungsmitglied Andrew Chudy alias N.U. Unruh und Rudolf Moser, den dumpf wühlenden Bass von Alexander Hacke, die Gitarren-Splitter von Jochen Arbeit. Auf einem der neuen Stücke wird mit Taschen ein schabender Rhythmus erzeugt. Bargeld, inzwischen 61, thront mit seinem herben Bariton wie ein Industrial-Rock-Schamane über den ambitionierten Soundgemälden, er nutzt so manche Gelegenheit zum typischen Kieksen und Wimmern, etwa in „Zivilisatorisches Missgeschick“.
Aber es sind eben auch viele schöne Streicher-Passagen zu hören, eine Harfe in „Tempelhof“, Orgel und Keyboards, starke Melodien wie im seltsam walzernden Titelstück „Alles in Allem“, Hypnotisches wie in „Wedding“. Die Texte sind teils kryptisch oder surreal, aber auch sehr konkret berührend. „Wir werden alle älter“, sagt der Band-Frontmann (geboren am 12. Januar 1959 als Christian Emmerich) über die Abkehr vom Revoluzzer-Image. Bargeld lacht herzhaft dazu. „Und eines kann man über die Neubauten sicher sagen: Wir wiederholen uns nicht allzu viel. Wenn wir so etwas wie ,Kollaps‘ von 1981 ewig betrieben hätten, wäre es schon ein langweiliges Leben geworden.“
Mit der Auftragsarbeit „Lament“von 2014, die den Beginn des Ersten Weltkriegs 100 Jahre zuvor thematisierte, habe er „eines gelernt, mehr Platz zu lassen. (...) Früher hatte ich immer den Drang, alles auszufüllen: Da muss noch was hin, ist sonst langweilig. Das hat sich gelegt, dieser Drang, den man ja auch der Jugend nachsagt.“Einer von Bargelds aktuellen Songs heißt „Möbliertes Lied“. Darin heißt es: „Die verbrauchten Metaphern hab‘ ich im Giftmüll entsorgt/ mit neuen, unbenutzten, ausreichend vorgesorgt...“. Es stört Bargeld nicht, dass „die Neubauten“kaum noch als musikalische Umstürzler angesehen werden, sondern als deutsches Kulturgut.
In einem Punkt sticht die neue Studioplatte aus dem vielfältigen Gesamtwerk der Einstürzenden Neubauten hervor: Es ist eine Art Berlin-Album geworden - die Lieder heißen „Am Landwehrkanal“, „Grazer Damm“, „Wedding“oder „Tempelhof“. Man kann das Album aber nicht als Kommentar zu Berlin lesen, es werden letztendlich keine Aussagen über diese Stadt getroffen.“„Alles in Allem“ist ein Werk, dem man im positiven Sinne die Dringlichkeit anmerkt, nochmal etwas zu beweisen. Bargeld hat „das Gefühl, dass die Welt durchaus noch ein Neubauten-Album braucht, dass es auch noch jemanden interessiert“. Er kann sich sogar vorstellen, dass diese Band 2030 ihr 50-jähriges Bestehen feiern wird.