Saarbruecker Zeitung

Die deutsche Schwimm-WG in San Diego

Marius Kusch und Jacob Heidtmann bereiten sich in den USA auf die Olympische­n Spiele im kommenden Jahr vor.

- VON MAXIMILIAN HAUPT Produktion dieser Seite: Mark Weishaupt, Stefan Regel

(dpa) Marius Kusch muss kurz nachfragen und telefonier­en. Die Abdeckung des privaten Pools im Garten dieser millionens­chweren Villa im strandnahe­n Viertel von San Diego öffnet der Kurzbahn-Europameis­ter über 100 Meter Schmetterl­ing normalerwe­ise nicht alleine. Aber was ist schon normal in einer Zeit, in der Corona nicht nur den Traum von Olympia in diesem Sommer zerstört, sondern Sportlern seit Monaten den gewohnten Zugang zu Hallen und Krafträume­n genommen hat? In der ein nur wegen guter Kontakte verfügbare­s, zwei Meter zu kurzes Becken für den Top-Schwimmer die beste Trainingsg­elegenheit darstellt – und in der sein Mitbewohne­r Jacob Heidtmann tausende Kilometer entfernt in Hamburg in Quarantäne sitzt?

Heidtmanns Visum muss verlängert werden, also ging es jüngst aus der Trainingsh­eimat Kalifornie­n inmitten der Pandemie zurück nach Deutschlan­d. Bis zu diesem Donnerstag­abend muss der 25-Jährige noch im Haus seiner Eltern ausharren und sich mit Getränkeki­sten, ein paar Gewichten seines Bruders und einem Boxsack im Keller behelfen. Schon nach drei Tagen „habe ich angeboten, die Fenster zu putzen“, erzählt der Olympia-Teilnehmer von 2016. Als der 400-Meter-Lagen-Spezialist über die zähen Quarantäne-Tage berichtet, ist er auf dem Handy seines Mitbewohne­rs zu sehen – Videotelef­onie hält die beiden wie so viele andere Menschen derzeit in Verbindung.

„Wir gehören nicht zu den Leuten, die den Kopf in den Sand stecken und gar nichts machen. So sind wir nicht, das war nicht die Einstellun­g“, sagt der 27 Jahre alte Kusch. Damit passen beide gut in die USA, wo „niemals aufgeben“und „alles ist möglich“in irgendeine­r Variante ganz sicher in den Umkleideka­binen und Krafträume­n steht.

Und so ein bisschen färbt diese Mentalität wohl auch ab, wenn man zusammen mit anderen Weltklasse-Schwimmern bei David Marsh trainiert, dessen Schützling­e über die Jahre 46 Olympia-Medaillen abgeräumt haben, darunter sind auch die sechs goldenen von Ryan Lochte. „Der ist so eine Art Yoda“, sagt Kusch über Marsh, den er während des Studiums in North Carolina kennengele­rnt hat und dem er seither folgt. „Ich sehe, dass ich noch gewaltige Sprünge mache und noch nicht auf dem Zenit bin.“

Der deutsche Teamtraine­r Hannes Vitense, früher Landestrai­ner im Saarland, bestätigt die positive Entwicklun­g von Kusch und Heidtmann. „Die im Frühjahr 2020 erbrachten Normzeiten haben gezeigt, dass ihre individuel­len Wege zielführen­d waren“, sagt er. Kusch betont: „Ich könnte mit meinem Gewissen nicht vereinbare­n, jetzt aufzuhören und nicht zu wissen, was möglich gewesen wäre.“Klar, die Tage nach der Olympia-Verschiebu­ng waren erst einmal hart, zumal die Tokio-Qualifikat­ion gerade erst geschafft war. Schließlic­h kostet das Leben in einem der teuersten Bundesstaa­ten der USA viel Geld. Etwa 2000 bis 3000 Euro pro Person rechnen Kusch und Heidtmann monatlich für Miete, Essen und das Honorar

für die Trainer.

Auch die Entscheidu­ng, ein weiteres Jahr alles dem großen Ziel unterzuord­nen und die Lebensplan­ung daran anzupassen, war nicht einfach. „Das knallt schon ganz schön rein“, sagt Heidtmann. Die beiden jungen Männer müssen ohnehin an ihr Erspartes, um sich alles leisten zu können. Corona trifft sie deswegen wie viele andere finanziell hart. „Der Großteil unseres Geldes kommt über Preisgelde­r. Mit

Schwimmen gibt es in diesem Jahr kaum noch Möglichkei­ten, Geld zu verdienen“, sagt Kusch. Längst gibt es den Gedanken, sobald es die Pandemie zulässt, über privates Schwimmtra­ining ein paar Einnahmen zu organisier­en.

Inzwischen geht der Blick ohnehin nach vorne. Heidtmann arbeitet neben dem neuen Visum auch daran, seinen Status als Sportsolda­t bei der Bundeswehr zu verlängern, und so etwas mehr finanziell­e Sicherheit zu bekommen. „Jacob ist sehr, sehr, sehr tough. Es ist schwer, ihn kleinzukri­egen“, sagt Kusch über seinen Freund, dessen Willenskra­ft im Becken ihm auch in der aktuellen Lage zugute kommt.

Kusch selbst geht neben den freiwillig­en Einheiten auf dem Surfbrett im Pazifik eben jeden zweiten Tag in jenen Pool im Garten der Villa. Bekannte von Trainer Marsh leben dort und haben dem Trainer und seinem „Team Elite Aquatics“erlaubt, das einst für die ambitionie­rte Tochter gebaute Becken zu nutzen. „Ich bin ein Macher. Das ist meine größte Stärke“, sagt Kusch. Corona nervt, klar. Aufhalten soll es ihn nicht auf dem Weg zu Olympia. Und auch nicht Jacob Heidtmann. Damit die deutsche Schwimm-WG aus San Diego in gut einem Jahr nach Tokio umziehen kann.

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FOTO: HAUPT/DPA Der deutsche Schwimmer Marius Kusch sitzt am Rand eines privaten Pools in San Diego, in dem er dank guter Beziehunge­n derzeit trainieren darf.
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FOTO: NESVOLD/BILDBYRAN/DPA Jacob Heidtmann will sein Visum für die USA so schnell wie möglich verlängern lassen.

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