Flaschenpost enthüllt Historie des Saarbrücker Gefängnisses
Arbeiter entdecken in alter Bierflasche ein Dokument von 1908. Darin berichtet ein Aufseher vom Bau des Saarbrücker Gefängnisses.
Johann Nepomok Pietz aus Posen war ein fleißiger Mann mit sauberer Handschrift. Von Dezember 1904 bis Ende Februar 1908 schrieb er in Saarbrücken Justiz- oder Knastgeschichte. In der
Provinz Rheinland des Königreichs Preußen war er damals als Aufseher von
Anrath am Niederrhein (Nordrhein-Westfalen) an die Saar abkommandiert worden, um den Bau des „königlich-preußische Gefängnis“in Saarbrücken zu beaufsichtigen. Zeitweise schufteten 186 Gefangene und zehn Aufseher in dem Baukommando. Pietz, der damals „die stellvertretende Oberaufsicht mit der Rapportmeldung“hatte, führte akribisch Buch über das Geschehen rund um die Großbaustelle auf einer Anhöhe über der Altstadt zwischen Lerchesflur- und Trillerweg. Aus seiner Feder stammt auch die handschriftliche Urkunde vom Dezember 1907, die unter einem Pfeiler eingebaut wurde, angeblich als „Schlussstein der gesamten Bauten“. Auf dieses historische Dokument wurde etwa in der Chronik zum 100-jährigen Bestehen der Vollzugsanstalt im Dezember 2007 verwiesen.
Von einer weiteren Urkunde oder einem Dokument aus den Gründerjahren des heutigen Hochsicherheitsgefängnisses mit rund 560 Untersuchungs- und Strafgefangenen war bislang nie die Rede. Oberaufseher Pietz hatte für die Nachwelt aber noch ein zweites Schriftstück als „Memorandum“am „24. Februar des Jahres Eintausend Neunhundert und 8“niedergelegt. Dieses Dokument tauchte erst vor wenigen Wochen wieder auf. Zufällig stießen Bauarbeiter vor der heutigen Gefängnismauer im Lerchesflurweg an dem Mitarbeiterparkplatz auf den „Sensationsfund“, von dem Pascal Jenal, Leiter der Justizvollzugsanstalt ( JVA), berichtet. Der Bautrupp versetzte zwei Straßenlaternen an einem Mäuerchen, weil exakt dort demnächst das etwa acht Millionen Euro teure Projekt „Neubau einer Fahrzeugschleuse und einer Pforte“für die Anstalt in Angriff genommen werden soll.
Neben Erdreich und Mauerwerk schaufelten die Männer eine braune Bierflasche mit der weißen Aufschrift „Gebr. Heyer Adlerbrauerei“wieder ans Tageslicht. In der Flasche, die bei ihrer Bergung Hals und Kopf verlor, entdeckten sie ein großes, mit dunkler Tinte beschriebenes Blatt. Das „Memorandum“aus der Feder von Oberaufseher Pietz. Dass diese historische Flaschenpost aus dem Jahr 1908 authentisch ist, daran hat Peter Wettmann-Jungblut vom Landesarchiv keinerlei Zweifel. Er hat den in Sütterlin-Schrift verfassten Text transkribiert, Sprachduktus und Fakten etwa mit der bislang bekannten und nur wenige Monate älteren Urkunde abgeglichen. Etwas erstaunt sind die Historiker, dass ein Zeitzeuge gleich zwei Schriftstücke zum Neubau des Gefängnisses an unterschiedlichen Stellen im Mauerwerkund Fundament hinterlassen hat.
Auf insgesamt drei Seiten hat Schreiber Pietz unter anderem wörtlich festgehalten: „Am 1. Dezember des Jahres 1904 kamen von Anrath ein 40 Mann starkes Kommando von Gefängnisgefangenen hierher und begann mit den Arbeiten für das projektierte neue Gefängnis. Geführt wurde das Kommando von dem kgl. (königlichen, die Red.) Werkmeister Herrn Deinerth und den Aufsehern Herrn Pietz, Seitha und Esch. Zur Aufnahme der Leute war bereits ein Wirtschaftsgebäude und ein Arbeitsschuppen errichtet worden.“
Viel Erde wurde bei der Regulierung des großflächigen Geländes bewegt. Pietz berichtet von 80 000 Kubikmetern, die über auf Schienen laufenden Kipploren abtransportiert wurden. „Zuerst wurde die sogenannte ‚Mohrsche Anlage‘ aufgefüllt und später die Erdmassen zur Auffüllung toter Steinbrüche bis ins sogenannte Ehrenthal abgefahren.“
Erstes fertiggestelltes Haftgebäude der Gefangenenanstalt war das frühere „Weibergefängnis“mit Plätzen für 44 Frauen. Im November 1905 wurden erste Teile des Gebäudes als Baubüro bezogen. Bereits zuvor waren Aufseherinnen in ihre dort angrenzende Unterkunft eingezogen. Das „Weibergefängnis“wurde später als „Haus 2“für den Männervollzug genutzt und 2006 für einen Neubau abgerissen.
Frauen aus dem Saarland werden bereits seit Jahrzehnten in der Vollzugsanstalt in Zweibrücken inhaftiert.
206 Haft-, Polizei- und Untersuchungsgefangene fanden dann, so die Aufzeichnungen in einer Festschrift, in 136 Einzel und 70 Schlafzellen im dreistöckigen Männergefängnis Platz. Die Baukosten dafür wurden mit 186 000 Mark beziffert, ohne Wirtschaftsgebäude und Arbeitsschuppen. In seiner ersten Urkunde, die in einen Pfeiler eingebaut war, hielt Pietz fest: „Bauleitende Beamte waren Herr Königlicher Landbauinspektor Hartung und Herr Königlicher Werkmeister Deinerth. Ausgeführt wurden sämtliche Arbeiten von Gefangenen, durchschnittlich 150 Mann, welche von zehn Aufsehern bewacht, beziehungsweise geführt wurden.“Darunter war auch ein Aufseher namens Mohr, er kam von dem ehemaligen Saarbrücker Gefängnis in der Dellengartenstraße.
In dem „Memorandum“aus der Feder von Pietz ist zu lesen, dass für die komplette Anstalt, die Ende 1907 an den damaligen Vorsteher Schütz übergeben wurde, 2,6 Millionen „Vollsteine“verbaut wurden. Lieferant war die Dampfziegelei Schanzenberg. Pietz hielt für die Nachwelt weiter fest: „Die Dampfheizungsanlage ist von der Firma Haag et C. in Berlin geliefert worden, funktionierte jedoch bei ihrer ersten praktischen Ingebrauchnahme schlecht.“
Das Gefängnis stand, so die Schilderungen des Aufsehers, 1908 allein auf weiter Flur: „Zur Zeit der Fertigstellung des Baues war die ganze Umgebung des Gefängnisses noch vollständig frei von Bauten. Sodass man bequem in die Städte Saarbrücken, St. Johann etc. hineinblicken konnte. Saarbrücken hat zur Zeit ca. 2800 Einwohner, Sankt Johann ca. 24 000 und Malstatt-Burbach ca. 40 000.“
Die Botschaft von dem sensationellen Urkundenfund zum Saarbrücker Gefängnisbau macht in Justizkreisen die Runde. Anstaltschef Jenal hat seine Kollegin im nordrhein-westfälischen Willich (Anrath) informiert. Dort soll ein Teil der Anstalt, deren Grundriss übrigens vergleichbar mit dem Saarbrücker Komplex ist, demnächst abgerissen werden. Jenal mahnt zur Vorsicht, denn der Saarbrücker Memorandum-Schreiber Pietz war vor seiner Abkommandierung an die Saar in Anrath mit dem Gefängnisbau beschäftigt. Möglicherweise hat er auch dort ein weiteres Dokument versteckt.