Saarland-Brigade springt in Düren
Der Homburger Virologe Dr. Jürgen Rissland hält die neuen CoronaLockerungen der Landesregierung für durchaus vertretbar. Er sieht aber auch Risiken.
Aus dem Himmel von Düren gleiten derzeit in kurzen Abständen Fallschirme auf die Erde. Grund ist die Brigade-Sprungwoche der Saarlandbrigade. Mehr als 1400 Sprünge sollen in den nächsten Tagen stattfinden, soweit das Wetter mitspielt. Ein Teil der Brigade gehört derweil ab heute für sechs Monate zur Schnellen Eingreiftruppe der EU.
Das Saarland lockert seine Corona-Regeln weiter. Erst am Montag ist eine neue Verordnung in Kraft getreten, die vieles erlaubt, was in den vergangenen Monaten zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitung des Virus verboten war. Und der Virologe Jürgen Rissland hat auch kein Problem damit, dass man ab sofort etwa in der Kneipe um die Ecke wieder sein Bier an der Theke trinken kann, als Gast keine Maske mehr im Restaurant tragen muss und dass auch Kontaktsportarten in kleinen Gruppen wieder erlaubt sind. „Ich sehe die gegenwärtigen Lockerungen als Mischung aus Versuch und Irrtum“, sagt Rissland, der Leitender Oberarzt der Virologie am Universitätsklinikum in Homburg ist. Wie jedes Experiment trage aber auch dieses Vorgehen die Gefahr des Scheiterns in sich. Dann müsse man wieder zurückrudern. Mit anderen Worten: „Wir fahren auf Sicht.“Bisher habe allerdings noch keine der Lockerungen im Saarland zu einem Problem geführt – sprich: einen größeren Ausbruch hervorgerufen, deshalb könne man schon mutig sein.
In der Tat: Bereits seit Tagen melden die Gesundheitsämter für das gesamte Saarland nur wenige Neuinfektionen, oft sogar nur eine oder zwei pro Tag, oder wie am Dienstag sogar überhaupt keine. Für Rissland ist das auch ein Beleg dafür, dass die Saarländer sich an Hygieneregeln halten, indem sie etwa in bestimmten Situationen Schutzmasken tragen beziehungsweise Abstand halten. Aber auch dem gegenwärtigen warmen und trockenen Wetter komme wahrscheinlich eine wichtige Bedeutung zu. Kühle und feuchte Witterung mache es dem Virus wesentlich einfacher, sich zu verbreiten. Und zu große Enge und Nähe unter Menschen, wie sie zum Beispiel oft im Winter in geschlossenen Räumen vorherrsche.
„Gegenwärtig können wir davon ausgehen, dass die Verbreitung des Virus überschaubar bleibt“, sagt der Homburger Virologe. Problematischer könne es aber im Herbst werden, wenn das Wetter wieder kühler und nasser wird und zudem die Influenzazeit
beginnt. „Dann wird man viel testen müssen, um herauszufinden, ob jemand nun an Covid-19 oder an Influenza erkrankt ist.“Aber auch dann gelte: „Wir können durch unser Verhalten mitbestimmen, wie die zweite Welle aussehen wird.“
Dass die Menschheit noch längere Zeit mit dem neuartigen Corona-Virus leben muss, das offiziell Sars-Cov-2 genannt wird und die Atemwegserkrankung Covid-19 hervorruft, steht für Rissland dabei außer Frage. Er rechnet frühestens Mitte kommenden Jahres mit einem Impfstoff, der eine nachhaltige Wirkung hat. Auch die Tatsache, dass es
Forschern noch niemals gelang, gegen ein Coronavirus einen wirksamen Impfstoff zu finden, bringt ihn von seiner Einschätzung nicht ab. „Es gibt weltweit über 150 Impfstoffprojekte, zehn sind bereits in der praktischen Testphase.“In einem solchen Umfang sei noch niemals an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen ein Coronavirus gearbeitet worden.
Um Ausbrüche im größeren Ausmaß zu verhindern, setzt Rissland auf gezielte Corona-Tests in kritischen Bereichen, wie sie etwa das saarländische Gesundheitsministerium für die Fleischindustrie plant. Oder in der Homburger Uniklinik, wo jeder neue Patient mittlerweile auf Corona getestet werde. Corona-Massentests für die ganze Bevölkerung, die die bayerische Landesregierung gerade beschlossen hat, hält der Homburger Virologe dagegen für unnötig und außerdem viel zu teuer. „Solche Tests sind anders als Bluttests nur Momentaufnahmen, bei denen man lediglich feststellen kann, ob jemand das Virus gerade in sich trägt. Ein paar Tage später kann sich ein völlig anderes Bild abzeichnen“, sagt Rissland.
Für allgemein wenig aussagekräftig, weil sie eben nur einen Teil des Gesamtgeschehens in Deutschland abbilden, hält der Homburger Virologe
übrigens auch die Zahlen, die AfD-Fraktionschef Josef Dörr zu den Corona-Toten im Saarland beim Gesundheitsministerium erfragt hat. Zwar sei einiges dabei auch mit Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts vergleichbar, wie zum Beispiel, dass die rund 160 Menschen, die bis 22. Mai im Saarland mit Covid-19 starben, ein Durchschnittsalter von 80 Jahren hatten. Das Saarland sei allerdings zu klein, um daraus klare Schlussfolgerungen für ganz Deutschland ziehen zu können. Hier gelte nämlich: „Je umfangreicher das Datenmaterial, desto besser und klarer wird das Bild.“