Saarbruecker Zeitung

Totengeläu­t für das freiheitli­che Hongkong?

Chinas Sicherheit­sgesetz ist ein historisch­er Wendepunkt für die Wirtschaft­smetropole. Demokratis­chen Aktivisten droht jetzt Strafverfo­lgung.

- VON ANDREAS LANDWEHR UND JÖRN PETRING

(dpa) Joshua Wong und seine Mitstreite­r müssen jetzt Gefängnis fürchten. „Sich um die Sicherheit des Lebens zu sorgen, ist kein Unsinn mehr, wenn man sich im demokratis­chen Widerstand in Hongkong engagiert“, begründet der 23-Jährige, warum er jetzt erst mal in Deckung geht. Zusammen mit Nathan Law und Agnes Chow verkündet er den Rückzug aus ihrer Partei Demosisto, die aufgelöst wurde.

Der junge Mann mit dem ernsten Blick ist seit Jahren das Gesicht der Bewegung. Aus Angst vor Strafverfo­lgung durch das am Dienstag in Peking verabschie­dete chinesisch­e Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong will Wong künftig nur noch als „Individuum“für seine Überzeugun­gen eintreten – also eher sein Recht auf freie Meinungsäu­ßerung ausüben, anstatt als Speerspitz­e der organisier­ten Bewegung aufzutrete­n. Ob ihn die Taktik schützt, weiß niemand.

Mit dem Sicherheit­sgesetz zwinge die Kommunisti­sche Partei der bisher autonomen, freiheitli­chen Wirtschaft­smetropole ihr berüchtigt­es System auf, mit dem in Festlandch­ina schon lange Kritiker entweder zum Schweigen oder wegen „Untergrabu­ng der Staatsgewa­lt“in Haft gebracht werden, kritisiere­n Diplomaten in Peking. „Bewusst vage formuliert“richte es sich gegen Abspaltung,

Subversion, Terrorismu­s und geheime Absprachen mit Kräften im Ausland.

„Das nationale Sicherheit­sgesetz ist definitiv das Totengeläu­t für Hongkong“, sagt der Verleger Lai der Deutschen Welle. Es werde den Status Hongkongs als Wirtschaft­sund Finanzmetr­opole schädigen. „Ohne Rechtsstaa­tlichkeit wird niemand, der Geschäfte in Hongkong macht, irgendwelc­hen Schutz genießen, solange er nicht einen Funktionär besticht, der Macht über ihn hat.“Hongkong werde wie jede andere chinesisch­e Stadt auch. Ohne

Rechtsstaa­tlichkeit gebe es kein Vertrauen. So würden viele der Stadt den Rücken kehren.

Auch der Rechtsexpe­rte Jerome Cohen ist enttäuscht: „Es ist das Ende des Hongkongs der freien Meinungsäu­ßerung und das Ende des Hongkongs der ordentlich­en Gerichtsve­rfahren“, sagt der US-Jurist der Zeitung „Hongkong Free Press“. Mehr als 60 Jahre seines Lebens hat sich Cohen mit dem Recht in China und Hongkong beschäftig­t. Am Mittwoch, dem 23. Jahrestag der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkoloni­e, wird Cohen 90 Jahre alt. „Es ist eine dramatisch­e Wende für das Hongkong, das wir kennen. Es wird mehr wie Festlandch­ina werden.“

Nach einem Jahr der Massendemo­nstratione­n, Ausschreit­ungen und der Rufe nach mehr Demokratie in Chinas Sonderverw­altungsreg­ion soll das Gesetz vor allem einschücht­ernd wirken.

Die demokratis­chen Kräfte in Hongkong sehen das Ende von „ein Land, zwei Systeme“– der pragmatisc­hen Idee von Deng Xiaoping, wonach zwei unterschie­dliche politische Systeme unter der Souveränit­ät Chinas friedlich nebeneinan­der koexistier­en können. Hatte der chinesisch­e Reformarch­itekt einst die Idee, nach dem Vorbild Hongkongs auch andere Städte Chinas wirtschaft­lich öffnen zu wollen, ist von diesem Geist der „Reform und Öffnung“heute aber kaum noch etwas zu spüren. Der heutige Staatsund Parteichef Xi Jinping verfolgt das genaue Gegenteil: Eine Stärkung der Staatswirt­schaft und eine harte Hand, um Reformansä­tze oder gar größere Meinungsvi­elfalt im Keim zu ersticken. „Es ist eine 180-Grad-Wendung mit den gleichen Verträgen – und das funktionie­rt nicht“, sagt Jensen. China habe die völkerrech­tlich bindende „gemeinsame Vereinbaru­ng“mit London über die Rückgabe Hongkongs gebrochen. Deutschlan­d und die EU unter deutscher Ratspräsid­entschaft müssten mit Sanktionen „rote Linien“ziehen.

„Hongkong wird mehr wie Festlandch­ina werden.“

Jerome Cohen US-Rechtsexpe­rte

Newspapers in German

Newspapers from Germany