Totengeläut für das freiheitliche Hongkong?
Chinas Sicherheitsgesetz ist ein historischer Wendepunkt für die Wirtschaftsmetropole. Demokratischen Aktivisten droht jetzt Strafverfolgung.
(dpa) Joshua Wong und seine Mitstreiter müssen jetzt Gefängnis fürchten. „Sich um die Sicherheit des Lebens zu sorgen, ist kein Unsinn mehr, wenn man sich im demokratischen Widerstand in Hongkong engagiert“, begründet der 23-Jährige, warum er jetzt erst mal in Deckung geht. Zusammen mit Nathan Law und Agnes Chow verkündet er den Rückzug aus ihrer Partei Demosisto, die aufgelöst wurde.
Der junge Mann mit dem ernsten Blick ist seit Jahren das Gesicht der Bewegung. Aus Angst vor Strafverfolgung durch das am Dienstag in Peking verabschiedete chinesische Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong will Wong künftig nur noch als „Individuum“für seine Überzeugungen eintreten – also eher sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben, anstatt als Speerspitze der organisierten Bewegung aufzutreten. Ob ihn die Taktik schützt, weiß niemand.
Mit dem Sicherheitsgesetz zwinge die Kommunistische Partei der bisher autonomen, freiheitlichen Wirtschaftsmetropole ihr berüchtigtes System auf, mit dem in Festlandchina schon lange Kritiker entweder zum Schweigen oder wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“in Haft gebracht werden, kritisieren Diplomaten in Peking. „Bewusst vage formuliert“richte es sich gegen Abspaltung,
Subversion, Terrorismus und geheime Absprachen mit Kräften im Ausland.
„Das nationale Sicherheitsgesetz ist definitiv das Totengeläut für Hongkong“, sagt der Verleger Lai der Deutschen Welle. Es werde den Status Hongkongs als Wirtschaftsund Finanzmetropole schädigen. „Ohne Rechtsstaatlichkeit wird niemand, der Geschäfte in Hongkong macht, irgendwelchen Schutz genießen, solange er nicht einen Funktionär besticht, der Macht über ihn hat.“Hongkong werde wie jede andere chinesische Stadt auch. Ohne
Rechtsstaatlichkeit gebe es kein Vertrauen. So würden viele der Stadt den Rücken kehren.
Auch der Rechtsexperte Jerome Cohen ist enttäuscht: „Es ist das Ende des Hongkongs der freien Meinungsäußerung und das Ende des Hongkongs der ordentlichen Gerichtsverfahren“, sagt der US-Jurist der Zeitung „Hongkong Free Press“. Mehr als 60 Jahre seines Lebens hat sich Cohen mit dem Recht in China und Hongkong beschäftigt. Am Mittwoch, dem 23. Jahrestag der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkolonie, wird Cohen 90 Jahre alt. „Es ist eine dramatische Wende für das Hongkong, das wir kennen. Es wird mehr wie Festlandchina werden.“
Nach einem Jahr der Massendemonstrationen, Ausschreitungen und der Rufe nach mehr Demokratie in Chinas Sonderverwaltungsregion soll das Gesetz vor allem einschüchternd wirken.
Die demokratischen Kräfte in Hongkong sehen das Ende von „ein Land, zwei Systeme“– der pragmatischen Idee von Deng Xiaoping, wonach zwei unterschiedliche politische Systeme unter der Souveränität Chinas friedlich nebeneinander koexistieren können. Hatte der chinesische Reformarchitekt einst die Idee, nach dem Vorbild Hongkongs auch andere Städte Chinas wirtschaftlich öffnen zu wollen, ist von diesem Geist der „Reform und Öffnung“heute aber kaum noch etwas zu spüren. Der heutige Staatsund Parteichef Xi Jinping verfolgt das genaue Gegenteil: Eine Stärkung der Staatswirtschaft und eine harte Hand, um Reformansätze oder gar größere Meinungsvielfalt im Keim zu ersticken. „Es ist eine 180-Grad-Wendung mit den gleichen Verträgen – und das funktioniert nicht“, sagt Jensen. China habe die völkerrechtlich bindende „gemeinsame Vereinbarung“mit London über die Rückgabe Hongkongs gebrochen. Deutschland und die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft müssten mit Sanktionen „rote Linien“ziehen.
„Hongkong wird mehr wie Festlandchina werden.“
Jerome Cohen US-Rechtsexperte