Mehr Fahrradunfälle enden in der Klinik
Saar-Kliniken beobachten während der Pandemie mehr Radfahrer mit schweren Verletzungen. Sind Pedelecs ein „Unfallrisiko“?
Als der Notruf bei der Polizei eingeht, müssen die Beamten mit dem Schlimmsten rechnen. Ein Radfahrer ist auf einer abschüssigen Straße gestürzt. Er sei verletzt und blute stark, meldet ein Zeuge der Polizei am vergangenen Freitag. Der Rentner aus Bous muss mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus. Der 70-Jährige war auf einem Pedelec unterwegs gewesen, einem Fahrrad mit Motor.
Immer wieder tauchen Fahrradunfälle in den täglichen Polizeiberichten aus dem Saarland auf.
Während das Landespolizeipräsidium gegenüber dem Vorjahr keinen Zuwachs an Unfällen mit dem Rad registriert, beobachten Klinikärzte einen anderen Trend. „Ich habe den Eindruck, es passiert einfach mehr und vor allem schneller etwas“, sagt Professor Dr. Christof Meyer, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie am Klinikum Saarbrücken. „Hier ist auch die Geschwindigkeit das Thema.“Nach Meinung von Meyer trägt die steigende Beliebtheit von Elektro-Fahrrädern zum Anstieg der Unfallzahlen bei.
Das Klinikum Saarbrücken zählte von März bis Mai insgesamt 49 Patienten, denen mit dem Rad etwas zugestoßen war – elf mehr als im Vorjahr. Nach Angaben des Krankenhauses umfasst diese Zahl nur schwerwiegende Verletzungen wie gebrochene Arme und Becken oder gar Schädel-Hirntraumata. Schürfungen oder Prellungen seien nicht berücksichtigt worden. Auch am Uni-Klinikum in Homburg behandelten die Mediziner im gleichen Zeitraum erheblich mehr Radfahrer. 114 Unfallopfer waren es dort von März bis Mai, nach 51 Patienten im Vorjahr. In Homburg machten Prellungen und Abschürfungen einen Großteil der Verletzungen aus. Zugleich sah Professor Dr. Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, „auch besonders schwere Unfälle mit Querschnittlähmungen, Gesichts- und Schädelverletzungen
sowie schwere Verletzungen der Bauchorgane“.
Eine mögliche Erklärung für die Zuwachsraten in den Kliniken könnte die Corona-Pandemie sein. Nicht wenige Menschen hatten während der Ausgangsbeschränkungen unfreiwillig mehr freie Zeit für Radtouren oder Trainingsfahrten. Andere mussten auf Bus oder Bahn verzichten und auf den ungewohnten Drahtesel umsteigen. Durch Corona sei das Fahrrad das Verkehrsmittel der Stunde, sagte David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband im Mai der Deutschen Welle. Allerdings ging das Verkehrsaufkommen während der Pandemie deutlich zurück. Zwischen Januar und April sank die Zahl der Verunglückten im Straßenverkehr im Saarland gegenüber dem Vorjahreszeitraum um mehr als 15 Prozent. Da erscheint es wiederum auffällig, wenn sich die Fahrradunfälle laut Polizei in etwa auf dem
Niveau des Vorjahres bewegen.
Auf Bundesebene bezeichnete der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) die Verkehrssicherheit von Radlern erst kürzlich als sein „Sorgenkind“. Nach internen Auswertungen hätten die Unfälle während des Shutdowns im Vergleich zum Vorjahr „deutlich zugenommen“, erklärte der ADFC.
2018 erfasste das Statistische Bundesamt deutschlandweit 88 472 Fahrradunfälle, bei denen eine Person zu Schaden kam. Nur bei einem Fünftel der Fälle handelt es sich um sogenannte „Alleinunfälle“, wie ihn die Polizei auch bei dem am vergangenen Freitag in Bous verunglückten Rentner annimmt. Autos sind an 74 Prozent der Fahrradunfälle beteiligt. Die polizeiliche Unfallstatistik für das Saarland wies 2019 bei Verkehrsunfällen, an denen Radfahrer beteiligt waren, einen leichten Anstieg der Schwerverletzten
aus. Zwei Radfahrer starben – in beiden Fällen nutzten sie ein Pedelec. Die Elektro-Fahrräder, die bis zu 25 Stundenkilometer schnell sind, bezeichnet die Polizei als „Unfallrisiko“, vor allem Menschen über 50 Jahren verunglücken laut Statistik. Daher würde der ADFC im Saarland unter anderem gerne wissen, wie viele der schwerverletzten Radfahrer in den Kliniken ein Pedelec fuhren, ob das Rad neu, der Mensch auf dem Sattel erfahren war. Denn „viele dieser Fahrer kommen noch nicht verkehrssicher mit den höheren Geschwindigkeiten, dem anderen Fahrverhalten und dem höheren Gewicht der Räder zurecht“, sagt Thomas Fläschner, einer der Vorstandssprecher des Saar-ADFC. Zugleich mahnt Fläschner eine „fahrradfreundliche Verkehrspolitik“an, er wünscht sich „lückenlose Radwegenetze“und Verkehrsteilnehmer, die „besser geschult“sind.