Ein Hauch von Fantastik
Es gibt Geschichten, die bezaubern, weil sie in fantastische Welten entführen. Dafür ist Matt Ruff eigentlich Experte. Schon sein Erstlingswerk „Fool on the Hill“ist ein Feuerwerk kreativer Ideen. Diese Linie zieht sich auch durch seine späteren Bücher.
„Ich und die anderen“stellt einen Sonderfall dar. Auch dieses Buch fühlt sich ein wenig wie Fantasy an. Gleichzeitig tut es weh. Dabei ist die Prämisse für Ruffs Verhältnisse zunächst angemessen schräg: Die Hauptfigur Andrew Gage hat nämlich ein Haus im Kopf. Bewohnt wird es von den „anderen“– Seelen, die alles, was Andrew tut, sehen und kommentieren und je nach Situation auch mal mit Andrew den Platz tauschen, um seinen Körper selbst zu steuern. Diagnose: Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS). Ruff behandelt hier ein Thema, an dem bereits zahllose Schriftsteller oder Filmemacher gescheitert sind – beziehungsweise eine bewusst falsche Darstellung wählten, indem sie Figuren mit „gespaltener Persönlichkeit“zu mörderischen Protagonisten von Thrillern und Horrorfilmen machten. Ein Klischee, unter dem Betroffene dieser seltenen Krankheit seit langem leiden. Ruff nähert sich dem Thema dagegen respektvoll und bemüht sich bei der Schilderung psychologischer Details um Authentizität.
Genau das ist der Punkt, der beim Lesen schmerzt. Ausgelöst wird eine MPS nämlich durch massive Traumata in der Kindheit. Ruff belässt es dankenswerterweise bei Andeutungen – die das Leid der Hauptperson dennoch überdeutlich machen. Zumal Andrew seine ungewöhnliche Situation nicht ganz so gut unter Kontrolle hat, wie er selbst glaubt... „Ich und die anderen“ist jedenfalls ein rundum außergewöhnliches Buch, das Verständnis schafft und lange im Gedächtnis bleibt.