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Seit Jahrhunderten beobachten Astronomen auf dem Mond immer wieder rätselhafte Leuchterscheinungen. Blitz und Donner gibt es dort nicht – doch was ist dann ihre Ursache?
Nach allem, was ein Mensch mit bloßem Auge erkennen kann, scheint der Mond am Himmel abgesehen vom regelmäßigen Wechsel der Mondphasen unveränderlich. Die Zahl großer Mondkrater hat sich seit Menschengedenken nicht verändert. Doch wer genauer hinschaut, erkennt schnell: Für kleine Krater gilt das nicht. Sie könnten mit Einschlägen von Meteoriten oder vulkanischen Aktivitäten zusammenhängen. Mit Videoaufzeichnungen und Analysen eines Mondorbiters versuchen Forscher die Ursachen der Leuchtphänomene auf dem Erdbegleiter zu enträtseln.
In den Chroniken des englischen Klosters von Canterbury in Kent findet sich am 25. Juni 1178 ein bemerkenswerter Eintrag. Darin berichtet der Mönch Gervase über ein plötzliches Leuchten auf der im Schatten liegenden Mondseite. Am oberen Horn erschien eine „lodernde Fackel, die Feuer und Funken spuckte“. Vereinzelte Berichte über Leuchterscheinungen auf dem Mond gab es auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder. Der aus Hannover stammende Astronom Friedrich Wilhelm Herschel, Entdecker des Planeten Uranus und Konstrukteur der größten Teleskope des 18. Jahrhunderts, war überzeugt, mehrfach rote Blitze auf dem Mond gesehen zu haben. Eine Erklärung dafür gab es lange Zeit nicht.
Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert. Im Juli 1994 beobachteten Astronomen in aller Welt wie der auseinandergerissene Komet Shoemaker-Levy 9 in der Atmosphäre des Riesenplaneten Jupiter verglühte. Dabei wurde eine Energie frei, die dem 50-Fachen der Hiroshima-Atombombe entsprach. Die Zeugnisse des Einschlages der Kometentrümmer konnten irdische Astronomen wochenlang aus 600 Millionen Kilometer Entfernung in ihren Teleskopen sehen. Danach verwirbelte die turbulente Jupiteratmosphäre die Spuren. Hätten die Trümmer des zerbrochenen Kometen
Shoemaker-Levy 9 den Mond getroffen, wären Krater von bis zu zehn Kilometer Durchmesser entstanden. Und die wären, weil der Mond keine Atmosphäre besitzt, noch heute sichtbar.
Viele Astronomen stellten damals die Frage, ob Einschläge von kleineren Brocken nicht auch auf dem Mond zu filmen sind. Der Einsatz lichtempfindlicher Videokameras erleichterte die Suche. Am 18. November 1999 gelang es dem Spanier Jose Luis Ortiz als erstem Astronomen, Blitze vom Einschlag mehrerer kleiner Weltraumbrocken auf dem Erdtrabanten zu filmen. Die Leuchterscheinungen dauerten weniger als zwei hundertstel Sekunden.
Das spricht für winzige Meteorite von wenigen Gramm. Seit der Jahrtausendwende überwachen in jeder klaren Nacht mehrere automatische
Videoteleskope in Spanien, Griechenland und in den USA den Mond. Sie registrieren täglich Ereignisse. Doch nicht immer handelt es sich um Einschläge. Flugzeuge, Vögel
oder Satelliten können die Sensoren der Teleskope täuschen. Um echte Mondblitze aus den Beobachtungsdaten herauszufiltern, arbeitet eine Forschergruppe um Professor Hakan Kayal von der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg an einer KI-Software.
Zweifellos sind nicht alle Leuchterscheinungen auf Einschläge zurückzuführen. Auch vulkanische Restaktivitäten könnten in bestimmten Regionen des Mondes eine Rolle spielen, sagt der Geologe Dr. Nicholas Schmerr von der US-Universität von Maryland. Er war Mitglied einer Forschergruppe der Nasa, die hochauflösende Bilder des Forschungssatelliten LRO (Lunar
Reconnaissance Orbiter) auswertete. Beim Vergleich mit Aufnahmen, die vor über 50 Jahren in Vorbereitung auf die Apollo-Mondlandungen von Raumsonden gemacht wurden, fand man zahlreiche neue Krater im Größenbereich von mehreren Zentimetern bis Metern. Wahrscheinlich sind das Narben, die Kleinmeteoriten beim Einschlag hinterlassen haben.
Zugleich fanden die Forscher mehr als 3500 kleine Risse und Furchen in der Mondoberfläche. Viele sind nur einige Dutzend bis etwa 100 Meter lang. Besonders häufig sind sie im Meer der Stürme, nahe dem rechten oberen Rand der Mondscheibe. Dort beobachten Astronomen seit über zwei Jahrhunderten wiederkehrende Leuchterscheinungen. Sie nennen sie „Lunar Transient Phenomena“. Die Wiederholung am gleichen Ort und die Dauer von mehreren Minuten bis Tagen sprichen gegen Meteoriteneinschläge. Die Planetenforscher vermuten, dass vulkanische Gase an den Rissen und Furchen diese Leuchtphänomene auslösen. Wie sie genau entstehen, das werden vermutlich erst Untersuchungen vor Ort zeigen. Bisher haben die staatlichen Raumfahrtagenturen in den Vereinigten Staaten, in Russland, Europa und China aber keine konkreten Missionspläne für Raumsonden präsentiert. Vorrang hat derzeit die Suche nach Wassereis, das nahe dem Südpol in tiefen Kratern, in die niemals Licht fällt, vermutet wird.
„Am oberen Horn erschien eine lodernde Fackel, die Feuer und Funken spuckte.“
Bericht über den ersten beobachteten Meteoriteneinschlag auf dem dem Mond im Jahr 1178