China zeigt in Hongkong Härte
Das neue Sicherheitsgesetz erstickt politische Freiheit in der Sonderverwaltungszone im Keim. Noch regt sich Widerstand.
Mit einem umstrittenen Sicherheitsgesetz zieht Chinas Zentralregierung die Schlinge um die Sonderverwaltungszone Hongkong enger. Aufgrund dieser neuen Regeln, die sich offiziell gegen separatistische und terroristische Aktivitäten richten, wurden am Mittwoch mindestens zehn Personen verhaftet. Insgesamt gab es bei den Protesten in Hongkong 180 Festnahmen. Hier wird ein Demonstrant abgeführt, der zuvor mit Pfefferspray besprüht wurde.
Während Hongkongs Führung am Mittwochmorgen mit Champagner auf das neue nationale Sicherheitsgesetz anstieß, zogen ab den späten Nachmittagsstunden tausende Hongkonger trotz Demonstrationsverbots auf die Straße. Es dauerte nur wenige Minuten, bis bereits der erste Bürger der Sonderverwaltungszone wegen des neuen Gesetzes verhaftet wurde: Ein junger Mann hatte eine Flagge ausgebreitet, die eine Unabhängigkeit Hongkongs forderte. Wenig später setzten die Einsatzkräfte erneut Wasserwerfer und Pfeffergas gegen die Aktivisten und Journalisten ein.
Seit dem 1. Juli gelten für Hongkongs Zivilgesellschaft fundamental andere Spielregeln: Das von der Pekinger Zentralregierung installierte Sicherheitsgesetz, welches das pro-demokratische Lager gemeinhin als „Stasi Law“bezeichnet, ist die von Kritikern befürchtete Hiobsbotschaft für die weitreichende Autonomie der einstigen britischen Kronkolonie geworden. Die 66 Paragrafen stellen künftig vier Vergehen unter Strafe: Maßnahmen, die sich für eine Unabhängigkeit
Hongkongs aussprechen sowie Aktivitäten, die die Lokal- oder Zentralregierung in Peking untergraben. Zudem werden schwere Gewalttaten gegen Personen und Sachbeschädigungen der Infrastruktur als Terrorismus gewertet. Dabei reicht es auch, einer Organisation anzugehören, die entsprechende Aktionen
Nicholas Bequelin durchführt. Ebenfalls wird Konspiration mit dem Ausland unter Strafe gestellt, darunter fallen auch Aufrufe an Regierungen, Sanktionen gegen China zu erheben. Die mögliche Höchststrafe lautet lebenslänglich.
„Die Definition von nationaler Sicherheit ist so vage, dass es einem jeden unmöglich macht, zu wissen, wann man die Grenzen überschreitet“, sagt Nicholas Bequelin, Asien-Pazifik-Leiter von Amnesty International. In anderen Worten: Das Gesetz kann jeden treffen, wenn die Pekinger Regierung dies möchte.
Am Mittwoch stellten sich in Peking zwei Regierungsvertreter den vielen Fragen der Presse. Erst wenige Stunden zuvor war das Dekret überhaupt veröffentlicht worden. Die Parteikader bemühten sich sehr um Beschwichtigung. Dass etwa das Sicherheitsgesetz nicht rückwirkend für Vergehen in der Vergangenheit gelte, wurde mehrfach betont. „Absolute Freiheit“gäbe es zudem in keinem Land der Welt, sagte Shen Chunyao vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses, der das Gesetz ausgearbeitet hat.
Die Argumentation der Kommunistischen Partei lautet: Keine Regierung auf der Welt lässt sich von separatistischen Bewegungen auf der Nase herumtanzen. Vor allem werde man sich nicht durch Sanktionen westlicher Regierungen einschüchtern lassen – im Gegenteil: Die Zeit, als das Ausland China Handlungsanweisungen geben konnte, seien endgültig vorbei. Überhaupt wolle man nur Recht und Ordnung wiederherstellen, jedoch die weitreichende Autonomie und besonderen Freiheiten Hongkongs unangetastet lassen.
Für das pro-demokratische Lager spielt es im Grunde keine Rolle, wie streng Peking seinen Gesetzestext in der Praxis auslegt und anwendet. Allein die aufgebaute Drohkulisse ist derart massiv, dass sie die politische Freiheit künftig im Keim erstickt.
Vor allem zwei Aspekte sorgen für Angst und Schrecken innerhalb der Protestbewegung: Mit einer Behörde zur „Sicherung der nationalen Sicherheit“erhöht Peking seine Präsenz in der Finanzmetropole. Die Mitglieder der neuen Institution können – trotz bestehender Exekutive in Hongkong – immer dann eingreifen, wenn die chinesische Regierung es für notwendig erachtet. Sie agieren wie Polizisten, unterliegen jedoch nicht Hongkonger Gesetzen. Wenn sie Straftäter festnehmen, können sie diese an Gerichte im chinesischen Festland ausliefern. Dort jedoch „verschwinden“regelmäßig Dissidenten, Menschenrechtsanwälte oder Bürgerjournalisten.
Zudem kann das Sicherheitsgesetz auch auf Personen angewendet werden, die nicht in Hongkong leben – also praktisch für sämtliche Bürger weltweit. Wenn ein Hongkonger etwa im Ausland auf seinem Twitter-Account Sympathien für die Unabhängigkeitsbewegung posten würde, könnte er bei seiner Einreise in seine Heimatstadt festgenommen werden. Prinzipiell kann dies auch auf ausländische Korrespondenten zutreffen, die einen ähnlich gestimmten Leitartikel publizieren.
Neben Großbritannien hat nun auch Taiwan angeboten, Migrationserleichterungen für Hongkonger Bürger sicherzustellen. Taiwan eröffnete am Mittwoch in seiner Hauptstadt Taipeh ein entsprechendes Einwanderungsbüro. Laut der Regierung sei dies „nicht nur ein Statement zu Taiwans Unterstützung für die Demokratie und Freiheit Hongkongs“, sondern unterstreiche auch die Entschlossenheit Taiwans, für das Hongkonger Volk zu sorgen.
Trotz der Endzeitstimmung sind auch am Mittwochabend tausende Hongkonger auf die Straße gezogen, wo sie ihre nun gesetzeswidrigen Slogans sagen: „Hongkongs Unabhängigkeit ist der einzige Weg!“. Mehr als hundert von ihnen wurden von den Polizeikräften festgenommen.
„Die Definition von nationaler Sicherheit ist
so vage, dass es einem jeden unmöglich macht zu wissen, wann man die Grenzen überschreitet.“
Amnesty International