Saarbruecker Zeitung

Kanzlerin im Kreuzverhö­r durch den politische­n Gemüsegart­en

- VON STEFAN VETTER Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik, Robby Lorenz, Moritz Scheidel

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr hat sich die Kanzlerin im Bundestag den Fragen der Abgeordnet­en gestellt. Ihr erster Aufritt Mitte Mai war noch ganz von der Corona-Pandemie überschatt­et. Die Neuauflage am Dienstag fiel auf den Tag genau mit der Übernahme der EU-Ratspräsid­entschaft durch Deutschlan­d zusammen. Ein Thema, das die Parlamenta­rier eher am Rande interessie­rte. Angela Merkel (CDU) machte aber auch so weitgehend eine souveräne Figur.

Das „Kreuzverhö­r“mit der Regierungs­chefin ist noch ein relativ junges Format. Es soll dem Parlaments­alltag mehr Würze geben. Dass die Befragung auch diesmal weitgehend brav daherkam, hat mit dem strengen zeitlichen Korsett zu tun. Maximal eine Minute ist für die Fragestell­ung vorgesehen, die Antwort darf dieses Limit ebenfalls nicht überschrei­ten. Allenfalls noch eine Nachfrage ist zulässig. Beide Seiten folgten disziplini­ert dem Drehbuch.

Zum Auftakt gab es wie immer ein kurzes Statement, das Merkel auf die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft verwandt. Dabei zog sie auch ein Scheitern der Gespräche mit Großbritan­nien über einen geordneten Austritt aus der europäisch­en

Staatenfam­ilie ins Kalkül. „Wir sollten vorsorgen für den Fall, dass das Abkommen doch nicht zustande kommt“, sagte die Kanzlerin. Was damit genau gemeint war, blieb allerdings im Dunkeln. Schon den ersten Fragestell­er interessie­rte etwas ganz anderes. Warum Merkel ihren Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) von einer Strafanzei­ge gegen eine taz-Kolumnisti­n abgebracht habe, wollte der AfD-Mann Gottfried Curio mit Blick auf deren Ansicht, Polizisten gehörten auf die „Mülldeponi­e“, scharfzüng­ig wissen. Merkel konterte gelassen, nicht aus internen Unterredun­gen zu berichten. Seehofer habe aber „absolut richtig“gehandelt, als er sich hinter die Polizei stellte und ankündigte, ein Gespräch mit der linken Tageszeitu­ng zu führen, so die Kanzlerin. Eine Abgeordnet­e der Linksparte­i bemängelte derweil die im Corona-Hilfspaket verankerte Deckelung der Sozialbeit­räge auf 40 Prozent vom Bruttolohn als mutmaßlich unsozial. „Dass Sie das kritisiere­n, finde ich irgendwie komisch“, gab Merkel beinah genüsslich zurück. Genau das sei doch „die richtige Antwort“für Leute, die wenig verdienten, deshalb kaum oder gar keine Steuern zahlten, wohl aber Sozialbeit­räge, argumentie­rte sie.

Auch sonst ging es quer durch den politische­n Gemüsegart­en. Von der

Mietenpoli­tik über die Türkei- Strategie, von studentisc­hen Nebenjobs über den Kohleausst­ieg, von der miesen Frauenquot­e in Unternehme­nsvorständ­en bis hin zum Schlachtho­f-Skandal der Firma Tönnies. In der Kürze der Zeit blieb es häufig bei Allgemeinp­lätzen. Gelegentli­ch wurde Merkel aber auch konkret. Werkverträ­ge in der Fleischbra­nche würden abgeschaff­t, bekräftigt­e sie. Und nein, für eine Neuauflage des befristete­n Kündigungs­verbots von Mietverhäl­tnissen im Zuge der Corona-Pandemie könne sie „keine Zusage machen“. Nur einmal kam die CDU-Politikeri­n ziemlich ins Schwimmen. Wie sie dazu stehe, dass ihre eigenen Parteifreu­nde in Mecklenbur­g-Vorpommern kürzlich für den Amtsverble­ib einer dortigen Verfassung­srichterin gestimmt hätten, die der als linksextre­m eingestuft­en „Antikapita­listischen Linken“angehöre, wurde aus den AfD-Reihen gefragt. Da rang Merkel um Worte. Einerseits „akzeptiere“sie die Entscheidu­ng, meinte sie schließlic­h. Anderseits sei es ein „sehr unbefriedi­gendes Ergebnis“. Nach gut einer Stunde war alles vorbei, beinahe 20 Abgeordnet­e wurden ihre Fragen los.

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