Beschimpft, angespuckt und getreten
Rassistische Diskriminierung gibt es auch im Saarland. Den Srilankesen Rajaji Selva hat sie fast gebrochen. Nun kämpft er dagegen an.
Die Diskriminierungs-Fälle, die seit Jahresbeginn an der saarländischen Opferberatungsstelle Bounce Back vorstellig wurden, sind nach Aussage von deren Leiterin Eva Jochum sehr unterschiedlich. Geradezu paradigmatisch dafür, wie jemand wegen seiner Hautfarbe und Herkunft von Kindesbeinen an strukturell benachteiligt, offen angefeindet, beleidigt und ausgegrenzt wird und sogar körperliche Gewalt erfährt, ist das Schicksal von Rajaji Selva. Er möchte anonym bleiben, der Name wurde auf seinen Wunsch von der Redaktion geändert.
Selva kam 1985 im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern aus Sri Lanka ins Saarland und wuchs in einem kleinen Ort an der Nied auf. „Als Vierjähriger bin ich das erste Mal im Bus zum Kindergarten beschimpft und angespuckt worden“, erzählt er am Telefon. „Ich habe mich nicht getraut, meiner Mutter was zu sagen, denn wir waren ja aus einem Bürgerkriegsland geflohen, und ich wollte ihr nicht zumuten, dass hier auch schlimme Sachen passieren.“An der Grundschule sei er von einem Sportlehrer, der offen gesagt habe, dass er „keine Neger“möge, an den Haaren umher gezogen worden. Selva:
„Wenn ich in der Nied schwimmen ging, hieß es: Achtung, das Wasser wird schmutzig!“Im örtlichen Supermarkt habe er unter Generalverdacht gestanden: „Wenn ich Pfandflaschen zurückgeben wollte, wurde ich gefragt, wo ich die denn gestohlen hätte. Auf Schritt und Tritt wurde ich von einer Verkäuferin verfolgt, damit ich nur ja nichts klaue.“Auf dem Heimweg von der Gesamtschule sei er gar jeden dritten Tag von einem Neonazi rassistisch beleidigt, gemobbt und getreten worden. „Die Schule hat weggeschaut, obwohl ich das oft erzählt habe, sogar meinem Religionslehrer.“Doch der habe nur gesagt: „Ich kann da nichts machen, mit dem Nazi kann man ja nicht reden.“
Freunde hätten sich nicht getraut, ihn zu verteidigen, aus Angst, selbst in eine Auseinandersetzung verwickelt zu werden. Selva: „Es gab kaum Menschen, die mir Unterstützung angeboten haben. Es gab zwar Lehrer, die, wenn ich von solchen Vorfällen berichtet habe, die betreffenden Leute angesprochen haben, aber das war‘s dann auch: Es gab keinerlei Konsequenzen.“Selva führt die Anfeindungen auf die ländliche Umgebung zurück: „Die Leute waren nicht in der Lage, über den eigenen Tellerrand hinaus zu gucken; die lehnten alles ab, was fremd war. Ich denke, das hat auch mit Angst zu tun; ich glaube, dass sich viele von meiner dunklen Hautfarbe bedroht fühlten.“Auch Neid macht er verantwortlich: „Als eine Lehrerin sich dafür einsetzte, dass ich für eine Klassenfahrt, die sich meine Eltern nicht hätten leisten können, von der Gemeinde einen Zuschuss bekam, wurde das gleich so dargestellt, als ob ich sowieso immer alles umsonst bekäme.“
Eine Diskriminierung von behördlicher Seite setzte ihm besonders zu: „Das Schlimmste war ein Besuch auf dem Rathaus mit meinem Vater, als ein Sachbearbeiter zu einem Kollegen sagte: Kümmer dich mal um die Neger da!“2000 zog Selva schweren Herzens in eine Großstadt in ein anderes Bundesland – eine Flucht. „Ich liebe das Saarland“, beteuert Selva, „aber es war eine Erlösung: Endlich war ich keinen Qualen und rassistischen Beschimpfungen mehr ausgesetzt. Bis zu meinem Umzug hatte ich immer gedacht, es wäre normal, dass die Deutschen Dunkelhäutige ablehnen.“
Jetzt, im Erwachsenen-Alter, sei plötzlich alles wieder hochgekommen. Vergangenes Jahr nahm Selva Kontakt zur Opferberatungsstelle an seinem aktuellen Wohnort auf, um alles aufzuarbeiten. „Aber die Gespräche haben mich eher aufgewühlt, weil vieles hochkam, was ich früher verdrängt hatte. Wenn ich heute das Saarland besuche, kommen auch immer wieder die gleichen beklemmenden Erinnerungen hoch.“Selva hat darüber nachgedacht, Strafantrag zu stellen gegen die Leute, die ihm das alles damals angetan haben, und sich deswegen an Bounce Back und die Law Clinic der Universität des Saarlandes gewandt. „Aber es dürfte schwierig sein, das alles nach 20 Jahren noch zu beweisen.“Selva geht es nicht um Rache. Es geht ihm um Konfrontation,
um klärende Gespräche, um Sensibilisierung – und auch um Genugtuung. „Ich hatte eine Empfehlung fürs Gymnasium, aber sowohl der Mathelehrer wie der Rektor der Grundschule sagten: Das schaffst Du ja doch nicht. Denen würde ich gerne zeigen, was aus mir geworden ist! Heute habe ich die stellvertretende Leitung zweier Stationen im Krankenhaus.“Als entlastend empfindet er es schon, über alles zu reden, vor allem mit Leuten aus dem Saarland. Rajaji Selva überlegt, mit Unterstützung von Bounce Back nach Corona in Schulen zu gehen, um Jugendlichen aus Sicht eines Betroffenen zu vermitteln, wie wichtig es ist, sich Unterstützung einzufordern – ganz egal, aus welchem Grund man diskriminiert wird. „Es gibt keinen Grund, wegen irgendetwas benachteiligt oder beleidigt zu werden!“, sagt Selva und appelliert: „Mutig in die Offensive gehen! Sich wehren und Hilfe holen!“
In der morgigen Ausgabe stellen wir Beratungsstellen für Diskriminierungsopfer im Saarland vor.