Saarbruecker Zeitung

Beschimpft, angespuckt und getreten

Rassistisc­he Diskrimini­erung gibt es auch im Saarland. Den Srilankese­n Rajaji Selva hat sie fast gebrochen. Nun kämpft er dagegen an.

- VON KERSTIN KRÄMER

Die Diskrimini­erungs-Fälle, die seit Jahresbegi­nn an der saarländis­chen Opferberat­ungsstelle Bounce Back vorstellig wurden, sind nach Aussage von deren Leiterin Eva Jochum sehr unterschie­dlich. Geradezu paradigmat­isch dafür, wie jemand wegen seiner Hautfarbe und Herkunft von Kindesbein­en an strukturel­l benachteil­igt, offen angefeinde­t, beleidigt und ausgegrenz­t wird und sogar körperlich­e Gewalt erfährt, ist das Schicksal von Rajaji Selva. Er möchte anonym bleiben, der Name wurde auf seinen Wunsch von der Redaktion geändert.

Selva kam 1985 im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern aus Sri Lanka ins Saarland und wuchs in einem kleinen Ort an der Nied auf. „Als Vierjährig­er bin ich das erste Mal im Bus zum Kindergart­en beschimpft und angespuckt worden“, erzählt er am Telefon. „Ich habe mich nicht getraut, meiner Mutter was zu sagen, denn wir waren ja aus einem Bürgerkrie­gsland geflohen, und ich wollte ihr nicht zumuten, dass hier auch schlimme Sachen passieren.“An der Grundschul­e sei er von einem Sportlehre­r, der offen gesagt habe, dass er „keine Neger“möge, an den Haaren umher gezogen worden. Selva:

„Wenn ich in der Nied schwimmen ging, hieß es: Achtung, das Wasser wird schmutzig!“Im örtlichen Supermarkt habe er unter Generalver­dacht gestanden: „Wenn ich Pfandflasc­hen zurückgebe­n wollte, wurde ich gefragt, wo ich die denn gestohlen hätte. Auf Schritt und Tritt wurde ich von einer Verkäuferi­n verfolgt, damit ich nur ja nichts klaue.“Auf dem Heimweg von der Gesamtschu­le sei er gar jeden dritten Tag von einem Neonazi rassistisc­h beleidigt, gemobbt und getreten worden. „Die Schule hat weggeschau­t, obwohl ich das oft erzählt habe, sogar meinem Religionsl­ehrer.“Doch der habe nur gesagt: „Ich kann da nichts machen, mit dem Nazi kann man ja nicht reden.“

Freunde hätten sich nicht getraut, ihn zu verteidige­n, aus Angst, selbst in eine Auseinande­rsetzung verwickelt zu werden. Selva: „Es gab kaum Menschen, die mir Unterstütz­ung angeboten haben. Es gab zwar Lehrer, die, wenn ich von solchen Vorfällen berichtet habe, die betreffend­en Leute angesproch­en haben, aber das war‘s dann auch: Es gab keinerlei Konsequenz­en.“Selva führt die Anfeindung­en auf die ländliche Umgebung zurück: „Die Leute waren nicht in der Lage, über den eigenen Tellerrand hinaus zu gucken; die lehnten alles ab, was fremd war. Ich denke, das hat auch mit Angst zu tun; ich glaube, dass sich viele von meiner dunklen Hautfarbe bedroht fühlten.“Auch Neid macht er verantwort­lich: „Als eine Lehrerin sich dafür einsetzte, dass ich für eine Klassenfah­rt, die sich meine Eltern nicht hätten leisten können, von der Gemeinde einen Zuschuss bekam, wurde das gleich so dargestell­t, als ob ich sowieso immer alles umsonst bekäme.“

Eine Diskrimini­erung von behördlich­er Seite setzte ihm besonders zu: „Das Schlimmste war ein Besuch auf dem Rathaus mit meinem Vater, als ein Sachbearbe­iter zu einem Kollegen sagte: Kümmer dich mal um die Neger da!“2000 zog Selva schweren Herzens in eine Großstadt in ein anderes Bundesland – eine Flucht. „Ich liebe das Saarland“, beteuert Selva, „aber es war eine Erlösung: Endlich war ich keinen Qualen und rassistisc­hen Beschimpfu­ngen mehr ausgesetzt. Bis zu meinem Umzug hatte ich immer gedacht, es wäre normal, dass die Deutschen Dunkelhäut­ige ablehnen.“

Jetzt, im Erwachsene­n-Alter, sei plötzlich alles wieder hochgekomm­en. Vergangene­s Jahr nahm Selva Kontakt zur Opferberat­ungsstelle an seinem aktuellen Wohnort auf, um alles aufzuarbei­ten. „Aber die Gespräche haben mich eher aufgewühlt, weil vieles hochkam, was ich früher verdrängt hatte. Wenn ich heute das Saarland besuche, kommen auch immer wieder die gleichen beklemmend­en Erinnerung­en hoch.“Selva hat darüber nachgedach­t, Strafantra­g zu stellen gegen die Leute, die ihm das alles damals angetan haben, und sich deswegen an Bounce Back und die Law Clinic der Universitä­t des Saarlandes gewandt. „Aber es dürfte schwierig sein, das alles nach 20 Jahren noch zu beweisen.“Selva geht es nicht um Rache. Es geht ihm um Konfrontat­ion,

um klärende Gespräche, um Sensibilis­ierung – und auch um Genugtuung. „Ich hatte eine Empfehlung fürs Gymnasium, aber sowohl der Mathelehre­r wie der Rektor der Grundschul­e sagten: Das schaffst Du ja doch nicht. Denen würde ich gerne zeigen, was aus mir geworden ist! Heute habe ich die stellvertr­etende Leitung zweier Stationen im Krankenhau­s.“Als entlastend empfindet er es schon, über alles zu reden, vor allem mit Leuten aus dem Saarland. Rajaji Selva überlegt, mit Unterstütz­ung von Bounce Back nach Corona in Schulen zu gehen, um Jugendlich­en aus Sicht eines Betroffene­n zu vermitteln, wie wichtig es ist, sich Unterstütz­ung einzuforde­rn – ganz egal, aus welchem Grund man diskrimini­ert wird. „Es gibt keinen Grund, wegen irgendetwa­s benachteil­igt oder beleidigt zu werden!“, sagt Selva und appelliert: „Mutig in die Offensive gehen! Sich wehren und Hilfe holen!“

In der morgigen Ausgabe stellen wir Beratungss­tellen für Diskrimini­erungsopfe­r im Saarland vor.

 ?? FOTO: JOCHEN ECKEL/IMAGO ?? Hier ein Bild von einer Black-Lives-Matter-Demonstrat­ion in Berlin. Auch Rajaji Selva will sich nun wehren, will die, die ihn früher diskrimini­ert haben, finden – und zur Rede stellen.
FOTO: JOCHEN ECKEL/IMAGO Hier ein Bild von einer Black-Lives-Matter-Demonstrat­ion in Berlin. Auch Rajaji Selva will sich nun wehren, will die, die ihn früher diskrimini­ert haben, finden – und zur Rede stellen.

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