Gutachten: Gigantische Verschuldung ist verfassungswidrig
Staatsrechtler Gröpl wirft dem Bund einen Verfassungsbruch vor, weil die neuen Kredite nicht alle zur Bewältigung der Corona-Krise eingesetzt werden.
Die beschlossene historisch hohe Neuverschuldung des Bundes verstößt aus Sicht des Saarbrücker Staatsrechtlers Professor Christoph Gröpl gegen die Regeln der Schuldenbremse im Grundgesetz. Der Experte für öffentliche Finanzen begründet dies in einem Gutachten für den Bund der Steuerzahler vor allem damit, dass ein Teil der milliardenschweren kreditfinanzierten Ausgaben – etwa für den Klimaschutz, die Digitalisierung, den Kita-Ausbau oder für Rüstungsprojekte – keinen unmittelbaren Zusammenhang
mit der Corona-Pandemie aufweist. Dieser Zusammenhang sei für die Aufnahme von Schulden über das üblicherweise zulässige Maß hinaus aber erforderlich.
Der Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, deutsches und europäisches Finanz- und Steuerrecht an der Saar-Universität erklärt in dem Gutachten: „Verfassungswidrig ist es namentlich, eine Notlage und die durch sie ermöglichte Nettokreditaufnahme als Begründung für die Umsetzung oder Intensivierung solcher politischen Programme zu missbrauchen, die bereits vor Beginn der Notlage Teil der politischen Agenda der Regierung waren und nicht unmittelbar zur Überwindung der Notlage beitragen. Notlagenüberwindend und damit kreditfinanzierungsfähig sind nur solche Maßnahmen, die offensichtlich direkt und zeitnah dazu ergriffen werden, die Notlage zu bekämpfen.“
Viele der von CDU/CSU und SPD beschlossenen Maßnahmen dienten gerade nicht unmittelbar der Bewältigung und Überwindung der Krise. Es handele sich um mittel- bis langfristige Projekte und somit um die Erfüllung allgemeiner Staatsaufgaben, erklärt Gröpl. Ein „aktiv gestalteter Modernisierungsschub“, von dem die große Koalition im Bund spreche (Finanzminister Olaf Scholz: „Wumms“), dürfe nach den Regeln der Schuldenbremse nicht durch eine Notlagenverschuldung finanziert werden. „Ein entsprechendes Vorgehen des Haushaltsgesetzgebers ist daher verfassungswidrig“, sagt Gröpl.
Maßnahmen wie der Kita- und Ganztagsschul-Ausbau, der Glasfaser-Breitbandund 5G-Ausbau oder die Digitalisierung der Verwaltungen seien schon vor der Krise Ziel der Bundesregierung gewesen. Zu dieser Art von Maßnahmen zählt Gröpl auch den jetzt mit zusätzlichen Milliarden aufgefüllten „Energie- und Klimafonds“, über den zum Beispiel Vorhaben wie die Kaufprämie für Elektroautos oder die Umsetzung der Nationalen Wasserstoff-Strategie abgewickelt werden sollen.
Es liege nahe, dass mit den jetzt aufgenommenen Krediten in den kommenden Haushaltsjahren viele „Prestigeprojekte“
der großen Koalition im Bereich der Klimapolitik finanziert werden sollten, vermutet Christoph Gröpl. Diese Projekte seien indes nicht neu, ihre Finanzierung sei bisher allerdings weitgehend an der Schuldenbremse und der „Politik der schwarzen Null“gescheitert. Schulden „bei Gelegenheit“aufzunehmen, um dieses Geld für die Zukunft zu sparen, sei im privaten Bereich unsinnig, im öffentlichen Bereich verfassungswidrig.