Saarbruecker Zeitung

Gutachten: Gigantisch­e Verschuldu­ng ist verfassung­swidrig

Staatsrech­tler Gröpl wirft dem Bund einen Verfassung­sbruch vor, weil die neuen Kredite nicht alle zur Bewältigun­g der Corona-Krise eingesetzt werden.

- VON DANIEL KIRCH Produktion dieser Seite: Michael Kipp, Teresa Prommersbe­rger, Johannes Schleuning

Die beschlosse­ne historisch hohe Neuverschu­ldung des Bundes verstößt aus Sicht des Saarbrücke­r Staatsrech­tlers Professor Christoph Gröpl gegen die Regeln der Schuldenbr­emse im Grundgeset­z. Der Experte für öffentlich­e Finanzen begründet dies in einem Gutachten für den Bund der Steuerzahl­er vor allem damit, dass ein Teil der milliarden­schweren kreditfina­nzierten Ausgaben – etwa für den Klimaschut­z, die Digitalisi­erung, den Kita-Ausbau oder für Rüstungspr­ojekte – keinen unmittelba­ren Zusammenha­ng

mit der Corona-Pandemie aufweist. Dieser Zusammenha­ng sei für die Aufnahme von Schulden über das üblicherwe­ise zulässige Maß hinaus aber erforderli­ch.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltung­srecht, deutsches und europäisch­es Finanz- und Steuerrech­t an der Saar-Universitä­t erklärt in dem Gutachten: „Verfassung­swidrig ist es namentlich, eine Notlage und die durch sie ermöglicht­e Nettokredi­taufnahme als Begründung für die Umsetzung oder Intensivie­rung solcher politische­n Programme zu missbrauch­en, die bereits vor Beginn der Notlage Teil der politische­n Agenda der Regierung waren und nicht unmittelba­r zur Überwindun­g der Notlage beitragen. Notlagenüb­erwindend und damit kreditfina­nzierungsf­ähig sind nur solche Maßnahmen, die offensicht­lich direkt und zeitnah dazu ergriffen werden, die Notlage zu bekämpfen.“

Viele der von CDU/CSU und SPD beschlosse­nen Maßnahmen dienten gerade nicht unmittelba­r der Bewältigun­g und Überwindun­g der Krise. Es handele sich um mittel- bis langfristi­ge Projekte und somit um die Erfüllung allgemeine­r Staatsaufg­aben, erklärt Gröpl. Ein „aktiv gestaltete­r Modernisie­rungsschub“, von dem die große Koalition im Bund spreche (Finanzmini­ster Olaf Scholz: „Wumms“), dürfe nach den Regeln der Schuldenbr­emse nicht durch eine Notlagenve­rschuldung finanziert werden. „Ein entspreche­ndes Vorgehen des Haushaltsg­esetzgeber­s ist daher verfassung­swidrig“, sagt Gröpl.

Maßnahmen wie der Kita- und Ganztagssc­hul-Ausbau, der Glasfaser-Breitbandu­nd 5G-Ausbau oder die Digitalisi­erung der Verwaltung­en seien schon vor der Krise Ziel der Bundesregi­erung gewesen. Zu dieser Art von Maßnahmen zählt Gröpl auch den jetzt mit zusätzlich­en Milliarden aufgefüllt­en „Energie- und Klimafonds“, über den zum Beispiel Vorhaben wie die Kaufprämie für Elektroaut­os oder die Umsetzung der Nationalen Wasserstof­f-Strategie abgewickel­t werden sollen.

Es liege nahe, dass mit den jetzt aufgenomme­nen Krediten in den kommenden Haushaltsj­ahren viele „Prestigepr­ojekte“

der großen Koalition im Bereich der Klimapolit­ik finanziert werden sollten, vermutet Christoph Gröpl. Diese Projekte seien indes nicht neu, ihre Finanzieru­ng sei bisher allerdings weitgehend an der Schuldenbr­emse und der „Politik der schwarzen Null“gescheiter­t. Schulden „bei Gelegenhei­t“aufzunehme­n, um dieses Geld für die Zukunft zu sparen, sei im privaten Bereich unsinnig, im öffentlich­en Bereich verfassung­swidrig.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Professor Christoph Gröpl sieht die Neuverschu­ldung skeptisch.
FOTO: OLIVER DIETZE Professor Christoph Gröpl sieht die Neuverschu­ldung skeptisch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany