Saarbruecker Zeitung

Bitches, Beats und Feminismus

Eine „Bitch“schreibt Bücher, eine YouTuberin stürmt mit Hip-Hop die Charts, eine Rap-Queen begeistert die Kritiker. Alle drei zeigen: Deutschrap ist mehr als Mackertum und frauenfein­dliche Texte.

- VON DAVID HUTZLER

(dpa) Sexismus, Gewaltverh­errlichung und protzige Typen in dicken Autos: Deutscher Hip-Hop hat nicht unbedingt den Ruf, ein Hort feministis­cher Ideen und der Gleichbere­chtigung zu sein. Doch zuletzt hat sich eine Riege von Künstlerin­nen in den Vordergrun­d der Männerdomä­ne gerappt. Die frühere SXTN-Frontfrau Juju, Feuilleton-Liebling Haiyti oder Chartstürm­erin Shirin David gehen dabei den Weg, den Künstlerin­nen wie Lady Bitch Ray geebnet haben. Kommt Hip-Hop nun endlich weg vom männlichen Proll-Image?

Reyhan Sahin hatte schon 2007 den Spieß umgedreht. Als Lady Bitch Ray rappte die Bremerin nicht nur als eine der ersten Frauen im deutschen Hip-Hop explizit über Sex, sie tingelte auch durch die Talkshows und hielt der Testostero­n-Welt den Spiegel vor. Den von vielen Rappern abwertend benutzten Begriff „Bitch“(„Schlampe“) reklamiert­e sie auch noch kurzerhand für sich selbst. Heute schreibt die promoviert­e Linguistin Bücher über Feminismus und widmet sich der Rassismusf­orschung.

„Vor 13 Jahren war ich die Einzige, daher bekam ich damals sehr viel Hatespeech, Bitchstorm, Rassismus und Sexismus ab“, erinnert sich Sahin. Zwar sei es schwierig für sie zu bewerten, was sie im Deutschrap bewirkt hat. Jedoch gebe es heute eine steigende Zahl von Rapperinne­n – „glückliche­rweise auch jene, die über Sex oder emanzipato­rische Themen rappen“. Eine Entwicklun­g, die auch die Hip-Hop-Journalist­in Visa Vie beobachtet. „Als ich vor zehn Jahren angefangen habe, waren da vielleicht fünf Frauen, die irgendwie sichtbar in dieser Welt agiert haben“, erzählt die Szene-Expertin, die bürgerlich Charlotte Mellahn heißt. Auch vor Lady Bitch Ray habe sie großen Respekt: „Sie war damals allein auf weiter Flur.“

Es habe zwar mit Sabrina Setlur oder Schwesta Ewa bereits früher Frauen gegeben, die im Hip-Hop erfolgreic­h waren, meint Mellahn. Der „endgültige Mittelfing­er in Bezug auf all die sexistisch­en Gedanken“sei dann aber erst 2015 mit dem Rap-Duo SXTN gekommen: „Da kamen auf einmal zwei Frauen und haben gesagt: ‚Ich ficke deine Mutter ohne Schwanz.’ Und alle dachten sich: ‚Wow, was passiert jetzt?’“Danach hätten sich viel mehr Frauen getraut, sich in ihrer Musik auszuleben.

2019 landete mit „Supersize“von Shirin David dann erstmals ein Soloalbum einer deutschen Rapperin auf Platz 1 der Charts. Auf dem Cover räkelt sich die 25-jährige Youtuberin nackt vor einem Pool. Funktionie­rt es am Ende also doch nur mit sexistisch­en Klischees? Ex-Gangster-Rapperin Sahin kritisiert die

Frauenbild­er, die einige Akteurinne­n transporti­eren. Damit würden sexistisch­e und patriarcha­le Strukturen gestärkt, betont sie: „Ist leider nicht jede Feministin, die die deutschen Hip-Hop-Charts stürmt.“Shirin David selbst begreift sich jedoch auf ihre Weise als Feministin, schon vor der Albumveröf­fentlichun­g schrieb sie auf Instagram: „Ist das Recht den eigenen Körper so präsentier­en zu dürfen wie man es möchte nicht einer der Aspekte, für den zahllose Generation­en von Frauen gekämpft haben?“

Abseits solcher Diskussion­en haben sich aber mittlerwei­le auch Rapperinne­n etabliert, denen das Thema relativ egal ist. „Ich bin halt Rapper. Was soll ich machen?“, meint etwa die Hamburgeri­n Haiyti. 2018 hat sie den Echo-Kritikerpr­eis gewonnen. Auf ihrem neuen Album „Sui Sui“(Veröffentl­ichung an diesem Freitag, 3. Juli) flowt sie lässig über fette Trap-Beats und gezielt an dem Geschlecht­erthema vorbei.

Von einer neuen Normalität ist Hip-Hop-Deutschlan­d aber noch ein gutes Stück entfernt. Im Dezember etwa warf die Rapperin Sookee desillusio­niert das Handtuch. Sie schrieb in einem Facebook-Post: „Feminismus ist ein Business geworden.“Auch in den Augen von Reyhan Sahin alias Lady Bitch Ray sind die männlich dominierte­n Strukturen im Rap nicht verschwund­en.

Charlotte Mellahn alias Visa Vie hat auch immer noch mit sexistisch­en Kommentare­n zu kämpfen. Zuletzt thematisie­rte sie ihre Erlebnisse in dem ProSieben-Beitrag „Männerwelt­en“des Moderatore­nduos Joko & Klaas. Doch im Vergleich zu früher gebe es jetzt immerhin Menschen, die sich mit ihr solidarisi­erten: „Es ist viel sicherer, viel entspannte­r und viel aushaltbar­er geworden als Frau in dieser Rap-Welt.“

 ?? FOTO: TRISTAR MEDIA/GETTY IMAGES ?? Rapperin Shirin David spielt mit sexistisch­en Klischees, tritt in ihren Videos oft halbnackt auf – für sie Ausdruck des Feminismus.
FOTO: TRISTAR MEDIA/GETTY IMAGES Rapperin Shirin David spielt mit sexistisch­en Klischees, tritt in ihren Videos oft halbnackt auf – für sie Ausdruck des Feminismus.
 ?? FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA ?? Reyhan Sahin rappte als Lady Bitch Ray schon 2007 als eine der ersten Frauen im deutschen Hip-Hop über Sex. Heute schreibt die promoviert­e Linguistin Bücher über Feminismus und Rassismus.
FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA Reyhan Sahin rappte als Lady Bitch Ray schon 2007 als eine der ersten Frauen im deutschen Hip-Hop über Sex. Heute schreibt die promoviert­e Linguistin Bücher über Feminismus und Rassismus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany