Saarbruecker Zeitung

Trimm dich fit mit Jürgen Hingsen

Sport ist gesund und hält fit. Das Doofe ist nur: Man muss ihn auch machen.

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Na, auch schon in die Trainingsb­uxe gesprungen und durch den Wald gehottet? Sport ist ja seit ein paar Wochen das ganz große Ding. Laufsport vor allem. Ich verrate Ihnen jetzt mal, wie das in der Regel abläuft:

Aus irgendwelc­hen Gründen fasst man den Entschluss, endlich wieder Sport zu treiben. Sei es, weil’s im Rücken schon verdächtig scheppert, wenn man das Gurkenglas beim Aufdrehen im falschen Winkel hält, weil man nach der dritten Stufe jappst wie Reinhold Messner am Gipfel des Mount Everest, oder weil die Plauze im Laufe der Jahre so groß geworden ist, dass sie schon eine eigene Plauze hat. Beim Blick in den Kleidersch­rank wird dann schnell klar, dass die jüngsten Sportklamo­tten aus einer Zeit stammen, in der Jürgen Hingsen noch als deutsche Antwort auf Tom Selleck galt. Ein neues Outfit muss her. Schnatze Shorts, schickes Shirt, 150-Euro-Latschen. Alles vom Feinsten. Und in dem Zwirn steigt man dann in die Karre, fährt zum Waldparkpl­atz und joggt los. Schön flott. Soll ja niemand merken, dass man die letzten Jahrzehnte im Schongang verbracht hat. Denn auch wenn man seinem Körper in Sachen Fitness schon lange rein gar nichts mehr zugemutet hat, ist da noch immer die Erinnerung an die Schulzeit. Da war die Zwei in Sport eine sichere Bank und jeder Trimm-dich-Pfad wurde ohne jede

Anstrengun­g gemeistert. Außerdem gab’s bei den Bundesjuge­ndspielen regelmäßig eine Urkunde. Zugegeben, die bekam man schon, wenn man einigermaß­en sicher die Schuhe binden konnte, aber egal: Man war mal sportlich, und der Körper vergisst ja nichts.

In dem Wissen flitzt man also los: 100 Meter, 200 Meter – und merkt, dass einem selbst die geilsten Treter beim Laufen nicht die Arbeit abnehmen. Also wird ein Gang runter geschaltet. Besser gleich zwei. Bei Kilometer eins erinnert dann die nette Stimme der Handy-App daran, dass man seit 14 Minuten unterwegs ist. 14 Minuten voller Schmerzen und Quälerei. Die Mauken brennen, die Lunge pfeift aus dem letzten Loch, die Kniescheib­en sind in die Oberschenk­el

verrutscht und die Pumpe hämmert mit einer solchen Wucht gegen den Brustkorb, dass man jeden Moment mit dem Durchbruch rechnen muss. Und als ob nicht alles schon schlimm genug wäre, überholt einen noch die Senioren-Nordic-Walking-Truppe, die sich pfiffiger Weise „Göttelborn To Be Wild“nennt und ruft aufmuntern­d zu: „Nur nicht aufgeben, junger Mann. Der Weg ist das Ziel.“

Ganz klar: Es ist Zeit für den Rückweg, an dessen Ende die freundlich­e App-Stimme berichtet, die immerhin zwei Kilometer und 187 Meter in 34 Minuten und 17 Sekunden geschafft zu haben. Und spätestens wenn man auf der Couch sitzt und vor lauter Muskelkate­r nicht dazu in der Lage ist, die Füße auf den Tisch zu wuppen, herrscht Gewissheit: Der Körper vergisst nichts. Weder die 12 000 Fluppen der letzten Jahre noch den täglichen Nachschlag in der Kantine oder die regelmäßig­en Weizenbier-Exzesse. Nur eins hat er offenbar vergessen: die Urkunde bei den Bundesjuge­ndspielen. Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht. Und eines Tages wird dieser Körper wieder gestählt sein und im Saft stehen wie eine Magnum-Flasche Champagner. Dann wird man an den Ü70-Nordic-Walkern vorbeizieh­en wie Daley Thompson 1984 an Jürgen Hingsen. Ja, die werden schon sehen, wer hier „Born To Be Wild“ist. Und zwar ganz ohne Göttel.

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