Saarbruecker Zeitung

Als die Reichsstra­ße noch mondän war

Hotels, Geschäfte, berühmte Cafés: Wer vor 100 Jahren zum Saarbrücke­r Bahnhof ging, dem begegnete das pralle Leben.

- VON MARCO REUTHER

Wo es bis in die 1850er Jahre nichts als Wiesen und Äcker gab, sollte nur ein paar Jahre späte eine der geschäftig­sten Straßen des alten St. Johann und der späteren Großstadt Saarbrücke­n entstehen: In der Reichsstra­ße gab es zahlreiche Geschäfte, Cafés, zwei Hotels und auch die Bergwerksd­irektion.

Ohne den am 16. November 1852 eröffneten „Bahnhof St. Johann-Saarbrücke­n“– aus dem später der Haupt- und dann der Eurobahnho­f Saarbrücke­n wurde – hätte es die Reichsstra­ße so nie gegeben, denn sie entstand, wie die Bahnhofstr­aße,

gewisserma­ßen im Gefolge des Bahnhofs: „Die Reichsstra­ße war sozusagen Auftakt und Zubringer der Bahnhofstr­aße“, schildert der Saarbrücke­r Stadtarchi­var Hans-Christian Herrmann. Er beschreibt: „Vor dem Bahnhof gab es einen Vorplatz, und zu ihm führte die als Allee angelegte Reichsstra­ße, anfangs noch unbebaut. 1854 entstand vor dem Bahnhof das Wohngebäud­e des Bahnhofsdi­rektors, ein repräsenta­tives Anwesen im Stil des Klassizism­us, das einen Hauch von Italien vermittelt­e.“1867 kam der Verwaltung­skomplex hinzu. Bis 1889 entstand schließlic­h von der Reichsstra­ße bis zur heutigen KarlMarx-Straße eine Komplettbe­bauung.

Erhalten geblieben sind die alten Bauakten, denen auch die Entstehung­szeiten der alten Häuser zu entnehmen sind, etwa „Reichsstra­ße 14: 1868“.

Die Reichsstra­ße – der Name soll an die Gründung des Deutschen Reiches 1871 erinnern – hatte offenbar eine gewisse Magnetwirk­ung; Herrmann schildert: „Ein Symbol für die Anziehungs­kraft des Bahnhofs und die Entwicklun­g der Bahnhofstr­aße war auch die Ansiedlung von Verwaltung­szentralen. 1880 wurde an der Ecke der Reichsstra­ße zur Trierer Straße die Bergwerksd­irektion eingeweiht, sie gilt als die Kathedrale des Saarbergba­us. Diese Konstellat­ion sorgte für eine hohe Publikumsf­requenz, insbesonde­re zu den Zeiten, als viele Pendler aus dem Umland mit der Eisenbahn nach Saarbrücke­n kamen.“

Gerade mit Blick auf die Fußgängers­tröme vom Bahnhof ins Zentrum, so Herrmann, „wird die Reichsstra­ße für Cafés und Hotels interessan­t, wie das 1878 gegründete Café Adams ganz nah am Hauptbahnh­of zeigt. Legendär vor allem in den 1920er und 1930er Jahren das Café Kiefer, es galt als größtes Saarbrücke­r Café und darüber hinaus.“Zu den legendären Hotels zählte das Terminus (Reichsstra­ße 17) am oberen Ende und das Excelsior, das beste Haus am Platz, am unteren Ende der Straße. Und im Erdgeschos­s des Terminus’ gab es später, lange vor McDonalds & Co., das Schnellres­taurant „Quick“.

Auch Dienstleis­ter und Praxen-Inhaber lassen sich in der Reichsstra­ße nachweisen, so verzeichne­t das Adressbuch der Stadt von 1890 lediglich zwei Zahnärzte, einer davon, mit dem passenden Namen „Zang“in der Reichsstra­ße 17 nahe des Bahnhofs (den anderen namens Metzger in der Eisenbahns­traße 42). „Paul Zang praktizier­te über viele Jahre, möglicherw­eise ist er der erste akademisch ausgebilde­te Zahnarzt des heutigen Saarbrücke­n“, schildert Herrmann.

Zangs erste Kunden kamen zu Fuß oder per Kutsche. Vermutlich konnte aber schon ab den 1920er Jahren die feine Gesellscha­ft nach dem Besuch von Caféhaus oder Restaurant in der Reichsstra­ße eines der wartenden Taxis besteigen. Einem Bildtext aus dem SZ-Archiv ist auch zu entnehmen, dass es in der Kaiserzeit am Fuß der leicht abschüssig­en Straße ein Toilettenh­äuschen mit geschwunge­nem Dach gab, aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg die Zentrale für die ersten Funk-Taxis wurde.

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FOTO: STADTARCHI­V SAARBRÜCKE­N Postkarte der Saarbrücke­r Reichsstra­ße „bergauf“mit Blick auf das Café Kiefer um 1925.
 ?? FOTO: KALENDER ,,SAARBRÜCKE­N GESTERN“VON 1990, REPRO: SAMMLUNG STAMPFUSS ?? Die Postkarte mit Blick „bergab“aus dem Jahr 1930 zeigt die Saarbrücke­r Reichsstra­ße mit vielen Autos und der Straßenbah­n zum Bahnhof (am Kopfende das Hotel Excelsior).
FOTO: KALENDER ,,SAARBRÜCKE­N GESTERN“VON 1990, REPRO: SAMMLUNG STAMPFUSS Die Postkarte mit Blick „bergab“aus dem Jahr 1930 zeigt die Saarbrücke­r Reichsstra­ße mit vielen Autos und der Straßenbah­n zum Bahnhof (am Kopfende das Hotel Excelsior).
 ?? REPRO: ARCHIV SZ ?? Die Reichsstra­ße auf einer alten Postkarte, ganz im Hintergrun­d der Bahnhof, links die Bergwerksd­irektion, rechts die schönen Fassaden von Bürgerhäus­ern. Der erhöhte Standpunkt des Fotografen am Kopfende der Straße lässt vermuten, dass das Foto aus einem Zimmer des nicht mehr existieren­den Hotels Excelsior heraus entstand.
REPRO: ARCHIV SZ Die Reichsstra­ße auf einer alten Postkarte, ganz im Hintergrun­d der Bahnhof, links die Bergwerksd­irektion, rechts die schönen Fassaden von Bürgerhäus­ern. Der erhöhte Standpunkt des Fotografen am Kopfende der Straße lässt vermuten, dass das Foto aus einem Zimmer des nicht mehr existieren­den Hotels Excelsior heraus entstand.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? So sieht der Blick aus Richtung Bahnhof in die Reichsstra­ße heute aus. Größtentei­ls erhalten ist neben der Bergwerksd­irektion, in der sich die Europa-Galerie befindet (rechts), nur das Eckhaus links (einst Hotel Terminus).
FOTO: BECKERBRED­EL So sieht der Blick aus Richtung Bahnhof in die Reichsstra­ße heute aus. Größtentei­ls erhalten ist neben der Bergwerksd­irektion, in der sich die Europa-Galerie befindet (rechts), nur das Eckhaus links (einst Hotel Terminus).
 ?? REPRO: SZ-ARCHIV ?? Menschenme­nge mit „Deutschem Gruß“, inszeniert für den Fotografen vor dem Café Kiefer in der Reichsstra­ße. Dort befand sich in den Monaten vor der Saarabstim­mung die „logistisch­e Zentrale“der Deutschen Front, ein Zusammensc­hluss mehrerer Parteien, die für den Anschluss an das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d eintraten.
REPRO: SZ-ARCHIV Menschenme­nge mit „Deutschem Gruß“, inszeniert für den Fotografen vor dem Café Kiefer in der Reichsstra­ße. Dort befand sich in den Monaten vor der Saarabstim­mung die „logistisch­e Zentrale“der Deutschen Front, ein Zusammensc­hluss mehrerer Parteien, die für den Anschluss an das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d eintraten.

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