Schul-Absolventen im Saarland bangen um ihre Zukunft
Ein Jahr ins Ausland, direkt studieren, oder doch einen weiteren Schulabschluss? Was machen saarländische Schulabgänger in der Corona-Krise?
„Die Jugend kriegt die Krise“, titelt die aktuelle Mitgliederzeitung der Gewerkschaft Verdi und spricht von einer „Generation Corona“: 40 Prozent der Studierenden hätten ihren Nebenjob verloren, 41 Prozent der jungen Beschäftigten arbeiteten schon jetzt dauerhaft befristet. Wie aber sieht es mit denen aus, die gerade ihren Schulabschluss gemacht haben? Welche Auswirkungen haben die Kollateralschäden des Virus auf ihre Zukunft – auf Weiterbildung, Studium, Jobsuche und Auslandsaufenthalte?
Chantal Maier ist 16 und hat nun nach der zehnten Klasse ihren Mittleren Bildungsabschluss in der Tasche. Sie möchte aber auf der Marienschule bleiben und dort Abitur machen. „Ich fühle mich allerdings sehr unvorbereitet auf die Oberstufe“, sagt Chantal. „Es fiel ohnehin schon viel aus, weil ein Lehrer krank war. Durch Corona ist alles noch deutlich schwerer geworden.“Benachteiligt fühlt sich Chantal auch dadurch, dass sie nach dem Lockdown nur ganze zwei Wochen Präsenz-Unterricht hatte. Dass sogar die Fünftklässler vor ihr in die Schule durften, hat sie regelrecht empört.
Online-Unterricht sei kein adäquater Ersatz gewesen. Viele hätten sich von zu Hause aus mangels Technik gar nicht richtig beteiligen können. „Und selbst wenn man aktiv mitgearbeitet hat, hat man dabei nicht so viel mitgenommen wie bei echtem Unterricht“, meint Chantal. „Aber es war immerhin eine Möglichkeit, mit den Lehrern in Kontakt zu bleiben.“Chantal tanzt unter anderem Garde. Turniere, Deutsche Meisterschaft: alles abgesagt. Ein vierwöchiger Schüleraustausch in Spanien fiel dem Virus ebenso zum Opfer wie ein zweiwöchiges Praktikum in einer Apotheke in Frankreich. Parallel fallen sämtliche Möglichkeiten flach, sich mit Nebenjobs etwas dazuzuverdienen. „Momentan nimmt einen niemand an“, sagt Chantal, „es gibt gar keine Ausschreibungen.“Chantal hofft, „dass der Stundenplan für die nächsten zwei Jahre so angepasst wird, dass nicht gefühlt 50 Prozent durchs Abitur rasseln.“Chantal: „Wenn man ehrlich ist, kommt man wegen G8 mit dem Stundenplan jetzt schon nicht mehr hinterher.“
Der Traum vom gut dotierten Ferienjob ist auch für Rebecca Pelster geplatzt. Die 18-Jährige hatte sich auf ZF-Getriebe verlassen – abgesagt wegen Kurzarbeit. Ersatzweise arbeitet die Abiturientin des Deutsch-Französischen Gymnasiums (DFG) jetzt in der Schulbuchausleihe. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich wirklich Abitur geschrieben habe“, sagt Rebecca. Weil ihre Klasse tatsächlich vorm Lockdown mit dem gesamten Stoff durch war, hatte sie zur Vorbereitung nicht mal mehr Online-Unterricht. „In der ganzen Orientierungslosigkeit war an diszipliniertes, konstantes Lernen gar nicht zu denken“, sagt Rebecca. Dadurch habe das Abitur an Bedeutung verloren. Trotzdem ist sie froh, eine Prüfung abgelegt zu haben, weil damit immerhin das „Corona-Abi“vom Tisch war. Statt des Abiballs in der Congresshalle ist nun eine kleine Veranstaltung in einem Mehrzweckraum des DFG geplant – ohne Familie, ohne Freunde. Und von wegen nach dem Abi erst mal ausspannen und die Welt bereisen. Eigentlich wollte Rebecca mit einer Freundin zwei Monate lang via Interrail durch Dänemark, Schweden und Norwegen fahren. Das scheiterte an geschlossenen Grenzen und der Verschiebung des Abis um zwei Monate.
Rebecca würde gern in Köln Jura oder Psychologie studieren. Aber falls die Seminare infolge einer zweiten Welle nur online stattfinden sollten, sei das keine verlockende Perspektive. Sie hatte auch überlegt, im Rahmen eines dualen Studiums für zwei Jahre nach England zu gehen. „Aber dafür 10 000 Euro auszugeben, auf die Gefahr hin, dass das möglicherweise auch alles online stattfindet?“Rebecca muss nun schauen, was sie macht. „Die Bewerbungsportale der Hochschulen sind erst jetzt wieder geöffnet.“
Joel Schanz hängt total in der Luft. Der 19-Jährige hat sein Abi unter ähnlichen Umständen wie Rebecca abgelegt, an der Gemeinschaftsschule Saarbrücken-Dudweiler. Dort könne man dank des großen Schulhofs immerhin open air eine kleine Feier ausrichten, freut sich Joel. Jeder darf zwei Begleitpersonen mitbringen, muss jedoch selbst für Essen, Getränke und Tischdeko sorgen. Joel hatte extra früh für die Zeit nach dem Abi vorgesorgt. Schon im November 2019 hatte er einen Vertrag in der Tasche: Ende Juli sollte es im Rahmen eines Internationalen Jugendlichen-Freiwilligendienstes (IJFD) ein Jahr lang nach Neuseeland gehen. Nun kam die Nachricht, dass die Reise auf September/Oktober verschoben wird, eventuell steht sie ganz auf der Kippe. Alternativen? Studieren möchte Joel nur, wenn es tatsächlich ein Präsenzstudium ist – Online-Seminare kommen für ihn nicht in Frage. Eine wissenschaftliche Ausbildung in Chemie als Laborassistent wäre auch eine Option. Jetzt will Joel sich erst mal nach einem Mini-Job umtun. Er teilt Chantals Befürchtungen: „Ich denke, unser Abi-Jahrgang ist derjenige, der noch am besten davon gekommen ist. Weil wir richtigen Unterricht hatten bis kurz vorm Shutdown. Bei den anderen blieb Stoff teils komplett auf der Strecke – das nachzuholen, wird eng.“Sein Jahrgang habe dagegen vor allem mit der Situation danach zu kämpfen. Joel: „Wir bräuchten dringend Sicherheiten, dass irgend etwas verbindlich funktioniert. Die haben wir momentan nicht.“arbeitsagentur.de/bildung