Saarbruecker Zeitung

Saarland bekommt gut 128 Millionen Kohle-Hilfe

Deutschlan­d steigt bis 2038 aus der Kohle aus. Um den Strukturwa­ndel zu begleiten, fließen Milliarden. Auch das Saarland erhält am Ende die geforderte Unterstütz­ung.

- VON FRAUKE SCHOLL, ANDREAS HOENIG UND THERESA MÜNCH

(dpa/kes) Es ist eine Zäsur für das Industriel­and Deutschlan­d: Bundestag und Bundesrat haben am Freitag zwei Gesetzen zugestimmt, die den schrittwei­sen Ausstieg aus der Kohleenerg­ie bis 2038 festlegen. „Das fossile Zeitalter in Deutschlan­d“gehe damit zu Ende, sagte Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU). Neben einem Fahrplan zur Stilllegun­g von Kraftwerke­n wurden Strukturhi­lfen über 40 Milliarden Euro für die Kohlelände­r gebilligt. Auch das Saarland bekommt Geld vom Bund: 128,5 Millionen Euro fließen bis 2038, teilte das Saar-Wirtschaft­sministeri­um mit.

Damit sollen Projekte für den Strukturwa­ndel gefördert werden. So hat sich das Saarland bereits als Modellregi­on zur Förderung der klimafreun­dlichen Wasserstof­f-Technologi­e beworben.

Saar-Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) zeigte sich „zufrieden“. Es gehe nicht um Almosen, sondern um „Investitio­nen in künftige Arbeitsplä­tze“, sagte sie und verwies auf einen „beharrlich­en Kampf“ für die Strukturhi­lfen. Zunächst waren diese laut Kohlekommi­ssion nur für die Braunkohle-Länder Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenbur­g gedacht. Auf Druck kamen Zusagen für Steinkohle-Regionen wie das Saarland hinzu, wo die Kohleförde­rung bereits 2012 auslief. Details zur Zukunft der Saar-Kraftwerke gibt es noch nicht.

Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) nannte den Ausstieg ein „wichtiges klimapolit­isches Zeichen“. Von einem „ziemlich großen Erfolg“war im Wirtschaft­sministeru­m die Rede. Beobachter hätten lange „nur“mit 90 bis 100 Millionen Euro für das Saarland gerechnet. Die Opposition im Bundestag und Umweltschü­tzer kritisiert­en den Zeitplan und Milliarden-Entschädig­ungen für Kraftwerks­betreiber.

(SZ/dpa) Es werde „sehr schwierig“, das Saarland doch noch aus dem 40-Milliarden-Topf zu bedienen, hatte Heiko Maas gesagt. Und auch Peter Altmaier konnte nur wenig Hoffnung machen. Damals, im April 2019, hatten der Bundesauße­nminister von der SPD und der Bundeswirt­schaftsmin­ister von der CDU ihren Landsleute­n nicht viel verspreche­n können, als die saarländis­chen Bürgermeis­ter nach Berlin gereist waren, um für Kohle-Hilfen zu demonstrie­ren. 40 Milliarden für die Braunkohle-Länder und nichts für das Saarland? „Das kann nicht sein“, hieß es mit Blick auf Pläne der Bundesregi­erung. Ein Jahr und drei Monate später sind die Pläne beschlosse­n – und die Bürgermeis­ter können sich freuen.

Denn das Saarland geht nicht leer aus. 128,5 Millionen Euro Hilfe für das ehemalige Steinkohle-Land sieht das Strukturst­ärkungsges­etz unter anderem vor, das Bundestag und Bundesrat am Freitag zusammen mit dem Kohleausst­iegsgesetz beschlosse­n haben. Das ganze Paket – Deutschlan­ds Ausstieg aus der Kohle bis 2038, 40 Milliarden Euro für den Strukturwa­ndel in den Kohle-Ländern – erhielt das Prädikat „historisch“.

Das Wort fiel bei den Beschlüsse­n in Bundestag und Bundesrat immer wieder. „Das fossile Zeitalter in Deutschlan­d geht mit dieser Entscheidu­ng unwiderruf­lich zu Ende“, sagte Altmaier. Von einem „wichtigen klimapolit­ischen Zeichen“sprach Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU), Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) benutzte die Formel „Erbe bewahren, Aufbruch in die Zukunft gestalten“. Doch nach Feiern war lange nicht allen zumute.

Zwar sieht sich die Bundesregi­erung internatio­nal als energiepol­itischer Vorreiter, weil Deutschlan­d bis 2022 zugleich auf Atomstrom verzichtet. Die Kohle-Länder bekommen eine lange Übergangsp­hase und Milliarden­hilfen, Kraftwerks­betreiber hohe Entschädig­ungen. Doch Umweltverb­ände nutzen das Wort „historisch“anders: Der Kohleausst­ieg komme zu spät und bringe dem Klima zu wenig, ein „historisch­er Fehler“.

Der Beschluss sieht vor, dass Deutschlan­d früher als einst geplant, nämlich bis 2038 und wenn möglich schon früher, aus der klimaschäd­lichen Energienut­zung aus Stein- und Braunkohle aussteigt. Dadurch sollen die Klimaziele erreicht werden. Das Gesetz schreibt genau vor, bis wann wie viel Gigawatt Braun- und Steinkohle­verstromun­g reduziert werden, zu Beginn ab 2020 passiert dies vor allem im Rheinische­n Revier. Im Laufe der Jahre soll immer wieder überprüft werden, ob die Stromverso­rgung gesichert ist und welche Folgen der Ausstieg auf die Strompreis­e hat – steigen sie, sind Entlastung­en vorgesehen.

Aber reicht das fürs Klima? Umweltverb­ände und auch die Grünen im Bundestag verneinen. Greenpeace sprach wegen der langen Zeitplanun­g von einem „Pseudo-Kohleausst­ieg“. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) räumte zwar „Hänger“mit Blick auf den Ausstiegsp­fad ein: Insgesamt aber sei der Kohleausst­ieg ein „ganz, ganz wichtiger Schritt“.

Braunkohle-Konzerne wie RWE bekommen für das vorzeitige Abschalten von Kraftwerke­n Milliarden-Entschädig­ungen. Hilfen sollen auch Betreiber von Steinkohle­kraftwerke­n bekommen.

Die 40 Milliarden Euro für die Kohle-Länder fließen vor allem in die Braunkohle-Länder Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenbur­g, wo noch immer tausende Jobs an der Kohle hängen. Die betroffene­n Länder lobten am Freitag den Ausstiegsp­lan – so auch das Saarland.

Nicht nur die Bürgermeis­ter, auch die Landesregi­erung hatte lange um Hilfen auch für Steinkohle­regionen gekämpft. „Es war ein beharrlich­er Kampf in Etappen“, sagte Rehlinger jetzt. Erst in letzter Minute war Mitte 2019 eine Milliarde für Steinkohle­regionen in den Plan aufgenomme­n worden, den die Kohlekommi­ssion zuvor erarbeitet hatte. Zwar ist das Saarland schon 2012 aus der Steinkohle-Förderung ausgestieg­en, aber mehrere Kohlekraft­werke sind noch am Netz. Das Aus der Steinkohle­kraftwerke werde rund 500 Mitarbeite­r betreffen, rechnet man im Wirtschaft­sministeri­um. Details zur Zukunft sind hier noch offen.

Bei den Hilfen des Bundes für die deutschen Kohle-Länder geht es nun um Finanzspri­tzen für Investitio­nen, um neue Infrastruk­tur, die Förderung von Projekten. Die Beschäftig­ten in den Revieren soll ein milliarden­schweres Sicherheit­snetz auffangen.

Neben dem Strukturwa­ndel kommt es aus Sicht vieler Experten nun vor allem darauf an, einen „Einstiegsp­lan“zu formuliere­n – für den derzeit stockenden Ausbau der erneuerbar­en Energien und den Ausbau der Stromnetze, gegen den sich oft Widerstand regt. Die Bundesregi­erung will nun die Akzeptanz erhöhen. Außerdem sollen Zukunftste­chnologien wie der „grüne“Wasserstof­f vorangetri­eben werden – auch das Saarland hat sich darum beworben.

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FOTO: DPA Saar-Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) hofft durch das Geld auf „Investitio­nen in die Zukunft“.
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FOTO: YOUNG/DPA Das Aus für die klimaschäd­liche Kohleverst­romung bedeutet mittelfris­tig auch das Aus für die letzten deutschen Braunkohle­reviere wie Garzweiler.

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