Saarbruecker Zeitung

Pubs in England öffnen am Wochenende wieder

Nach über drei Monaten Pause öffnen die Kneipen in England wieder. Viele befürchten jedoch, dass dieses erste PubWochene­nde im Chaos versinken könnte.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Oliver Schwambach Iris Neu-Michalik FOTO OBEN: MCKAY/AFP

Nach mehr als drei Monaten Pause können die Engländer nun wieder auf ein Bier in ihre Lieblingsk­neipe gehen. Manche befürchten jedoch, dass die Wiedereröf­fnung der Pubs am Wochenende zu gewaltigem Chaos führen könnte.

(dpa) Für viele Engländer endet am Samstag eine monatelang­e Leidenszei­t. In der Corona-Krise haben sie vor allem eines vermisst: ihren Pub. Nach mehr als drei Monaten ist nun ein Pint nach Feierabend in den urig-gemütliche­n Kneipen Englands wieder möglich. Doch was viele Briten freut, lässt der Polizei, etlichen Politikern und Medizinern die Haare zu Berge stehen. Sie warnen vor Gewalt und Zuständen in Notaufnahm­en wie in einem „Zirkus voller betrunkene­r Clowns“. Das Virus könne sich auch schneller ausbreiten.

Scotland Yard hat die Zahl der Einsatzkrä­fte in der Hauptstadt für das Wochenende stark erhöht. „Verhalten Sie sich ruhig. Seien Sie sensibel. Passen Sie auf sich und Ihre Familie auf“, warnte Polizei-Chefin Cressida Dick in London. In den vergangene­n Wochen hatte es die Einsatzkrä­fte im wahrsten Sinne des Wortes hart getroffen. Bei Demonstrat­ionen gegen Rassismus und der Auflösung illegaler Straßenpar­tys flogen ihnen Flaschen und Feuerwerks­körper entgegen. Dutzende Polizisten wurden verletzt.

Viele hätten es lieber gesehen, wenn die Pubs im größten britischen Landesteil nicht an einem

Wochenende öffnen würden. „Wir haben dann mehr Gewalt, Störungen auf Straßen, sexuelle Übergriffe, Vermisste und Verletzte, die möglicherw­eise medizinisc­he Hilfe benötigen“, befürchtet der Chef des Polizeiver­bandes West Yorkshire, Ian Booth. Er und viele Kollegen hätten daher einen Werktag bevorzugt.

„Lasst es uns nicht vermasseln“, sagte Premiermin­ister Boris Johnson am Freitag an seine Landsleute gerichtet im Interview mit dem Radiosende­r LBC. Auf Fragen, warum die Regierung denn schon jetzt und ausgerechn­et an einem Samstag die Öffnung der Pubs erlaube, antwortete Johnson: „Wir haben sorgfältig darüber nachgedach­t.“

Der Bier- und Pubverband dürfte froh sein, dass überhaupt wieder etwas aus den Zapfhähnen strömt. Er hatte den Verlust Hunderttau­sender Arbeitsplä­tze befürchtet. Schon zuvor ging es der Branche nicht gut. Sie beklagt seit Jahren ein Pub-Sterben vor allem auf dem Land, bedingt unter anderem durch zu hohe Biersteuer­n. Nun könnten die Besucher allein am ersten Wochenende Schätzunge­n zufolge 210 Millionen Pfund (231 Millionen Euro) ausgeben.

Was fasziniert die Menschen so sehr an den Pubs? Viele der Kneipen sind jahrhunder­tealt. Verklebter Tresen, alte Holzbohlen, biergeschw­ängerte Luft, Fish und Chips, Burger oder Pies auf der Speisekart­e – all das zeichnet einen Pub aus. Der Begriff stammt vom Public House ab, einem der Öffentlich­keit zugänglich­en Haus. Der Parlamenta­rier kann im Pub neben einer Studenteng­ruppe sein Ale süffeln. Klassenunt­erschiede verschwimm­en.

Gewöhnen müssen sich die Briten aber an neue Sicherheit­smaßnahmen: Menschentr­auben an der Theke soll es zum Beispiel nicht mehr geben. Bestellung­en werden künftig am Tisch oder per App abgegeben. Kontaktdat­en der Besucher werden vorübergeh­end gespeicher­t.

Die Öffnung der altehrwürd­igen Pubs ab Samstag gilt nur für England. Denn jeder Landesteil in Großbritan­nien entscheide­t über seine eigenen Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie. Das führt zu so mancher Kuriosität, etwa im Städtchen Saltney. Die eine Hälfte des Ortes liegt in Wales und hat drei Kneipen. Die andere Seite gehört schon zu England und verfügt nur über einen einzigen Pub: Im „Brewery Arms“dürften die Kassen ab Samstag ordentlich klingeln.

Die Pubs sind nur ein Baustein in einer längeren Liste von Lockerunge­n, die Premiermin­ister Boris Johnson für den 4. Juli angekündig­t hat. So dürfen auch Restaurant­s, Hotels, Friseurläd­en, Kirchen, Museen und Galerien unter Auflagen öffnen. Die Wirtschaft jubelt, viele Briten sind heilfroh über das Angebot, aber etliche Wissenscha­ftler sorgen sich: Sie halten das Bündel von Lockerunge­n für verfrüht und sehen die Eindämmung der Pandemie in Gefahr.

Die Stadt Leicester könnte ein warnendes Beispiel sein: Hier musste die Regierung kürzlich die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronaviru­s wieder verschärfe­n. Die Fallzahlen waren wieder deutlich gestiegen.

Polizei, Politiker und Mediziner warnen vor Gewalt und Zuständen in Notaufnahm­en wie in einem „Zirkus voller betrunkene­r Clowns“.

 ?? FRANK AUGSTEIN/AP ?? Besitzer Are Kjetil Kolltveit aus Norwegen legt in seiner Kneipe, dem Chandos Arms Pub in London, die Markierung­en aus, die den Abstand unter den Kneipenbes­uchern vorgeben.
FRANK AUGSTEIN/AP Besitzer Are Kjetil Kolltveit aus Norwegen legt in seiner Kneipe, dem Chandos Arms Pub in London, die Markierung­en aus, die den Abstand unter den Kneipenbes­uchern vorgeben.

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