Saarbruecker Zeitung

Kohleausst­ieg ist Teil eines fundamenta­len Wandels

Zur schrittwei­sen Stilllegun­g der Kraftwerke

- STEFAN VETTER

Schwarzer Tag oder historisch­er Tag? Kein Zweifel, der endgültige Beschluss zum Ausstieg aus der Kohleverst­romung polarisier­t in einem Ausmaß, wie es im politische­n Berlin nicht alle Tage vorkommt. Greenpeace-Aktivisten stiegen den Volksvertr­etern am Freitag im wahrsten Wortsinn aufs Dach, um gegen die vermeintli­ch viel zu laschen Entscheidu­ngen zu protestier­en. Und doch gibt es im Grundsatz einen erstaunlic­hen Konsens zwischen Demonstran­ten und Bundestags­parteien: Abgesehen von der AfD wollen alle „eine Zukunft ohne Kohlekraft“, wie es Greenpeace großformat­ig plakatiert hatte. Und das auch noch bei gleichzeit­igem Ausstieg aus der Atomkraft. Deutschlan­d geht weltweit als erster Industries­taat diesen Weg. Der letzte Atommeiler wird spätestens in zwei Jahren abgeschalt­et. Bringt man das alles zusammen, dann erscheint der Abschied vom fossilen Zeitalter in einer noch größeren Dimension.

Unter dem Aspekt des Klimaschut­zes klingt es sicher wenig ambitionie­rt, sich erst im Jahr

2038 von der Kohle zu trennen. Auch kann man darüber streiten, ob die milliarden­schwere Entschädig­ung für die Kraftwerks­betreiber sinnlos rausgeschm­issenes Geld ist oder nicht. Schließlic­h wird das Kohlegesch­äft ohnehin immer unrentable­r, weil die Gaspreise gesunken und die erneuerbar­en Energien auf dem Vormarsch sind. Allerdings dürfte man mit dem Geld auch einen weitgehend­en Klageverzi­cht erreichen. Und was das Ausstiegst­empo angeht, so gilt es auch zu berücksich­tigen, dass immerhin 20 000 Arbeitsplä­tze direkt an der Kohle hängen. Im rheinische­n Revier, in der Lausitz, im Saarland. Alle Regionen stehen vor einem schwierige­n Strukturwa­ndel, oder stecken bereits mitten drin – wie das Saarland. Neue Jobs müssen geschaffen werden, neue Technologi­en sind zu erschließe­n. Der Kampf des Saarlandes um ein Stück vom 40-Milliarden-Hilfstopf ist da verständli­ch. Und hat sich mit am Ende 128,5 Millionen Euro gelohnt. Mit weniger war gerechnet worden. Auf den Umbau der Regionen entfällt der Löwenantei­l der staatliche­n Milliarden­hilfen. Schon deshalb wäre es verfehlt, den jüngsten Ausstiegsb­eschluss nur schlecht zu reden.

Im Übrigen lässt er durchaus noch ein etwas zügigeres Ende des fossilen Zeitalters zu. Laut Gesetz soll die Bundesregi­erung diese Möglichkei­t zwischenze­itlich überprüfen. Das ist keine Floskel, wenn man bedenkt, dass schon die nächste Bundesregi­erung unter grünen Vorzeichen stehen könnte. Die Öko-Partei am Kabinettst­isch hätte es dann tatsächlic­h in der Hand, ohne soziale Verwerfung­en für Nachbesser­ungen beim Kohleausst­ieg zu sorgen.

Wer nun glaubt, ihn ginge das alles nichts an, der irrt. Geht es doch auch um die Versorgung­ssicherhei­t. Außerdem kennt der Strukturwa­ndel noch genügend andere Beispiele. Allein die Autoindust­rie steht vor immensen Herausford­erungen, was die Umstellung auf klimafreun­dliche Antriebe angeht. Viele andere Branchen werden ebenfalls durch die Digitalisi­erung revolution­iert. Der Kohlaussti­eg ist nur ein Teil des fundamenta­len Wandels.

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