Saarbruecker Zeitung

Freispruch für Steudtner in Istanbul

Vier Kollegen des deutschen Menschenre­chtlers werden zu Haftstrafe­n verurteilt. Streudtner nennt das Urteil „politisch motiviert“.

-

(dpa) Mehr als anderthalb Jahre nach seiner Entlassung aus der Untersuchu­ngshaft in der Türkei ist der deutsche Menschenre­chtler Peter Steudtner in Istanbul freigespro­chen worden. Der Ehrenvorsi­tzende der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal in der Türkei, Taner Kilic, wurde allerdings zu einer Gefängniss­trafe von sechs Jahren und drei Monaten wegen Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation verurteilt. Damit ist die Gülen-Bewegung gemeint, die Ankara für den Putschvers­uch von 2016 verantwort­lich

Peter Steudtner

macht. Die Urteilsver­kündung erfolgte ohne Steudtner, der zum Prozessauf­takt im Oktober 2017 nach vier Monaten Untersuchu­ngshaft ausreisen konnte.

Von den insgesamt elf Angeklagte­n wurden drei weitere wegen Terrorunte­rstützung zu rund zwei Jahren Haft verurteilt. Darunter ist die ehemalige türkische Amnesty-Direktorin Idil Eser. Sieben Menschenre­chtler wurden freigespro­chen, neben Steudtner dessen schwedisch­er Kollege Ali Gharavi. Die Urteile sind noch nicht rechtskräf­tig. Die Menschenre­chtler müssen daher vorerst nicht ins Gefängnis. Die Anwälte der Verurteilt­en kündigten nach Angaben von Amnesty Einspruch an.

Die Entscheidu­ng stieß auf internatio­nale Empörung. Steudtner selbst kritisiert­e sie als „politisch motiviert“. „Menschenre­chtsarbeit wird hierdurch massiv kriminalis­iert“, teilte er mit. Man werde weiter für den Freispruch für alle kämpfen. Der Generalsek­retär von Amnesty Internatio­nal Deutschlan­d, Markus Beeko, erklärte, die Verurteilu­ngen von Amnesty-Vertretern für ihre Menschenre­chtsarbeit sei ein „einmaliger Vorgang“und missachte „jegliche rechtsstaa­tlichen Standards“. Er forderte die Bundesregi­erung auf, Druck für eine Revision des Verfahrens und für den Freispruch aller Menschenre­chtler auszuüben.

Die Türkei-Vertreteri­n der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights-Watch, Emma Sinclair-Webb, kritisiert­e, die Entscheidu­ng sei „lächerlich“, und es gebe keinerlei Beweise. Es habe sich um einen Scheinproz­ess gehandelt, der „zeigt, wie sehr die Justiz unter politische­r Kontrolle steht“, sagte sie. Es sei zudem eine ernüchtern­de Nachricht für alle Menschenre­chtler in der Türkei.

Steudtner, Gharavi und acht türkische Menschenre­chtler waren Anfang Juli 2017 auf der Insel Büyükada vor der Küste Istanbuls bei einem Workshop, zu dem Steudtner und sein schwedisch­er Kollege als Referenten

„Menschenre­chtsarbeit wird hierdurch massiv

kriminalis­iert.“

Menschenre­chtler

geladen waren, unter Terrorverd­acht festgenomm­en worden. Zu Prozessbeg­inn im Oktober 2017 kamen alle frei, Steudtner und Gharavi reisten aus. Kilic, dessen Fall später der Anklagesch­rift hinzugefüg­t wurde, saß mehr als ein Jahr im westtürkis­chen Izmir in Untersuchu­ngshaft. Der Fall Steudtner sowie die Inhaftieru­ng weiterer Deutscher hatte ab 2017 die türkisch-deutschen Beziehunge­n schwer belastet.

Der Prozess lief unter großer internatio­naler Aufmerksam­keit. Unter anderem beobachtet­e eine Vertreteri­n des deutschen Generalkon­sulats in Istanbul die Verhandlun­g.

Die Verteidigu­ng argumentie­rte am Freitag laut Beobachter­n, dass das Treffen auf Büyükada friedlich gewesen sei und nicht als Beweis gegen die Angeklagte­n verwendet werden könne. Zudem seien alle Beweise im Laufe des Verfahrens widerlegt worden. Unter anderem war Amnesty-Ehrenvorsi­tzendem

Kilic vorgeworfe­n worden, die Messenger-App Bylock auf seinem Mobiltelef­on benutzt zu haben. Die türkischen Behörden gehen davon aus, dass sich die Putschiste­n von damals damit verständig­t hatten. Nach Angaben von Amnesty hatte die Polizei eine forensisch­e Untersuchu­ng durchführe­n lassen und in ihrem Bericht selbst festgestel­lt, dass es keine Hinweise für Bylock auf Kilics Mobiltelef­on gab.

 ?? FOTO: EMRAH GUREL/AP/DPA ?? Menschenre­chtler Peter Steudtner (links) umarmt bei seiner Entlassung aus der Untersuchu­ngshaft im Oktober 2017 vor dem Gefängnis eine Kollegin. Am Freitag wurde er in der Türkei freigespro­chen.
FOTO: EMRAH GUREL/AP/DPA Menschenre­chtler Peter Steudtner (links) umarmt bei seiner Entlassung aus der Untersuchu­ngshaft im Oktober 2017 vor dem Gefängnis eine Kollegin. Am Freitag wurde er in der Türkei freigespro­chen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany