Ulla Lenzes Roman „Der Empfänger“leuchtet die Rolle der Nazis im New York der 30er/40er Jahre aus.
Ulla Lenzes Roman „Der Empfänger“leuchtet am Beispiel eines Amateurfunkers die Rolle der Nazis im Amerika der 30er und 40er Jahre aus.
Ein gutes Vierteljahrhundert – die Jahre von 1924 bis 1953, in denen die Welt nach und nach in Hitlers Weltherrschaftspläne hinein glitt und dann von deren Folgen überschattet war – umkreist Ulla Lenzes Roman „Der Empfänger“. 1925 verlässt ihre Hauptfigur Josef Klein Deutschland in Richtung Amerika, wo Josef in einer Druckerei anheuert und er sich in den späten 30ern in New York als Amateurfunker eher wider Willen in die Dienste der Spionageabwehr der Nationalsozialisten stellt. Bald wird er vom FBI beschattet, später verhaftet und auf Ellis Island interniert. 1949 wird Josef als Joe Klein nach fünfjähriger Haft in die alte Heimat abgeschoben. Aufnahme findet er in Neuss in der Familie seines Bruders Carl. Aus Josef aber ist längst Joe geworden – ein Getriebener, fremd im eigenen Land. Nach drei Monaten macht er sich wieder davon, will mit falschen Papieren zurück in die USA, um 1953 dann mit ungewisser Zukunft in Costa Rica zu stranden.
Ulla Lenze setzt die einzelnen Stationen von Kleins Auswanderer-Existenz immer neu zusammen: Während Kapitel eins 1953 in San José spielt, springt Lenze im nächsten Kapitel vier Jahre zurück nach Neuss, um dann wenig später ins zeitliche Herz des Romans – die Enddreißiger in New York – zu stoßen. Denn im Kern schildert der Roman Josefs Zusammenarbeit mit der deutschen Spionageabwehr in den USA. Eher zufällig ergibt sie sich über seine Arbeit in der Druckerei. Josef stolpert in das NS-Netzwerk hinein, das vom deutschen Auslandsspionagedienst und dem „Amerikadeutschen Bund“in New York geknüpft wird.
Keinerlei politische Motive treiben ihn an. Ihm schmeichelt die Aufmerksamkeit, die er als Funker erfährt. Also funkt Josef Zahlenreihen nach Nazi-Deutschland, ohne genauer wissen zu wollen, was er da tut. Josef, der sich Joe nennt, wird zum Musterbeispiel eines Mitläufers, der lieber nichts hinterfragt. Als klar wird, dass es Details über zu bombardierende Militär- und Industrieanlagen sind und er aussteigen will, nötigen ihn seine Auftraggeber, weiterzufunken. Nachdem das FBI ihn zur Doppelspionage anstiftet, sitzt Klein vollends zwischen den Stühlen. Er lässt es geschehen, bis der deutsche Duquesne-Spionagering 1942 auffliegt und Joe als Teil davon verurteilt wird.
Dieser Josef Klein hat tatsächlich gelebt, er ist der Großonkel der Autorin. Briefe und Fotos von ihm hat sie studiert, sein Auswandererleben und die kaum bekannte Geschichte des deutschen Faschismus in den USA recherchiert und die historische Schuld Kleins im Roman thematisiert. Ohne den moralischen Zeigefinger zu heben, verdeutlicht sie, dass es letztlich nicht möglich ist, unpolitisch zu sein. Josefs Wunsch, unbeteiligt zu bleiben, verkehrt sich zusehends ins Gegenteil.
Lenze schlägt mit ihrem Roman ein bislang unterbelichtetes Kapitel der amerikanischen Geschichte der 30er und 40er Jahre auf, das offenbart, wie sehr die Nazis selbst in Amerika ihr Unwesen trieben: „Aus den Bierkellern stieg der Lärm geselliger Runden. Kleine Hakenkreuzflaggen zierten Auslagen und leuchteten in den Fenstern“, heißt es. Im Madison Square Garden konnten 20 000 Faschisten eine Art Reichsparteitag abhalten. In New York agierte eine deutsche Bürgerwehr, die Ende der 30er in Upper Manhattan wütete, wo sich 20 000 aus Deutschland geflohene Juden niederließen. New York drohte von Faschisten unterwandert zu werden, weshalb es – wie Lenzes genau recherchierter Roman darlegt – 1939 immer wieder Proteste gegen das Nazi-Treiben in den USA gab, bei denen es zu gewaltsamen Zusammenstößen von „Boycott Nazi Germany“
schreienden Demonstranten mit den von der US-Presse als „Ratzies“verspotteten Hitler-Unterstützern kam.
Alleine dieses plastische Ausleuchten der bis nach Amerika reichenden Nazi-Aktivitäten ist das Lesen von Lenzes Roman wert. Sein zweites Kapital ist, dass sie Josefs/Joes Duldsamkeit und Passivität zu dessen rotem Faden macht. Immer wieder lotet Lenze aus, wie sich dieser chronisch Unentschlossene fühlt – ob in New York, ob im Haus seines Bruders Carl oder in der Beziehung zu der Amateurfunkerin Lauren, in die sich Josef verliebt und die ihn später ans FBI verrät, um ihn wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Die mühselige, weil von Missverständnissen und Unfähigkeiten geprägte Beziehung beider wird zum zweiten großen Erzählstrang des Buchs, einen dritten bilden die unseligen, orientierungslosen drei Monate Josefs 1949 in Neuss. Lenze fängt die einsilbige, schicksalsergebene Verhaltenheit ihrer Hauptfigur in ebenso behutsam wie langsam und ereignisarm erzählten Szenen ein. Umso plausibler wirkt dies, da sie überwiegend aus Josefs, die wahren Zusammenhänge selten durchschauender, reiner Beobachter-Perspektive erzählt.
Allerdings wiederholt sich mit der Zeit die Schilderung von Josefs eher tumbem Unbeteiligt-Bleiben und seinem „Ich will niemand sein“-Credo. Lenze lädt ihren Roman zwar mit viel Lokalkolorit auf. Hier eine Brise Jazz & Bars, da das Porträtieren diverser Viertel New Yorks oder der deutschen Nachkriegszeit, deren Bevölkerung Klein fremd bleibt: „Alle tragen schlechtgeschnittene Kleidung aus alten Stoffen, die aussehen, als würde beim Hineinpusten Staub aus ihnen fliegen.“Derart pointierte Sätze jedoch haben eher Seltenheitswert. Ulla Lenzes allzu deskriptives Erzählen verströmt eher eine Biederkeit, die dem Roman nach und nach leider seine Dichte raubt und ihn durch die permanente Variation seiner hinlänglich bekannten Komposition zuletzt eher versanden lässt.
„Alle tragen schlecht geschnittene Kleidung aus alten Stoffen, die aussehen, als würde beim Hineinpusten Staub aus
ihnen fliegen.“
Josef Klein
Romanfigur