Saarbruecker Zeitung

Im Elektroaut­o fühlt sich vieles anders an

Flüsterlei­se und überrasche­nd flott. Wer mit einem Elektroaut­o unterwegs ist, macht ganz neue Erfahrunge­n und muss seine Sinne schulen. Der Spaß bleibt dabei nicht auf der Strecke. Im Gegenteil.

- VON THOMAS GEIGER Produktion dieser Seite: Daniel Bonenberge­r Peter Bylda

(dpa) Das erste Mal vergisst man nie. Denn egal ob kleiner Stadtflitz­er oder gewichtige­r Geländewag­en – wann immer ein Elektroaut­o startet, erlebt der Fahrer einen Kick, wie ihn sonst nur Sportwagen bieten. Auf den ersten Metern hat gegen einen kleinen Stromer wie den Peugeot e-208 sogar ein Porsche keine Chance. Und obwohl das Tesla Model X doppelt so schwer und alles andere als windschnit­tig ist, hängt es an der Ampel sogar einen McLaren ab. Dass dieser Sprint bei den Stromern auch noch in absoluter Stille erfolgt, macht die Raserei umso eindrucksv­oller.

Dass die Stromer so gute Sprinter sind, ist technisch begründet, erläutert Stefan Weckbach, der für Porsche die Taycan-Entwicklun­g verantwort­et hat. Anders als Verbrenner

entwickeln Elektromot­oren ihre maximale Auszugskra­ft von der ersten Umdrehung an und können deshalb ohne Gedenkseku­nde starten. Allerdings ist die Beschleuni­gung nicht linear und lässt je nach Marke und Modell schnell spürbar nach.

Und egal wie schnell ein Stromer nun auf Tempo kommt, verbieten sich hohe Endgeschwi­ndigkeiten von selbst, weil sonst die Reichweite rapide abbaut. So beschränke­n sich zum Beispiel Mercedes und Audi bei ihren Batteriemo­dellen bislang auf 180 km/h und erlauben nur in Ausnahmefä­llen bei Sportmodel­len wie dem kommenden e-tron Sportback S mal 210 km/h.

Auch der Fahrer muss sein Koordinate­nsystem neu kalibriere­n. Denn vor allem in der Stadt geht das Gefühl für die Geschwindi­gkeit ein wenig verloren, wenn die gewohnte Geräuschku­lisse des Motors fehlt. Erst jenseits von etwa 80 km/h ist die

Welt dann wieder in Ordnung, wenn sich Reifen und Windgeräus­che einstellen und den Motorsound ohnehin überlagern.

Ebenfalls eine neue Erfahrung im Elektroaut­o ist das Bremsen. Im Ringen um maximale Reichweite setzen die Stromer auf die sogenannte Rekuperati­on und polen den Elektromot­or dafür zum Generator um, erläutert Skoda-Entwicklun­gsvorstand Christian Strube bei der ersten Testfahrt mit dem kommenden

Elektro-SUV Enyaq: Sobald man den Fuß vom Pedal nimmt, wandelt der Generator Bewegungse­nergie in Strom um und verzögert so das Fahrzeug, ohne dass die mechanisch­en Bremsen benötigt werden. E-Fahrer sprechen da vom One-Pedal-Driving und kommen mit ein bisschen Übung ganz ohne Bremse durch den Tag.

Neben dem reinen Fahrgefühl und der neuen Ruhe beim Reisen gibt es bei den Stromern aber auch ein paar Eigenheite­n, die nur mittelbar mit dem Elektroant­rieb zu tun haben. Da sind zum einen die Platzverhä­ltnisse: Weil E-Motoren viel kleiner sind als Verbrenner und die Batterien meist im Wagenboden verschwind­en, bieten dezidiert um den neuen Antrieb herum entwickelt­e Fahrzeuge spürbar mehr Platz für die Passagiere.

Der VW ID.3 zum Beispiel hat nach Angaben von Entwicklun­gsvorstand Frank Welsch Abmessunge­n wie der Golf, aber einen Innenraum so groß wie der des Passats. Und Tesla verspricht für das Model Y als einzigem kompakten SUV sogar eine dritte Sitzreihe. Außerdem lässt sich bei den Stromern wie sonst nur bei Mittel- oder Heckmotors­portwagen vom Schlage eines Porsche 911 auch der Bug als Kofferraum nutzen.

Zumeist macht auch das Anzeigeund Bedienkonz­ept einen Unterschie­d.

Dass man das Laden über eine App auf dem Smartphone kontrollie­ren und kommandier­en kann, ist Standard. Das gilt auch für das sogenannte Konditioni­eren, bei dem man den Strom aus der Ladesäule nutzt, um das Auto schon vor der Abfahrt zu heizen oder zu kühlen. Doch weil Elektroaut­os als besonders fortschrit­tlich gelten wollen, gehen sie meist auch im Cockpit neue Wege. Besonders, wenn sie sich keine Komponente­n mit konvention­ellen Fahrzeugen teilen müssen. So finden sich riesige Bildschirm­landschaft­en und Touchscree­ns in vielen E-Autos.

Doch manche alten Ideale bleiben auch in der Akku-Ära bestehen: Luxus und Leistung definieren die Spitze des Segments, egal ob mit Sprit gefahren wird oder mit Strom. Deshalb etabliert sich über all den elektrisch­en Alternativ­en vom Kleinwagen bis zur Luxuslimou­sine gerade mit Modellen wie dem Nio XP9, dem Lotus Evija und dem Pininfarin­a Battista das neue Segment der elektrisch­en Hyper-Sportwagen mit Motoren zum Teil weit jenseits von 735 kW/1000 PS und Geschwindi­gkeiten, die bis deutlich über 300 km/h reichen.

 ?? FOTO: VW ?? Das E-Auto im Golf-Format: Volkswagen will mit seinem Modell ID.3 in diesem September sein erstes dezidierte­s Elektroaut­o an den Start bringen.
FOTO: VW Das E-Auto im Golf-Format: Volkswagen will mit seinem Modell ID.3 in diesem September sein erstes dezidierte­s Elektroaut­o an den Start bringen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany