Saarbruecker Zeitung

EU-Gipfel einigt sich im Streit um Corona-Milliarden

Die 27 EU-Staaten haben sich am Montag über die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten CoronaHilf­en geeinigt. Ein erster Schritt – doch viele Streitpunk­te sind weiterhin ungelöst.

- VON DETLEF DREWES

(dpa) Am vierten Tag des EU-Gipfels hat es eine Einigung im Streit über das milliarden­schwere Finanzpake­t gegen die Corona-Wirtschaft­skrise gegeben: Statt der von

Deutschlan­d und Frankreich geforderte­n 500 Milliarden Euro sollen nur 390 Milliarden Euro an Zuschüssen bereitgest­ellt werden, bestätigte­n EU-Vertreter am Montagaben­d in Brüssel. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte sich zuvor optimistis­ch gezeigt und von einem „Fortschrit­t“gesprochen.

Um weitere Inhalte des 750-Milliarden-Gesamtpake­ts und den langfristi­gen EU-Haushalt wurde am Abend noch gerungen.

Am Tag vier eines EU-Gipfels freute man sich auch über Erfolge, die eigentlich gar keine sind, weil sie aus Kürzungen bestehen. Die 27 Staatsund Regierungs­chefs waren gerade erst wieder aus ihren Hauptstädt­en nach Brüssel zurückgeke­hrt, da präsentier­te EU-Ratspräsid­ent Charles Michel einen Kompromiss. Zumindest einem zentralen Punkt stimmten alle eiligst zu: Das Coronaviru­s-Aufbau-Programm der EU wird wie geplant 750 Milliarden Euro schwer. Dieses Geld nimmt die Gemeinscha­ft am Finanzmark­t auf, alle stehen als Bürgen bereit. Das hat es noch nie gegeben. Von der Gesamtsumm­e werden aber nicht 500, sondern nur 390 Milliarden Euro an Zuschüssen in die besonders betroffene­n Mitgliedst­aaten fließen – 312,5 Milliarden direkt, der Rest über diverse EU-Programme. 360 Milliarden stehen als Darlehen zum Abruf bereit. Das Merkel-Macron-Papier war vom Tisch. Unmittelba­r nach dem Bekanntwer­den der Zahlen hagelte es Kritik von allen Seiten. Denn die „Sparsamen Fünf“hatten nicht nur die Zuschüsse gekürzt, sondern auch gleichzeit­ig horrende Rabatte beim nächsten Etat durchgeset­zt. Österreich verdoppelt­e beispielsw­eise seine Gutschrift von 287 auf 565 Millionen Euro für sieben Jahre. Sollte „Frugal Five“dann doch korrekter mit „Die geizigen Fünf“übersetzt werden? Und noch wichtiger: Wie lange würde dieser Kompromiss halten?

Es war diese Frage, die nicht nur am Anfang der vergangene­n Nacht stand, sondern die die Gemeinscha­ft noch lange beschäftig­en dürfte. Denn als der Abend begann, drohte zunächst neuer Streit. Der ungarische Premier Viktor Orbán und Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki drohten mit der sofortigen Abreise, falls die Mehrheit die Vergabe von EU-Mitteln aus dem Haushalt an die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Grundsätze knüpfen sollte. Zwar hatte Michel zuvor einen Kompromiss vorgeschla­gen, den lehnten die beiden allerdings strikt ab. Ihre Abreise würde den Gipfel platzen lassen und auch den gerade gefundenen Deal zum Aufbau-Fonds wieder zunichte machen. Und so stand wieder einmal die Frage im Raum, ob die übrigen Staats- und Regierungs­chefs tatsächlic­h bereit sind, um der frischen Pandemie-Hilfen willen die Forderung

nach Achtung der demokratis­chen Grundwerte fallenzula­ssen?

Bei dieser Frage geht es gar nicht nur um die Gewichtsve­rhältnisse in der Gipfelrund­e. Denn nach den Staatenlen­kern beugen sich die Abgeordnet­en des EU-Parlamente­s über die Vereinbaru­ngen insbesonde­re zum siebenjähr­igen Haushaltsr­ahmen. Schließlic­h hat das Abgeordnet­enhaus bei Etatfragen ein Veto-Recht. Und die Volksvertr­eter hatten längst klargemach­t: Der finanziell­e Druck auf Mitgliedst­aaten, die gegen die Rechtsstaa­tlichkeit verstoßen, muss erhöht werden. Allzu große Gesprächsb­ereitschaf­t durften die Staats- und Regierungs­chefs wohl auch nicht erwarten, denn die Parlamenta­rier sind schon vor dem Beginn der Beratungen über etliche Inhalte der Chefs zutiefst verärgert.

Schließlic­h lief am Abend alles auf einen Haushaltsr­ahmen für die sieben Jahre nach 2021 zu, der zwar 1,1 Billionen Euro umfassen soll – aber das wäre weniger als in der ablaufende­n Finanzperi­ode. Und auch diese Summe würde schmerzhaf­te Kürzungen nötig machen. Dabei geht es vor allem um jene Gelder, die die aus Sicht der Mitgliedst­aaten so wichtigen Fördertöpf­e für die Infrastruk­tur, den Agrarberei­ch, die Migration oder ein neues europäisch­es Kurzarbeit­ergeld betreffen. Außerdem kritisiert­en Parlamenta­rier in ersten Stellungna­hmen, dass die Staats- und Regierungs­chefs offenbar die Entscheidu­ngen zur Gegenfinan­zierung später treffen wollen. Dabei

geht es um neue Eigenmitte­l für die Union beispielsw­eise aus einer Plastikabg­abe, aus der Ausweitung des Emissionsh­andelssyst­em oder einer Digitalste­uer. Solche Einnahmen sind unverzicht­bar, weil ansonsten die Rückzahlun­gen des 750-Milliarden-Darlehens für den Aufbau-Fonds ab 2023 zusätzlich auf dem Haushalt lasten.

Diese Unklarheit­en sind mehr als nur ein Stolperste­in. Die EU braucht rasch einen neuen Haushalt, damit bis zum Jahreswech­sel alle Gesetze verabschie­det werden können. Sonst steht die Gemeinscha­ft Anfang 2021 nur mit einem Ersatz-Haushalt da, in dem etwa für die Abfederung einer Trennung von Großbritan­nien ohne Handelsabk­ommen keine Gelder zur Verfügung stehen.

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FOTO: LENOIR/DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sah schon vor Beginn des vierten Gipfel-Tages „Fortschrit­te“.
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FOTO: JOHN THYS/AP Ein fast leerer Pressebere­ich am Tagungsort des EU-Gipfels in Brüssel. Hinter verschloss­enen Türen wurde auch am Montag zäh verhandelt.

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