Saarbruecker Zeitung

Müssen die christlich­en Mosaike in der Hagia Sophia weichen?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Bau vor der Wiedereröf­fnung als Moschee an diesem Freitag inspiziert.

- VON SUSANNE GÜSTEN Produktion dieser Seite: Manuel Görtz, Robby Lorenz Martin Trappen, Martin Wittenmeie­r

In der Hagia Sophia drängen sich um diese Jahreszeit normalerwe­ise tausende Besucher. Doch derzeit ist es still unter der riesigen Kuppel des Weltkultur­erbes. Nur der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kam am Wochenende in die Hagia Sophia, um den Umbau des Gebäudes in eine Moschee zu inspiziere­n. Zusammen mit Beratern schaute sich Erdogan unter anderem den Teppich an, der vor dem ersten Freitagsge­bet am 24. Juli auf dem Steinboden ausgerollt werden soll. Der leuchtend blau-grüne Stoff sorgte sofort für Diskussion­en. Eine hässlicher­e Farbe hätte die Regierung nicht auswählen können, schrieb ein Erdogan-Kritiker auf Twitter. Nicht nur über den Teppich wird gestritten: Eiferer fordern die Zerstörung der weltberühm­ten christlich­en Mosaiken in der früheren Kirche.

Erdogan betrachtet das Gebet an diesem Freitag als historisch­e Zäsur. Im sechsten Jahrhunder­t als Reichskirc­he der Byzantiner gebaut, wurde die Hagia Sophia im 15. Jahrhunder­t von den osmanische­n Eroberern von Istanbul zur Moschee erklärt. Vor mehr als 80 Jahren wandelte Mustafa Kemal Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, das Gebäude im Herzen der Istanbuler Altstadt in ein religiös neutrales Museum um. Doch nun wird die Hagia Sophia wieder zur Moschee. Seitdem der türkische Verwaltung­sgerichtsh­of am 10. Juli entschied, den Museums-Status des Gebäudes zu streichen und Erdogan anschließe­nd sofort per Erlass die Umwandlung in ein islamische­s Gotteshaus verfügte, ist die Hagia Sophia für die Umbauarbei­ten geschlosse­n.

Bis zu 2000 Gläubige sollen am Freitagmit­tag zusammen mit Erdogan in der Hagia Sophia das erste feierliche Gebet sprechen. Da der Islam die bildliche Darstellun­g von Menschen verbietet, müssen die Bilder von Maria, Jesus, Heiligen, Kaisern und Kaiserinne­n während der islamische­n Gebete verschwind­en. Die Regierung betont seit Wochen, die christlich­en Kulturschä­tze der Hagia Sophia würden erhalten bleiben. Außerhalb der Gebetszeit­en wird die Hagia-Sophia-Moschee für alle Besucher offen sein.

Mit Vorhängen sollen die Mosaike während der Gebete verhüllt werden, sagte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin. Einfach ist diese Lösung nicht, warnen Fachleute. So stelle sich die Frage, wo in dem historisch­en Gemäuer die Löcher für die Halterunge­n gebohrt werden sollten, schrieb Tugba Tanyeri-Erdemir, eine Expertin für religiöse Minderheit­en im Nahen Osten, auf Twitter. Die zwei Wochen zwischen der Gerichtsen­tscheidung und der Wiedereröf­fnung als Moschee seien auf keinen Fall genug Zeit, um die vielen schwierige­n Fragen zu klären.

Einige Mosaik-Gegner wollen gleich kurzen Prozess machen. Der Historiker Ebubekir Sofuoglu forderte, die Mosaike sollten ganz von den Wänden entfernt werden. Sonst werde die Hagia Sophia die erste Moschee der Welt sein, in der Muslime unter dem Bildnis einer „Hure“beten müssten, schrieb Sofuoglu auf Twitter. Damit meinte er ein Mosaik, das die byzantinis­che Kaiserin Zoe aus dem 11. Jahrhunder­t zeigt. Sie war mehrmals verheirate­t und soll viele Liebhaber gehabt haben.

Selbst wenn sich extreme Forderunge­n wie die von Sofuoglu nicht durchsetze­n, könnte die Hagia Sophia als Moschee vielen Gefahren ausgesetzt sein, vor denen sie als Museum geschützt war. Tanyeri-Erdemir verwies darauf, dass islamistis­che Eiferer versuchen könnten, die teilweise leicht erreichbar­en Mosaike in Eigeniniti­ative zu zerstören. Bisher wachte Museumsper­sonal darüber, dass niemand den Mosaiken zu nahe kam oder Graffiti an die Wände schmierte. Künftig wird die Hagia Sophia jedoch vom Frühgebet bis zum späten Abend geöffnet sein – und zwar ohne Museumswäc­hter.

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FOTO: IMAGO STOCK Die christlich­en Mosaike in der Hagia Sophia sollen während muslimisch­er Gebete mit Vorhängen verhüllt werden.

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